Pragmatische Bedingungen der Topikalität. Detmer Wulf

Pragmatische Bedingungen der Topikalität - Detmer Wulf


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müssen. Denn: „only individuals […] whose existence has been established may serve as entries in the context set“ (s.o.). In welcher Hinsicht also können die an dieser Stelle erstmalig genannten tenants als „etabliert“ gelten? Zwar führt Reinhart nicht genauer aus, unter welchen Bedingungen ein Diskursgegenstand als etabliert gelten kann; in einer Fußnote zu dem diskutierten Beispiel merkt sie hierzu jedoch an:

      Of course, one may argue that the tenants are old information because they are related to or ‘inferrable’ from the general discourse topic […]. A definition of old information that would allow that would be, however, too broad to be of any use at all, since it is hard to imagine what information in a given context would not meet this requirement. (Reinhart 1981, 88f.)

      Erstens gilt also, dass die Anwohner als etabliert gelten können, weil sie aus dem „general discourse topic“ „ableitbar“ sind (denn es handelt sich um die Anwohner aus dem in Rede stehenden Stadtviertel); und zweitens hält Reinhart fest, dass Etabliertheit aufgrund von Ableitbarkeit nicht mit alter Information gleichzusetzen sei. Reinhart möchte also offensichtlich nur dann von alter Information sprechen, wenn für die referierende NP schon ein ‚Schlagwort-Eintrag‘ im ‚context set‘ besteht. Die Kriterien dafür, dass ein Diskursgegenstand als etabliert gelten kann, sind bei Reinhart offenbar ähnlich weit gefasst wie Strawsons Kriterien für das Vorliegen von Identifizierungswissen, für das schon genügt, dass der Adressat „may know there is a thing (not in his current field of perception) to which a certain description applies […].“ (Strawson, 1971, 87). Somit sind die Anwohner zwar etabliert, da für sie adressatenseitig Identifizierungswissen im Sinne Strawsons vorausgesetzt werden kann; jedoch sind sie keine ‚alte‘ Information, weil für sie noch kein ‚Schlagwort-Eintrag‘ besteht. Reinhart möchte ‚alte Information‘ also im Sinne von ‚vorerwähnt im (unmittelbar) vorangegangenen Diskursabschnitt‘ verstehen; und insofern Referenten etabliert im Sinne eines vorausgesetzten Identifizierungswissens sein können, ohne vorerwähnt zu sein, lässt sich mit Reinhart sagen, dass Topikalität nicht auf das Kriterium der alten Information angewiesen ist.

      Bis hierhin beziehen sich Reinharts Argumente gegen die Gleichsetzung von Topikalität mit alter Information auf ihre Position, dass Etabliertheit nicht Vorerwähntheit voraussetzt. Ihr entscheidendes Argument ist jedoch der Umstand, dass Ausdrücke, deren Referenten aufgrund von Vorerwähntheit etabliert sind, nicht notwendig Topikstatus haben. Dieses Argument betrifft den noch zu klärenden Punkt, nämlich die Frage, worüber Reinhart zufolge Topikalität ausgesagt werden kann. Hier könnte man zunächst vermuten, es ginge ihr lediglich darum, darauf hinzuweisen, dass wiederaufnehmende Ausdrücke auch fokussiert sein können.4 Als besonders problematisch erweisen sich jedoch Fälle wie das folgende Beispiel (vgl. Reinhart 1981, 72):

(4) A: Who did Felix praise?
B: Felix praised HIMSELF.

      Probleme bereitet dieses Beispiel aus dem folgenden Grund: In dem Beispiel ist der Referent von himself nicht nur vorerwähnt, sondern durch den Fragekontext auch als Topik-Referent ausgewiesen: Über Felix wird in der Antwort von B ausgesagt, dass er sich selbst gelobt hat. Wenn man aber über den Referenten des Eigenamens Felix sagt, dass er Topikstatus hat, wie verhält es sich dann mit dem Referenten des Pronomens himself? Hier würde man sich – aufgrund der Referenzidentität von Felix und himself – in Widersprüche verwickeln, wenn man Kategorien wie Topik und Fokus auf den Referenten bezöge, denn dies hätte zur Folge, dass Felix in der Antwort von B nicht nur Topik-, sondern auch Fokus-Status zugesprochen werden müsste.

      Reinhart zieht aus diesem Befund den Schluss, dass Topiks nicht auf der Basis dessen bestimmt werden können, „what we know about their referents“ (Reinhart 1981, 73) und hält kategorisch fest: „Topichood cannot be defined on referents“ (ebd., 72). Darum ist sie um eine nicht-referentielle Definition bemüht und bestimmt Satztopiks ‚inhaltsseitig‘ als „referential entries“ für „NP-interpretations“ (Reinhart 1981, 80).5 Dementsprechend muss auch Reinharts Aboutness-Begriff als nicht-referentieller Explikationsversuch begriffen werden: Die Aboutness-Relation besteht für sie nicht wie bei Strawson zwischen der Äußerung und einem Diskursreferenten in der Rolle des aktuellen „center of interest“, sondern ist als Relation zwischen Schlagwort-Eintrag und Proposition im ‚context set‘ zu denken.

      Es ist allerdings fraglich, ob Reinharts Explikation in dieser Hinsicht überzeugend ist, denn letztlich bleibt auch ihr Topik-Begriff auf Diskursreferenten bezogen, wenn Satztopiks als „referential entries“ für „NP-interpretations“ verstanden werden, und somit auf Entscheidungen darüber beruhen, auf welchen Diskursreferenten ein NP-Ausdruck aktuell zu beziehen ist. Ebenso gut könnte man von „referential entries“ für Diskursreferenten sprechen. Und so ist Reinharts Deutung von Satztopiks als „referential entries“ letztlich nur eine kognitivistische Metapher für den Fall, dass bestimmte Diskursreferenten (aktuell) Topikstatus haben. Dennoch bleibt die Lösung des Problems, das Reinharts Beispiel aufwirft, von entscheidender Bedeutung für eine widerspruchsfreie Explikation der Aboutness-Relation. Wir werden nun im Anschluss sehen, welche Lösung J. Gundels Ansatz für dieses Problem anbietet und uns fragen, ob es ihr besser gelingt, Fälle wie (4) in den Griff zu bekommen.

      3.3 Gundel: referentielle vs. relationale Givenness/Newness

      Eine der zentralen Herausforderungen für eine adäquate Bestimmung des Aboutness-Begriffs besteht in der Beantwortung der Frage, auf welche Einheiten – bzw. auf welche Ebenen – die Aboutness-Relation zu beziehen ist. Reinhart fasst den Unterschied zwischen ihrer Explikation und anderen, auf Diskursreferenten bezogenen Deutungen folgendermaßen zusammen:

      […] while the first (aboutness) views topichood as a relation between an argument and a proposition relative to a context, the second (old information) views it as a property of the referents denoted by linguistic expressions in a given context. (Reinhart 1981, 61)

      Reinharts Gegenüberstellung erinnert an eine Unterscheidung, die J. Gundel vorgeschlagen hat: die Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Givenness/Newness (vgl. Gundel 1988a; Gundel/Fretheim 2004). Anders als Reinhart expliziert Gundel die Aboutness-Relation wieder in größerer Nähe zu Strawson auf der Basis des Sprecher-Hörer-Verhältnisses. Hierfür greift sie auf die traditionelle Given/New-Dichotomie zurück, differenziert dabei jedoch zwischen zwei verschiedenen Arten der Givenness bzw. Newness (vgl. Gundel 1988a; Gundel/Fretheim 2004): Während referentielle Givenness/Newness auf die Beziehung zwischen sprachlichem Ausdruck und außersprachlichem Referenzgegenstand im Hinblick auf hörerseitige Zugänglichkeit abzielt (Gundel/Fretheim 2004, 176f.), beinhaltet relationale Givenness/Newness

      a partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts, X and Y, where X is what the sentence is about […] and Y is what is predicated about X. […] Relational givenness-newness thus reflects how the informational content of a particular event or state of affairs expressed by a sentence is represented and how its truth value is to be assessed. […] Topic and focus […] are thus relationally given and new, respectively. (Gundel/Fretheim 2004, 177)

      Die referentiell/relational-Unterscheidung wird zunächst mit dem mittlerweile vertrauten Argument begründet, dass es problematisch ist, Topikalität allein auf der Basis des (referentiellen) Kriteriums der Zugänglichkeit zu bestimmen, da Ausdrücke, in Bezug auf deren Referenten hörerseitige Zugänglichkeit besteht, nicht selten zum Bereich der Prädikation über ein X gehören (vgl. das folgende Beispiel aus Gundel/Fretheim 2004, 177):

(5) A: Who called
B: Pat said SHE called.

      Das Pronomen she, das den Subjekt-Referenten anaphorisch wiederaufnimmt und ihn damit als maximal zugänglich ausweist, gehört hier zur Prädikation. In der Terminologie von Gundel ist der Referent an dieser Stelle darum referentiell ‚given‘, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Prädikation jedoch relational ‚new‘.


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