Pragmatische Bedingungen der Topikalität. Detmer Wulf
von Behauptungsäußerungen zurück. Strawsons Einsicht, dass die Beurteilbarkeit assertiver Äußerungen hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Falschheit zu einem nicht geringen Umfang auch Topik-gesteuert ist, reformuliert Reinhart folgendermaßen:
[…] the selection of a topic for a given assertion in a given context may be viewed as a selection among the various ways to assess it – it will be verified by checking what we know about the topic. (Reinhart 1981, 60)
Angewendet auf eines der Beispiele Strawsons lassen sich Reinharts Ausführungen folgendermaßen verstehen: Wenn beispielsweise über eine aktuelle Ausstellung ausgesagt wird, dass sie von einer bestimmten Person besucht worden ist, dann wird im Fall einer Einschätzung (assessment) des Wahrheitsgehalts dieser Behauptung in aller Regel auf Wissensbestände über die Ausstellung zurückgegriffen, etwa ob für die Ausstellung tatsächlich zutrifft, dass sie von der in Rede stehenden Person besucht worden ist – und eher nicht auf Wissen über die Person, etwa ob zutrifft, dass sie die Ausstellung besucht hat. Kurz: Einschätzungen des Wahrheitsgehalts von Behauptungen sind nach Reinhart immer zu verstehen als Einschätzungen des Wahrheitsgehalts von Behauptungen über ein Topik.1
Hierauf beruht Reinharts Verständnis pragmatischer Aboutness. Aboutness ist als Mittel zur Organisation und Strukturierung des Diskursverlaufs zu verstehen. Mit Stalnaker (1978) begreift sie Diskurse als Prozesse der Anreicherung von Information, die Sprechern und Hörern im weiteren Verlauf des Diskurses als gemeinsames propositionales Wissen zur Verfügung steht, auf das ggf. zurückgegriffen werden kann und das somit als sprecher- und hörerseitig bekannt vorausgesetzt (präsupponiert) werden kann. Die im Diskurs zu einem gegebenen Zeitpunkt angesammelte ‚Menge‘ der (als bekannt vorausgesetzten) Propositionen nennt Reinhart unter Rückgriff auf Stalnaker „context set“:
[…] the context set of a given discourse at a given point [is] the set of the propositions which we accept to be true at this point. […] The effect of each new assertion in a discourse is to add the proposition expressed by it to the presuppositions in the context set. A discourse can be described, then, as a joint-procedure of constructing a context set. (Reinhart 1981, 78f.)
Reinhart stellt heraus, dass die im ‚context set‘ angesammelte Information nicht als unverbundene Aneinanderreihung isolierter Propositionen zu verstehen ist. Vielmehr kommt es im Diskursverlauf zu einer Strukturierung und In-Beziehung-Setzung der Einzelpropositionen, um die Verarbeitung neu hinzukommender Information zu erleichtern. Wie diese Verarbeitung vor sich gehen soll, veranschaulicht sie anhand einer Metapher: Die Menge der im ‚context set‘ enthaltenen Propositionen ist in der Art eines Schlagwort-Katalogs (subject catalogue) einer Bibliothek organisiert. Die Organisation der zum ‚context set‘ neu hinzukommenden Information geschieht dabei auf der Basis zweier kognitiver Strukturierungsprinzipien. Neu hinzukommende Information wird immer im Hinblick auf ein Topik bewertet (assessment) und im Anschluss als Information über dieses Topik abgespeichert (storage): „Assess by what you already know about the topic, store under an entry corresponding to this topic“ (Reinhart 1981, 80). Vor dem Hintergrund ihrer Katalog-Metapher lässt sich Reinharts Topik-Begriff somit folgendermaßen verstehen: Topiks fungieren als kognitive ‚Adresse‘ für die in den Propositionen enthaltene (neue) Information. 2 Sie sind der Ort, unter dem die jeweils neu hinzugekommene Information abgelegt wird:
The propositions admitted into the context set are classified into subsets of propositions, which are stored under defining entries. At least some such entries are defined by NP-interpretations. NP sentence-topics, then, will be referential entries under which we classify propositions in the context set and the propositions under such entries in the context set represent what we know about them in this set. (Reinhart 1981, 80)
Referierende NP-Ausdrücke mit Satztopik-Status stellen hierbei den ausdrucksseitigen Aspekt dieses Organisationsprozesses dar:
Sentence-topics, within this view, are one of the means available in the language to organize, or classify the information exchanged in linguistic communication – they are signals for how to construct the context set, or under which entries to classify the new proposition. (ebd.)
Aboutness ist im Rahmen dieser Perspektive also gewissermaßen ein ‚Effekt‘ kognitiver Strukturierungsprinzipien: Aus der Zuordnung neu hinzukommender Propositionen zu einem ‚Schlagwort-Eintrag‘ ergibt sich die für den jeweiligen Satz geltende „pragmatische Assertion“ (Reinhart 1981, 80f.), wodurch einer Konstituente der Status des ‚Worüber‘ der im Satz ausgedrückten Assertion zugewiesen wird. Unter Berücksichtigung der von Reinhart angenommen kognitiven Strukturierungsprinzipien lässt sich dies folgendermaßen paraphrasieren (vgl. Reinhart 1981, 81):
Dass ein Satz S, geäußert in einem Kontext C, als Satz über einen Diskursgegenstand a gilt, heißt zunächst, dass die im Satz ausgedrückte Proposition hörerseitig im Hinblick auf die anderen Propositionen, die bereits unter dem Eintrag für a gelistet sind, überprüft wird (assessment), und dann, sofern diese Proposition nicht zurückgewiesen worden ist, den anderen Einträgen unter a hinzugefügt wird (storage).
Dies entspricht dem ‚Standardfall‘, wo für den Diskursgegenstand als ‚alter‘ Information schon ein Eintrag besteht, der als ‚Ablageort‘ fungieren kann. Reinhart betont jedoch ausdrücklich, dass Topikalität – „despite its apparent intuitive appeal“ – nicht mit ‚alter‘ Information gleichzusetzten sei (vgl. Reinhart 1981, 72f.). Dennoch gilt auch für sie, „that only individuals (or sets of individuals) whose existence has been established may serve as entries in the context set“ (Reinhart 1981, 82). Um nachvollziehen zu können, wie Reinhart ihre Ablehnung der Gleichsetzung von Topik und alter Information mit ihrer Überzeugung in Einklang bringt, dass die Referenten von Topik-Einträgen „etabliert“ sein müssen, sind zwei Punkte zu klären: erstens, was Reinhart unter ‚alter‘ Information versteht, und zweitens, worüber ihrer Meinung nach Topikalität ausgesagt werden kann.
Zunächst zum ersten Punkt: Neben der oben angesprochenen Funktion als ‚Adresse‘ für die Ablage neu hinzukommender Information kommt Topiks nach Reinhart auch die Funktion zu, diese Adresse zu eröffnen:
In such cases the assertion of S opens a new NP-interpretation entry in the context set, whose member, the proposition expressed in S, is now available for assessment of future assertions about this entry. (Reinhart 1981, 82)
Der Fall, dass eine NP mit Topikstatus den entsprechenden Topik-Eintrag erst eröffnet, liegt Reinhart zufolge in dem folgenden Beispiel vor (vgl. Reinhart 1981, 76). In diesem Textausschnitt, einer Passage aus einem Artikel, den sie einem Szene-Magazin für die Stadt Los Angeles entnommen hat, geht es um die Auswirkungen des Zuzugs reicher Geschäftsleute auf den öffentlichen Raum in einem eher armen Stadtviertel:
(3) | The public benches that used to be west of their restaurant are gone also, it has been rumoured that the removal of the benches has been brought about by pressure from certain business people to discourage those who can’t afford to get drunk in public behind iron work railings from annoying those who can. Of course, one of the consequences is that the tenants of 1415 Ocean Front Walk don’t have their benches to sit on […]. |
Im ersten Satz wird über die Entfernung der öffentlichen Bänke berichtet und es werden die Gründe dafür genannt. Im zweiten Satz werden die Konsequenzen, die sich daraus für die Anwohner ergeben, benannt. Reinhart argumentiert dafür, dass im zweiten Satz die NP, die auf die Anwohner (tenants) referiert, Topikstatus hat – obwohl auch die Bänke dort noch einmal wiederaufgenommen werden. (Sie weist noch darauf hin, dass es im weiteren Textverlauf um einen der Anwohner gehen wird.) Die NP the tenants of 1415 Ocean Front Walk eröffnet hier einen neuen Eintrag, der nun für das ‚assessment‘ anschließender Assertionen über diesen Eintrag zur Verfügung steht.3
Aus dem Beispiel wird deutlich, was Reinhart unter dem Begriff der alten Information verstehen möchte. Reinhart weist in diesem Zusammenhang auf die von Strawson diskutierten Folgen fehlgeschlagener Referenz hin: Fälle, in denen die entsprechende NP „fails to refer“, haben zur Konsequenz, „[that] we can neither find an entry for it nor open a new entry for it in the context set“