Pragmatische Bedingungen der Topikalität. Detmer Wulf
aber die im Sinne der ‚presumption of ignorance‘ zum Fokusbereich zählenden Subjektkonstituenten in (21) und (22) zu dem gehören, was in diesen Sätzen pragmatisch assertiert wird, wie können sie dann zugleich Gegenstand der Satzaussage im pragmatischen Sinne sein? Der zentrale Widerspruch in Molnárs Drei-Ebenen-Modell ist also, dass sie fokussierte Topiks in der Konsequenz sowohl als Satzgegenstand als auch zur Satzaussage gehörig deutet. Nun ist es aber dennoch so, dass sich die satzinitialen Konstituenten in (21) und (22) – anders als in (23) – durchaus als ‚Gegenstand‘ der Prädikation deuten lassen – jedoch nicht, wie Molnár meint, „im pragmatischen Sinne“ (s.o.). In Kap. 5.2 werde ich darum dafür plädieren, zwischen der semantischen und der pragmatischen Ebene der Prädikation zu unterscheiden. Diese Unterscheidung erlaubt es, auch in Fällen wie in (21) und (22) von einer auf die jeweiligen Subjekt-Konstituenten abzielenden Prädikation zu sprechen, die dort jedoch kontextbedingt nicht auf einer Relation zwischen „pragmatic assertion“ und „pragmatic presupposition“ (Lambrecht 1994) beruht. Wie ich im nächsten Kapitel zeigen möchte, ist es aber genau diese Unterscheidung, auf deren Basis sich das Konzept der Aboutness explizieren lässt.
3 Topik und Aboutness
Innerhalb neuerer pragmatisch orientierter Ansätze zur Informationsstruktur finden sich häufig Rückgriffe auf Ideen, die der Philosoph P. F. Strawson in seinem Aufsatz „Identifying reference and truth-values“ formuliert hat (Strawson 1964).1 Die Attraktivität der Ideen Strawsons für pragmatisch orientierte Ansätze zur Informationsstruktur besteht vor allem darin, die klassische Satzgegenstand/Satzaussage-Unterscheidung aus einer Perspektive zu betrachten, die die diskursiven Voraussetzungen der Äußerung von Sätzen mitberücksichtigt. Darum ist Strawson besonders für diejenigen Ansätze inspirierend gewesen, die das Verhältnis der Topik-Kategorie zu seinen Komplementärkategorien als Relation der Aboutness verstehen möchten und sich um eine Klärung des Aboutness-Begriffs bemühen. Bezugnahmen auf Strawson finden sich etwa bei Gundel (1988a; 1988b), Lambrecht (1994) und Reinhart (1981).2 Im Folgenden sollen die jeweiligen Explikationsvorschläge der Autoren bezüglich des Aboutness-Begriffs chronologisch, beginnend mit Strawson, vorgestellt werden. Bei der Diskussion der in manchen Punkten ähnlichen, sich im Detail aber auch deutlich unterscheidenden Ansätze soll das Hauptaugenmerk auf zwei Problemfelder gerichtet werden, die auch schon in den vorangegangen Abschnitten angesprochen wurden: zum einen die Frage nach dem Verhältnis von Topikalität und Givenness, zum anderen die Frage, wie sich die Topik-Kategorie zu ihren Komplementär-Kategorien verhält. Zum Abschluss des Kapitels wird gezeigt, dass es Lambrechts Ansatz am besten gelingt, diese Probleme zufriedenstellend in den Griff zu bekommen.
3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“
Strawson geht es in „Identifying reference and thruth-values“ nicht in erster Linie um den Begriff der Aboutness. Seine Ausführungen stehen vielmehr in Zusammenhang mit der Debatte um die Frage, wie Sätze, in denen sich für einen referierenden Ausdruck kein Referent angeben lässt, in denen also die Existenzpräsupposition verletzt wird, im Hinblick auf ihren Wahrheitswert zu interpretieren sind. Lässt sich bspw. eine Behauptung wie „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ – so das klassische, von Russell (1905) stammende Beispiel – als ebenso unzutreffend bezeichnen wie eine Behauptung über eine real existierende Person, der fälschlicherweise Kahlköpfigkeit zugeschrieben wird? Oder weist eine solche Behauptung Defizite auf, die ihre Beurteilung im Hinblick auf Wahrheit oder Falschheit unmöglich macht? Anhänger der letzteren Position verweisen traditionell darauf, dass nur Aussagen über Dinge, deren Existenz als gegeben vorausgesetzt (präsupponiert) werden können, hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Falschheit beurteilbar sind. Behauptungen über nicht existierende Dinge, Sachverhalte oder Personen (wie eben der ‚gegenwärtige‘ König von Frankreich) sind nicht etwa falsch, sondern „missglückt“ (infelicious) im Sinne Austins und verfügen daher über eine sogenannte „Wahrheitswert-Lücke“ (truth-value gap) (Quine). Auch Strawson ist dieser Auffassung. Für Strawson kommt jedoch noch ein entscheidender Aspekt hinzu: Die Zuweisbarkeit eines Wahrheitswerts ist nicht allein schon durch die Verletzung der Existenzpräsupposition unterbunden, sondern erst dann, wenn sie in Kombination mit einer bestimmten kommunikativen Rolle auftritt, die der entsprechende Referenzausdruck im Vollzug der Äußerung innehat. Dies ist der Zusammenhang, in dem Strawson den Begriff der Aboutness in die Diskussion einbringt.
Zunächst zu Strawsons Argumenten gegen die Auffassung, dass derartige Sätze wahrheitswertfähig seien: Strawson führt das Missglücken solcher Sätze auf die Nicht-Einhaltung bestimmter Sprecherannahmen und kommunikativer Prinzipien zurück. Wenn etwa jemand die Auskunft gibt: „All John’s children are asleep“, so kann er dies sinnvoll nur unter der Voraussetzung tun, dass John Kinder hat, und die Frage, ob diese Behauptung zutrifft oder nicht, stellt sich nach Strawson überhaupt nicht, wenn John in Wirklichkeit gar keine Kinder hat (vgl. Strawson 1952, 173ff.): „We can, and normally should, say that, since John has no children, the question does not arise. […] The more realistic view seems to be that the existence of children of John’s is a necessary precondition not merely of the truth of what is said, but of its being either true or false“ (ebd.).
Für Strawsons Position ist es von zentraler Bedeutung, dass er die Frage nach der Wahrheit oder Falschheit von Sachverhalten nicht an Sätze, sondern an deren Äußerung bindet.1 Hier kommen nun die von Strawson formulierten kommunikativen Prinzipien ins Spiel: Sprecher vollziehen Äußerungen auf der Basis bestimmter Annahmen (presumptions) über den (oder die) Adressaten ihrer Äußerungen (Strawson 1971a, 86). Ein Typ von Annahmen bezieht sich auf den Umstand, dass der Zweck assertiver Sprechhandlungen zuallererst darin besteht, dem Hörer etwas mitzuteilen, das er noch nicht weiß:
Since there is no point in […] informing somebody of something of which he is already apprised, the making of an assertive utterance or statement […] implies a presumption (on the part of the speaker) of ignorance (on the part of the audience) of some point to be imparted in the utterance. (Strawson 1971a, 86)
Dem aus dieser Annahme abgeleiteten „principle of the presumption of ignorance“. stellt er ein weiteres Prinzip zur Seite: das „principle of the presumption of knowledge“. Strawson begründet die Notwendigkeit für dieses zweite Prinzip mit einem weiteren Typ von Sprecherannahmen:
[…] when an empirically assertive utterance is made with an informative intention, there is usually or at least often a presumption (on the part of the speaker) of knowledge (in the possession of the audience) of empirical facts relevant to the particular point to be imparted in the utterance. (1971a, 87)
Strawson hat hierbei eine ganz bestimmte Art von Hörerwissen im Sinn: Das Wissen, von dem Sprecher annehmen, dass es seitens des Hörers vorausgesetzt werden kann, ist ein sogenanntes Identifizierungswissen (identifying knowledge). Sprecher gehen davon aus, dass bestimmte, in der Äußerung erwähnte (Diskurs-)Gegenstände auch für den Hörer zugänglich sind:
When people talk to each other they commonly and rightly assume a large community of identifying knowledge of particular items. Very often a speaker knows or assumes that a thing of which he has such a knowledge is also a thing of which his audience has such a knowledge. (1971a, 87f.)
Unter dem Begriff des Identifizierungswissens versteht Strawson das Vermögen, auf Dinge perzeptuell zugreifen und sie von anderen Dingen unterscheiden zu können, wobei Grad wie auch Art und Weise dieses Identifizierungsvermögens recht unterschiedlich ausfallen können:
[…] a person may be able to pick a thing out in his current field of perception. Or he may know there is a thing (not in his current field of perception) to which a certain description applies which applies to no other thing […]. Or he may know the name of a thing and be able to recognise it when he encounters it, even if he can normally give no identifying description of it […]. If a man satisfies any of these conditions in respect to a certain particular, I shall say he has identifying knowledge of this particular. (1971a, 87)
Die sprachliche Bezugnahme auf Gegenstände, von denen der Sprecher seitens des Hörers Identifizierungswissen voraussetzt, nennt Strawson identifizierende Referenz (identifying reference). Im Vollzug von Äußerungen wird die identifizierende