Nachtdenken. Martina Bengert

Nachtdenken - Martina Bengert


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d’être au sein de tous les mouvements négatifs, la réalité de l’irréalité, y sont admirablement dits.“3 Levinas zieht hier eine Verbindung zu dem in der Blanchot-Rezeption recht beliebten 2. Kapitel von Thomas l’Obscur, das für ihn wie kein anderes literarisch ausdrückt, was das il y a sein kann und was es heißt, es zu erfahren. Ich möchte seine Aussage jedoch auch auf den Begriff des il y a selbst anwenden, der als Beginn des Paratextes vor alle anderen Worte der zweiten Version gestellt ist. Die „Anwesenheit der Abwesenheit“ ist eine der am häufigsten verwendeten Formulierungen, um Blanchots Sprachkonzept oder seine Gedanken zur Bildlichkeit zu beschreiben. Was dies konkret bedeutet, darauf gehen viele Untersuchungen nicht genauer ein. In den oben zitierten Worten Levinas’ steht die Präsenz der Absenz in einer Reihung von Ausdrücken, die er mit dem il y a verknüpft und anhand derer er Thomas l’Obscur beschreibt. Die Kommata dieser Reihung könnte man auch durch Gleichheitszeichen ersetzen: Das il y a ist die Anwesenheit der Abwesenheit, ist die Nacht, ist die Auflösung des Subjekts in der Nacht, ist der Horror des S/seins usw. Die Form, in der das il y a in TO2 erscheint, ist eine unaufhaltsame Metamorphose von Zuständen, die ohnehin bereits nur Spuren von Auslöschungsbewegungen sind und in ihrem Erscheinen die Möglichkeit, dass überhaupt etwas erscheinen kann, radikal hinterfragen.

      Zur Anwesenheit von Abwesenheit wird die neue Version von Thomas l’Obscur aber auch als ‚Ganze‘ dadurch, dass sie auch auf einer Makroebene die andere Version des Textes in sich trägt. TO2 ist auch TO1, jedoch nicht in Form einer identitären oder umfangslogischen Beziehung, sondern als Relation der Ähnlichkeit, d.h. als ein Erscheinen des Abwesenden in den wiederholten, aber auch veränderten Worten der nouvelle version. Damit entsprechen TO1 und TO2 in dieser Relationalität dem Verhältnis von Nacht und anderer Nacht. Wenn sich TO2 in den Worten Levinas’ auf eine Beschreibung des il y a hin öffnet, so kann daraus gefolgert werden, dass diese Öffnung alle Schichten des Textes ergreift.

      Il y a und es gibt

      In seinem 1982 erschienen Werk Ethique et Infini sagt Emmanuel Levinas über die Wichtigkeit Martin Heideggers „qu’un homme qui, au XXe siècle, entreprend de philosopher, ne peut pas ne pas avoir traversé la philosophie de Heidegger, même pour en sortir.“1 An Heidegger, und damit an einer bestimmten Ausprägung der Phänomenologie und des Existenzialismus, geht demnach kein Weg vorbei, sofern man sich im 20. Jahrhundert in Frankreich mit Philosophie beschäftigen oder gar welche hervorbringen will. Blanchot findet seinen Weg zu Heidegger über Levinas.2 Die beiden Straßburger Studienkollegen vollziehen diese Art der Begegnung mit Heidegger als Abstoßung von Heidegger an ihrem schriftlich geführten Dialog über den Begriff des il y a und dessen Abgrenzung zu Heideggers es gibt. Dieser Dialog besteht aus einem jahrelangen, kontinuierlichen Wiederaufgreifen des il y a, während dessen sie nicht müde werden, andere Terme ihres Denkens in den Horizont des il y a zu stellen und einander die gegenseitige Freundschaft und geistige Verbundenheit zu versichern.3 Einer dieser Begriffe ist die Nacht – sei es in ihrer radikalen Form der Selbstverdunklung als ‚autrenuit, sei es in Umschreibungen des Nächtlichen und Dunklen. So schreibt Blanchot beispielsweise von einem „nächtlichen Rauschen des Anonymen“, um seine Auslegung des il y a zu verdeutlichen:

      L’il y a est une des propositions les plus fascinantes de Lévinas: sa tentation aussi, comme l’envers de la transcendance, donc indistincte d’elle, qu’on peut décrire en termes d’être, mais comme ‚impossibilité‘ de ne pas être, l’insistance incessante du neutre, le bruissement nocturne de l’anonyme, ce qui ne commence jamais […], l’absolu mais comme indétermination absolue: cela ensorcelle, c’est-à-dire attire vers le dehors incertain.4

      Die Notionen „il y a“, „neutre“, „bruissement nocturne de l’anonyme“ und „dehors“ aus diesem Zitat und das „désastre“, das an anderer Stelle genannt wird, bilden eine Sphäre von Denkfiguren, die um die Frage einer un(be)greifbaren Vorhandenheit als etwas Anwesendes ohne Form kreisen. Die wesentlichen Gedanken Levinas’ zum il y a finden sich in seiner Schrift De l’existance à l’existant5. Il y a im Levinasschen Sinne und mit Blick auf Blanchots Begriff davon ist weder Sein noch Nichts, „[n]i néant, ni être“6, sondern das Rauschen oder Murmeln eines unpersönlichen Seins und grenzt sich von Heidegger wie wohl auch von Jean-Paul Sartre ab, wenn man hier dessen philosophisches Hauptwerk L’être et le néant erkennen möchte.7 Elemente, die Levinas vornehmlich an Heideggers Philosophie beeinflusst haben, sind dessen bereits genannter Begriff des es gibt und seine Unterscheidung von Sein und Seiendem. Das Seiende ist, während das Sein im „es gibt“ liegt.8 Das es gibt ist apriori da und kann daher nicht von der Erfahrung erfasst werden. Levinas kritisiert, dass Heidegger das Sein trotz aller versuchten denkerischen Gegenmaßnahmen in einer „Jemeinigkeit“ denke und demnach das Sein in letzter Konsequenz doch stets von einem Seienden besessen oder vereinnahmt werde.9 Das Sein, unabhängig von irgendeinem Seienden gedacht, wäre nach Levinas das il y a. Es lässt sich somit als eine fortgesetzte Anonymisierung von Heideggers Sein begreifen, als das, was wie eine unabänderliche, bedrohliche und leere Forderung bleiben würde, wenn alles vernichtet wäre. Wenn Levinas 1935 in „De l’évasion“ noch den Ausdruck „Il y a de l’être“10 gebraucht und diesen dann in späteren Schriften verkürzt auf das il y a, dann zieht sich bei ihm das Sein in das il y a zurück, bleibt aber durch sein Fehlen auf der Oberfläche als eine Art Ruf bestehen. Das il y a als „phénomène de l’être impersonnel: ‚il‘“11 jenseits von Fülle und positiver Besetzung stellt in seiner Anonymität etwas Bedrohliches und Verunsicherung Erzeugendes dar, aus dem ein Ausweg oder eine Möglichkeit der Beherrschung gefunden werden muss. Die Beziehung zum Anderen (autrui)12 als Verantwortung für den Anderen ist der Ausweg aus dem il y a für Levinas. In dieser Bezogenheit auf den Anderen kann der Mensch der Kontingenz und dem anonymen Strom des Seins entkommen. Die Jemeinigkeit Heideggers wird, so könnte man folgern, zur ‚Jedeinigkeit‘ bei Levinas.

      Blanchot hingegen wird diesen Schritt zum menschlichen Anderen als Möglichkeit der Befreiung nicht mitvollziehen, sondern im anonymen Rauschen den Ungrund der Sprache finden und den Anderen gerade mit dieser anonymen Fremdheit durchsetzen. Deshalb wird er in Thomas l’Obscur in der uneinholbaren Bewegung der ‚autrenuit Erfahrungen evozieren, die das Inhaltliche wie das Diskursive überschreiten und die Ebene des Aussagens hinter sich lassen. Die eingangs zitierte Beschreibung des il y a in Thomas l’Obscur durch Levinas, in der er das il y a dem neutre annähert, ist als eine Erfahrung der Literatur überhaupt im Sinne Blanchots zu verstehen. TO2 ist eine Erfahrung des il y a in seiner konsequentesten Form: dem Tod. Wenn TO2 in jeder erdenklichen Weise versucht, Präsenz, Darstellung oder Konkretes zu verunmöglichen, zeigt sich darin die Präsenz des Todes umso deutlicher.

      Blanchots il y a

      Nun ist die Frage zu stellen, ob das so exponierte il y a zu Beginn des Paratextes der zweiten Version von TO2 ein il y a sein könnte, wie Levinas es denkt oder, falls nicht, was die Differenz zu ihm darstellt. Zur Erinnerung sei hier noch einmal der erste Satz wiederholt: „Il y a, pour tout ouvrage, une infinité de variantes possibles.“

      Durch den mit Kommata abgetrennten Einschub „pour tout ouvrage“ wird das „il y a“ separiert, hervorgehoben und als Auftakt an den Anfang gesetzt. Wenn es diesen Einschub als Einschnitt nicht gäbe, würde man weder das il y a vor dem Einschnitt, noch die Mannigfaltigkeiten danach derart deutlich wahrnehmen. Ließe man den Einschub weg, käme der ontologische Charakter dieses Satzes deutlicher heraus. „Il y a […] une infinité de variantes possibles.“ Die Möglichkeitsdimension zeigt sich hier tautologisch mehrfach potenziert durch die „Unendlichkeit der möglichen Varianten“, die den nachfolgenden Text von TO2 als Gesagtes aus dem Hintergrund des Ungesagten hervortreten lassen. Bevor der Leser den Text liest, wird er darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht nur für dieses, sondern für jedes Werk eine unbegrenzte Möglichkeit an Varianten oder Fassungen gibt, dass das, was er im Folgenden lesen wird, vergänglich, ersetzbar oder nur ein Glied in einer endlosen Kette ist. Auch bedeutet dies


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