Sprache und Kommunikation in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Группа авторов

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Schon Mitte der 1990er Jahre unterstrich eine bundesweite Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln 1997), dass rund jede vierte Lehrstellenbewerberin und jeder vierte Lehrstellenbewerber für eine Ausbildung nicht oder nur bedingt geeignet ist. Etwa zehn Jahre später belegte der Expertenmonitor des Bundesinstituts für Berufsbildung (Ehrenthal et al. 2005), dass die Rechtschreibung (87 %) und schriftliche Ausdrucksfähigkeit (85 %) die Liste der festgestellten Mängel von Schulabsolventen anführen.

      Auch in der Ende 2010 vom IW Köln (Klein & Schöpper-Grabe 2012a:48) durchgeführten repräsentativen Online-Unternehmensbefragung werden bei der Frage nach den GrundbildungsdefizitenGrundbildungsdefizite von Ausbildungsbewerberinnen und Ausbildungsbewerbern am häufigsten die Rechtschreibung und Zeichensetzung (93 %) sowie die schriftliche Ausdrucksfähigkeit (91 %) genannt. Danach folgen zum Beispiel Defizite in der Dreisatz- und Prozentrechnung (78 %) oder in den Sozial- und Selbstkompetenzen (74 %). Nach wie vor sind Lesen und Schreiben – trotz und auch gerade wegen der neuen Technologien – in der Berufsausbildung unverzichtbar. Zwar sind die Anforderungen an das für die berufliche Ausbildung erforderliche Sprachniveau durchaus unterschiedlich, zum Beispiel im Vergleich von gewerblich-technischen Auszubildenden und kaufmännischen Auszubildenden, aber ohne ausreichende schriftsprachliche Kompetenzen ist eine Berufsausübung kaum möglich. In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gaben etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen an, dass sie Defizite in Deutsch bei den Auszubildenden festgestellt haben – gefolgt von 44 % der Unternehmen, die Schwächen der Ausbildungsplatzbewerberinnen und Ausbildungsplatzbewerber in Mathematik konstatierten (DIHK 2015:20).

      Obwohl in Deutschland eine mindestens neunjährige Schulpflicht in einem hoch entwickelten Schulsystem besteht, verlassen nach wie vor jährlich zu viele junge Menschen die Schule ohne ausreichende Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen. Nach der internationalen PISA-Studie traf dies 2012 auf jeden siebten Schüler und jede siebte Schülerin zu (OECD 2014). Die Defizite, die beim Übergang von der Schule in den Beruf vorhanden sind, beheben sich im Laufe der Erwerbstätigkeit nicht von allein, sondern bleiben dauerhaft, wenn keine nachholenden unterstützenden Maßnahmen ergriffen werden. So bieten nach der DIHK-Umfrage 36 % der Unternehmen bereits Nachhilfe zur Kompensation von Defiziten für schwächere Auszubildende an (DIHK 2015). Im Vergleich zum Vorjahr war dieser Anteil um fünf Prozentpunkte gestiegen. Allerdings ist es nicht die Aufgabe von Unternehmen, Literalitätsmängel der Auszubildenden zu beheben, sondern das Schulsystem hätte dies verhindern müssen.

      3. Sprachliche Kompetenzen: Befunde aus empirischen Kompetenzüberprüfungen

      Nicht nur aus Sicht von Unternehmen werden sprachliche Schwächen am Übergang Schule-Beruf bzw. bei erwerbstätigen Erwachsenen konstatiert, sondern auch nationale (Grotlüschen & Riekmann 2011) und internationale Studien (Rammstedt 2013) der Kompetenzüberprüfung kommen zum Ergebnis, dass Erwachsene ohne ausreichende Lesekompetenzen und alltagsmathematische Kompetenzen große Probleme haben, erfolgreich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich spezielle berufliche Kompetenzen anzueignen. Nach der PIAAC-Studie (Rammstedt 2013) – das Akronym steht für Programme for the International Assessment of Adult Competencies – liegt der Anteil der Erwachsenen mit mangelnder Lesekompetenz in Deutschland im Durchschnitt bei 17,5 %. Zudem weist der Befund, dass es in Deutschland 7,5 Millionen funktionale Analphabeten – also Menschen mit eingeschränkten Lese- und Schreibfähigkeiten (Grotlüschen & Riekmann 2011) – gibt, auf die langfristigen Folgen von schulischen Defiziten für die Erwerbstätigkeit und Beschäftigungsfähigkeit hin.

      Wie wichtig sprachliche Kompetenzen für Erwerbstätige sind, untermauert das Ergebnis der PIAAC-Studie, dass fast alle Arbeitsplätze in Deutschland Lesefertigkeiten erfordern. Nur 5 % der Befragten gaben an, nie an ihrem Arbeitsplatz lesen zu müssen. Bei der Mehrheit der Arbeitsplätze sind auch Schreib- und Rechenfertigkeiten gefragt (88 % bzw. 81 %). Diese AnforderungenAnforderungen sind in Deutschland ähnlich hoch wie im Durchschnitt der an PIAAC beteiligten OECD-Länder (Rammstedt 2013:139).

      4. Einstellungstests der Unternehmen

      Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass viele Unternehmen Einstellungs- und Eignungstests mit Ausbildungsbewerberinnen und Ausbildungsbewerbern durchführen, bei denen auch schriftsprachliche Kompetenzen überprüft werden. So zeigt eine Analyse des IW Köln von 51 Eignungs- und Einstellungstests, die zur Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern um einen Ausbildungsplatz eingesetzt werden, dass fast jedes Unternehmen mathematisches Basiswissen (vor allem die Grundrechenarten, Dreisatz- und Prozentrechnung) sowie die sozialen und personalen Kompetenzen testet. Lese- und Schreibkompetenz, logisches Denken und Allgemeinwissen werden von zwei Dritteln der Unternehmen überprüft (Klein & Schöpper-Grabe 2010a:6). Mit solchen Auswahlverfahren reagieren die Unternehmen – soweit es die Ressourcen zulassen – auf die Tatsache, dass Zeugnisnoten von allgemeinbildenden Schulen keine verlässliche Einschätzung der Leistungen dokumentieren. Es geht den Unternehmen nicht darum, Ausbildungsplatzbewerberinnen und Ausbildungsplatzbewerber zum Beispiel mit einem Hauptschulabschluss auszugrenzen, sondern um die Notwendigkeit, Bewerberinnen und Bewerber, die für eine duale Berufsausbildung das notwendige literale und basale Rüstzeug mitbringen, überhaupt erst einmal zu identifizieren. Bei den Tests werden somit keine spezialisierten Fachinhalte überprüft, sondern grundlegende Kompetenzen. Es handelt sich um eine Kompetenzfeststellung, die Aufschluss über die Anschlussfähigkeit der für eine Berufsausbildung erforderlichen grundlegenden literalen Fähigkeiten gibt. In dieser Hinsicht verfügen viele Ausbildungsbetriebe über eine ausgewiesene Expertise bei der Kompetenzüberprüfung im Auswahlverfahren von Bewerberinnen und Bewerbern.

      5. Sprachliche MindestanforderungenMindestanforderungen aus Sicht der Wirtschaft

      Die Frage, welche Mindestanforderungen an sprachliche Kompetenzen bei Schulabsolventinnen und Schulabsolventen gestellt werden, beantwortet eine bundesweite repräsentative Online-Unternehmensbefragung des IW Köln (Klein & Schöpper-Grabe 2012a). In der Studie wurden die Unternehmen gebeten, die basalen Grundbildungskompetenzen zu benennen, die Schulabsolventen zwingend zur Aufnahme einer Ausbildung benötigen und die als unverzichtbarer Bestandteil von Grundbildung bezeichnet werden können. Ganz eindeutig hatte die ausreichende Sprachbeherrschung den größten Stellenwert als Voraussetzung zur Aufnahme einer dualen Berufsausbildung neben mathematischen Grundlagen und sozialen und personalen Kompetenzen.

      Mehr als acht von zehn Unternehmen halten diese sprachlichen Kompetenzen für „unverzichtbar“ oder „eher unverzichtbar“:

Deutsch
Informationen einholen Die eigene Meinung begründet vertreten Informationen zusammenfassen Sich konstruktiv und sachlich an Diskussionen beteiligen Gespräche (zum Beispiel Bewerbungsgespräche) situationsangemessen führen Sachverhalte (zum Beispiel einen Unfall) verständlich darstellen Redebeiträge (zum Beispiel Kurzvorträge, Diskussionsbeiträge, Arbeitsanweisungen) verstehen und angemessen wiedergeben Fernseh- und Nachrichteninformationen verstehen Sach- und Gebrauchstexte verstehen und nutzen Informationen aus Texten zusammenfassen Wichtige Informationsträger kennen und nutzen Informationen aus Texten bewerten Grundlegende Lesetechniken kennen und anwenden (zum Beispiel sinnerfassendes Lesen, Überschriften formulieren) Rechtschreibung beherrschen Zeichensetzung beherrschen Wissen, dass unterschiedliche Kommunikationssituationen eine unterschiedliche Sprachverwendung erfordern Schriftlich argumentieren und Stellung nehmen Zwischen unterhaltenden, informierenden und wertenden Texten unterscheiden und die Textabsicht erkennen Berichte und Beschreibungen erstellen Grundregeln der Grammatik kennen und anwenden Schreiben sachgerecht formulieren

      Tab. 1:

      Sprachliche Mindestkompetenzen von Schulabsolventen im Sinne der AusbildungsreifeAusbildungsfähigkeit (Klein & Schöpper-Grabe 2012a:55f.) (n = 911 ausbildungsaktive Unternehmen)

      Die


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