Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule. Doris Kocher

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule - Doris Kocher


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der Storyline-Ansatz in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und verbreitet hat und welche Bedingungen förderlich oder hemmend sind. Hier müssten umfassende Studien durchgeführt werden, die neben fachspezifischen Aspekten auch die jeweiligen länderspezifischen Hintergründe (im Sinne der Bildungskultur) beleuchten. Nichtsdestotrotz werden von einzelnen Storyline International1-Mitgliedern immer wieder kleinere Untersuchungen durchgeführt, wissenschaftlich begleitet und dokumentiert. Interessant und aufschlussreich wäre allerdings, diese im Kontext der internationalen Bildungslandschaft zusammenzutragen, zu systematisieren und miteinander zu vergleichen, um entsprechende Schlussfolgerungen formulieren zu können.

      Nachfolgend sollen einige Beispiele ausführlicher erwähnt werden, die belegen, dass Storyline ein vielseitiges und flexibles Konzept darstellt, welches in alle möglichen (und zunächst auch unmöglichen) Bereiche übertragen werden kann und somit der Heterogenität von Lerngruppen jeglicher Art bestens Rechnung trägt. Wo nicht anders angemerkt, wurden die Informationen im Rahmen von diversen Storyline-Tagungen gewonnen, insbesondere aber durch den jahrelangen persönlichen Austausch mit den Mitgliedern von Storyline International.2

       Schottland: In Schottland wird der Storyline Approach immer noch fast ausschließlich im muttersprachlichen Unterricht der Grundschulen praktiziert, da dort durch das Klassenlehrerprinzip (im Vergleich zur Sekundarschule) flexiblere Lern- und Lehrbedingungen herrschen. Erstaunlich ist jedoch hinsichtlich des Interesses an Storyline eine immer wiederkehrende Wellenbewegung. Vor einigen Jahren zeichnete sich in schottischen Grundschulen (durch neue gesetzliche Vorgaben der National Guidelines 5 to 14) eine neue Entwicklung ab: Von Seiten der Schulverwaltung wurde wieder mehr Wert auf traditionelle Lernergebnisse gelegt, folglich sollten Rechtschreibung und Rechnen verstärkt trainiert werden. Der Storyline Approach bzw. ganzheitliche Lernmethoden generell schienen zu jenem Zeitpunkt für die offizielle Seite wieder an Bedeutung zu verlieren. Steve Bell (2008) illustriert diesen Prozess in seinem so genannten Process-Contents Fork Model, bei dem sich die beiden Extrempunkte „Lerninhalte“ und „Lernprozesse“ – je nach schulpolitischer Situation und curricularer Zielsetzung – einander nähern oder sich voneinander entfernen. Ziel sollte laut Bell sein, dass sich beide Aspekte in Balance befinden.Während in Schottland also zunehmend eine back to the basics-Haltung zu beobachten und das integrative Storyline-Konzept weitgehend aus dem Rampenlicht verdrängt worden war, kann seit etwa 2003/2004, und zwar wieder als Folge von neuen Lehrplanempfehlungen (Curriculum for Excellence), ein neues und zunehmendes Interesse an Storyline festgestellt werden. Der Grund für die „Neuentdeckung“ des Storyline Approach liegt offenbar in der Tatsache, dass die National Guidelines 5 to 14 vor allem in den naturwissenschaftlichen und sozialkundlichen Fächern vollkommen überfrachtet waren, viele Lehrkräfte mehr Autonomie verlangten und mittlerweile auch in der Lehrplanentwicklung wieder ein stärkerer Fokus auf Kreativität, Phantasie und Interdisziplinarität gelegt wird. Das neue Motto heißt: “enterprise education“ (vgl. Brownlow 2007).John MacBeath (2007), Director of Leadership for Learning (The Cambridge Network) an der Universität Cambridge, begründet “the homecoming of Storyline“ (Ebd., 17) wie folgt:It had not merely survived but been immeasurably enriched, with a new vitality that comes from exposure to other cultures, differing conventions and lifeworlds. (...) Storyline has survived the vagaries of political ideology, not only because you can’t keep a good idea down, but perhaps because it had to go away in order to come back. Perhaps (...) it had to re-invent itself, be tested for its adaptability, resilience and sustainability in other climes (Ebd., 17f.).Im Frühjahr 2015 fand die 6th International Storyline Conference ebenfalls in Glasgow statt, und zwar zu dem Rahmenthema One world many stories. Im Jahr 2006 veröffentlichten Bell und Harkness ihr erstes gemeinsames Buch über Storyline und mittlerweile gibt es auch diverse Praxismaterialien. All die Jahre zuvor hatten die beiden ganz bewusst auf die praxisbezogene und handlungsorientierte Vermittlung des Konzepts in Kursen und Seminaren (learning by doing) Wert gelegt und Publikationen als hinderlich befunden.Steve Bells Tochter Pamela hat 2007 in der Nähe von Glasgow eine Storyline-Schule eröffnet, die 2012 bei einer Schulinspektion durch HMIe sehr gute Bewertungen erhielt (vgl. Adamson 2016). Ich selbst besuchte die Schule 2015 und war sehr beeindruckt. Sallie Harkness (2016) konzipiert in Kooperation mit dem Vogelschutzbund auch spezifische Storyline-Projekte zum Thema „Naturschutz“ (outdoor learning).

       England: Abgesehen von Schottland scheint der Storyline Approach innerhalb Großbritanniens eher ein Nischendasein zu führen. Mit ein Grund dafür sind die spezifischen curricularen Bedingungen (National Curriculum). Dennoch sind auch in England einige Schulen bekannt (vor allem in London, Surrey und North Yorkshire), in denen der Ansatz im muttersprachlichen Unterricht3 eingesetzt wird, wohingegen er auch in ganz anderen Bereichen der sozialen Arbeit erfolgreich realisiert wird: beispielsweise in einem durch Pip Tench geleiteten Projekt (Bridging the Gap) in North Tyneside, das Begegnungen zwischen Kindergartenkindern und Menschen in Altersheimen fördert (Tench/Stanton 2001). Mittlerweile wurden von Tench und Stanton auch generationsübergreifende Storyline-Projekte für die Sekundarschule entwickelt (z.B. The Town of the Future oder Trench Warfare). 2006 erhielten sie für ihre generationsübergreifende Storyline-Arbeit von The British Charity den NOJO (Not Older Just Old) Award.4Zum Einsatz von Storyline im Fremdsprachenunterricht liegen keine detaillierten Informationen vor, allerdings begann 2010 in North Yorkshire ein Projekt (Links into Languages), in das drei Sekundar- und fünf Primarschulen im Rahmen des Französischunterrichts involviert sind, um den Übergang zwischen den Schularten zu erleichtern.5

       Island: Da Flexibilität, Autonomie und Kreativität in Island die Säulen der Schulkultur bilden, erfreut sich der Storyline Approach dort großer Beliebtheit und genießt vor allem in den Grundschulen6 einen hohen Bekanntheitsgrad. Insbesondere über Gudmundur Kristmundsson, Professor an der Universität in Reykjavik und Mitbegründer der EED, wurde Storyline zu Beginn der 1980er Jahre über Fortbildungen schnell verbreitet. Nicht wenige Lehrkräfte sind in den vergangenen Jahren nach Glasgow oder zu den International Storyline Conferences gereist, um sich professionell weiterzubilden.7Björg Eiriksdóttir, Maria Steingrimsdóttir und Rosa Eggertsdóttir verbrachten in den 1980er und 1990er Jahren jeweils längere Studienaufenthalte in Glasgow, um Steve Bell bei seiner Arbeit zu begleiten. Anschließend leiteten sie Lehrerfortbildungen im Raum Reykjavik (Eiriksdóttir) und Seminare an der Universität in Akureyri (Steingrimsdóttir und Eggertsdóttir).8 Im Rahmen ihrer Magisterarbeiten führten sie diverse Forschungsprojekte durch, um ihre Arbeit mit Storyline wissenschaftlich zu fundieren und voranzutreiben. 2005 fand an der Universität in Akureyri die erste Icelandic Storyline Conference statt, an der 10 % der etwa 3.400 isländischen Lehrkräfte teilnahmen.9 Laut Eiriksdóttir führen zwischen 25 und 50 % der Lehrkräfte regelmäßig Storyline-Projekte durch, allerdings eher mit jüngeren Klassen. Sie unterrichtet Storyline heute auch an der Universität in Reykjavik.

       Dänemark: Im Jahr 1983 projektierte die Firma LEGO ein neues Pädagogisches Zentrum und lud Steve Bell als Berater ein, der Begleitmaterialien zu den neu entwickelten Konzepten und Bausteinen verfassen sollte und darüber hinaus auch in die Produktion des preisgekrönten Lehrfilms Space Abduction (LEGO Dacta, Hrsg. 1986) involviert wurde. Seit etwa 1988 wurden in Dänemark zahlreiche Storyline-Fortbildungen durchgeführt und teilweise auch mit study tours nach Glasgow verbunden. Cecilie Falkenberg und Erik Håkonsson (2000) publizierten das erste umfassende Buch über Storyline und von verschiedenen Seiten wurden Praxismaterialien veröffentlicht.10Den größten Einfluss auf die Verbreitung des Storyline-Ansatzes in Dänemark hatte die Einführung des neuen Schulgesetzes im Jahr 1991. Dieses bewirkte, dass Projektarbeit verpflichtend und somit examensrelevant wurde. Als Folge wurde der Storyline Approach in das Schulcurriculum explizit aufgenommen, so dass Dänemark jahrelang als Storyline-Zentrum innerhalb Europas galt. Mittlerweile wird Storyline in vielen Vorschulen, jedoch schwerpunktmäßig im fächerübergreifenden, muttersprachlichen Unterricht in den unteren Klassen an der Folkeskole eingesetzt.11 Finn Mosegaard hat in den 1990er Jahren Storyline für das Fach Informationstechnologie adaptiert, um mit Hilfe von Storyline-Projekten auch den sinnvollen Gebrauch des Computers zu vermitteln.Auch


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