Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch). Elena Schäfer

Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch) - Elena Schäfer


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entgegenzuwirken (cf. Kap. 6.3).

      Insgesamt kommt dem modernen Lehrwerk durch die bewusst systematische Aufnahme von Lernvideos eine richtungsweisende Bedeutung zu, die „im günstigsten Fall auch Neuerungen in den Unterricht“ (Quetz 1999, 168) transportiert und belegt, dass Lehrwerk und technischer Fortschritt einander nicht ausschließen. Die überarbeitete Konzeption geht einher mit einer regelrechten Aufwertung des Lehrmaterials, da neben den traditionellen Basiskompetenzen auch die zeitgemäße Schulung des Hör-Seh-Verstehens hinreichend Berücksichtigung findet.

      5 Kompetenzerwerb durch Lernvideos: Diskursfähigkeit, Medienkompetenz und Differenzierungsmöglichkeiten

      Lernvideos leisten in vielerlei Hinsicht einen Beitrag zum fremdsprachlichen Kompetenzerwerb. Ausgehend von den curricularen Forderungen nach einem integrierten Hör-Seh-Verstehen als Teilfertigkeit des Sprachlernprozesses ermöglichen sie eine einzigartige Bündelung von Kompetenzen, deren Zusammenspiel die Ausbildung fremdsprachlicher Diskurs- und Handlungsfähigkeit begünstigt. Letztere umfasst neben funktional-kommunikativen, transkulturellen und Sprachlernkompetenzen auch Sprachbewusstsein und Medienkompetenz. Im Sinne einer individuellen Förderung, die den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Bedürfnissen der Schüler gerecht wird, sollten beim Einsatz von Lernvideos zusätzlich Strategien zu Gunsten eines differenzierten Kompetenzerwerbs herangezogen werden.

      Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung verschiedener Hör-Seh-Beispiele zeigt dieses Kapitel auf, inwiefern Lernvideos den Erwerb der zuvor genannten Kompetenzen unterstützen können. Neben Förderungsmöglichkeiten zur Schulung funktional-kommunikativer Fertigkeiten soll deren Potential als Wegbereiter für transkulturelle Kompetenzen sowie Sprachlernkompetenz, Sprachbewusstheit und Medienkompetenz vorgestellt werden, sodass abschließend auf Szenarien eines differenzierten Kompetenzerwerbs eingegangen werden kann.

      5.1 Förderung funktional-kommunikativer Kompetenzen durch Lernvideos

      Lernvideos haben ein hohes Kommunikationspotential. In Ergänzung zu textbasiertem Lehrmaterial sind sie integraler Bestandteil der Fremdsprachenvermittlung. Zu den Unterrichtszielen zählt jedoch nicht nur das erfolgreiche Decodieren und Interpretieren eines audiovisuellen Inputs. Entscheidend ist, dass der Lerner neben der Anwendung diverser Strategien zur Bildentschlüsselung auch in der Lage ist, auf der Basis des audiovisuellen Inhalts auf unterschiedlichen Ebenen zu interagieren. Dies betrifft insbesondere die Fähigkeit, andere – mündlich, schriftlich oder darstellerisch – am eigenen Hör-Seh-Verstehen teilhaben zu lassen und miteinzubeziehen.

      Die kommunikative Kompetenz umfasst mehrere Teilfertigkeiten und ist in diesem Zusammenhang „eng mit dem Erwerb und der Verfügbarkeit von grundlegenden sprachlichen Mitteln verbunden: Wortschatz, Grammatik, Orthographie, Aussprache und Intonation“ (HKM 2011, 16). Wie im Folgenden veranschaulicht wird, besteht eine enge Verbindung zwischen produktiven und rezeptiven Aufgabentypen der Hör-Seh-Verstehensschulung. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sich deren Entwicklung gegenseitig beeinflusst und unterstützt.

      5.1.1 Rezeptive Kompetenzen

      „Das Verhältnis gesprochener zu geschriebener Sprache [beträgt] in der täglichen Kommunikation […] 95 % zu 5 %“ (Thaler 2007b, 12; cf. Kieweg 2000, 5). Inwieweit diese Pauschalisierung zutrifft, sei allerdings offen gelassen, da nicht alle Sprachen über eine autonome Verschriftlichung verfügen.1 Dennoch unterstreicht das Zitat die Wichtigkeit der gesprochenen Sprache und somit die Funktion des Hörens als notwendige Bedingung für sprachliche Interaktionen und als Teil des sozialen Handelns.

      Audiovisuelle Medien bieten einen sehr guten Zugriff auf authentische und unverfälschte Aussprache, weil sie diverse Register und Varietäten der Zielsprache präsentieren. Für Fremdsprachenlernende ist insbesondere das Kennenlernen von Phänomenen der gesprochenen Sprache (code parlé) von großer Bedeutung. Gerade im Französischen aber auch im Spanischen kommt es im Alltag immer wieder zu Äußerungen, die von der standardisierten Schriftsprache abweichen. Hierbei handelt es sich um teilweise erhebliche Differenzen auf lexikalischer und grammatischer Ebene, um Ellipsen oder Versprecher. Mit Hilfe von Lernvideos können Lernende in ihrem Sprachbewusstsein für eben diese sprachlichen Besonderheiten sensibilisiert werden.2 „Wird dieser Typ von Sprache nicht vermittelt, dann schränkt dies auch das Verstehen […] ein“ (Meißner 2001, 361). Der Sprachlerneffekt ist insofern gegeben, als Lerner darauf vorbereitet werden, spezifische Merkmale der Alltagssprache zu verstehen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf ihre sprachliche Kommunikations- und Handlungsfähigkeit aus und ist von hoher transkultureller Bedeutung (cf. Reimann 2011, 124).

      Die Schulung verschiedener Varietäten und Sprachregister umfasst natürlich auch den systematischen Aufbau einer allgemeinen Hörverstehenskompetenz. In Anlehnung an das zu Grunde liegende Lernziel und Material empfiehlt es sich, zwischen selektivem, Detail- und Globalverstehen zu unterscheiden. Dementsprechend variieren auch die zugehörigen Aufgabentypen zwischen Lückentexten, richtig/falsch-Aufgaben, oder dem globalen Erfassen der Gesamtsituation. An dieser Stelle ist auch denkbar, dass die Bildspur ausgeblendet wird oder Geräuschen Sinn verliehen wird. Ein klassisches Beispiel ist das Hineinfühlen und Vertrautmachen mit (Film-)Musik: Nur ein kurzer Ausschnitt genügt, um Gefühle zu wecken, Assoziationen herzustellen oder Vermutungen über den Film anzustellen.

      Gleichermaßen haben bestimmte Äußerungen von Schauspielern aufgrund von Übertreibungen oftmals einen besonders einprägsamen Charakter, der zum Nachahmen einlädt und daher besonders stimulierend und einprägsam ist.

      Gesellt sich zum Hören noch das Sehen, kommt zur authentischen Sprache die beobachtbare Handlung dazu, paralinguistische Handlungsmerkmale werden sichtbar, aus den disembodied voices werden beobachtbare native-speakers, landeskundliche Elemente werden seh-/einseh-/verstehbar, Bilder können genauere Informationen liefern, visuelle Markierungen fungieren als Erinnerungshilfe, der Weltausschnitt erweitert sich, Lernen wird einsichtiger und motivierender (Thaler 2007b, 12).

      Um den Umgang, d.h. die Decodierung und Identifikation der soeben beschriebenen chaîne parlée visualisée zu schulen, empfiehlt es sich, die Aufmerksamkeit phasenweise entweder auf das Hör- oder Sehverstehen zu legen. Hintergrund ist der, dass das gezielte Ausblenden der Bildspur zu einer erhöhten Konzentration bei der Hörverstehensleistung führen kann. Umgekehrt trägt das Ausblenden der Tonspur zu einer Schärfung des Sehvermögens bei. Voraussetzung ist in beiden Fällen natürlich eine geeignete Aufgabenstellung sowie eine für diesen Übungstyp geeignete Filmszene. Um dies zu gewährleisten, greift das Lehrwerk bzw. das zugehörige Übungsheft in der Regel auf konkrete Beobachtungsaufgaben zurück, die diverse Kategorien betreffen und mithilfe vorgegebener Raster oder Zuordnungsübungen gelöst werden können. Trotz des zuletzt aufgeführten Beispiels werden die Teilfertigkeiten Hör- bzw. Sehverstehen nur in Einzelfällen isoliert berücksichtigt. So genießt vor allem die alleinige Schulung des Sehverstehens einen Ausnahmestatus (e.g. Lernvideo Minotauromaquia – Pablo no laberinto von Juan Pablo Etcheverry in Rutas). Die Regel ist stattdessen ein kombiniertes Hör-Seh-Verstehen, welches als Ausgangspunkt für anknüpfende Aufgaben fungiert.

      Obgleich die Kompetenz des Sehverstehens bislang nur vereinzelt Beachtung durch lernvideobezogene Aufgabentypen findet, obliegt dem Medium ein unvergleichbares Potential hinsichtlich dessen Schulung. Dieses Potential wird umso deutlicher, wenn man das von Reimann vorgeschlagene integrative Modell des Sehverstehens auf Lernvideos überträgt.3 Demnach vermag der Einsatz von Lernvideos die Sphären des interkulturellen und des analytisch-interpretatorischen Sehverstehens zusammenzuführen. Infolgedessen öffnet sich der Fremdsprachenunterricht für neue, bislang vernachlässigte Dimensionen des Sehver­stehens, die sich von der visuell-nonverbalen Ebene, dem konversationellen Kontext und künstlerisch-modellierten, kulturgebundenen Visualisierungs- und Deutungskonventionen über statische und bewegte Bilder bis hin zur Diskontinuität von Texten (Lese-Seh-Verstehen) erstrecken (cf. Reimann 2014b, 213sqq.; 2016, 26sqq.).

      Diese und weitere rezeptiv angelegte Übungsdimensionen ergeben sich sowohl durch eine intensive Rezeptionsschulung als auch durch die Arbeit mit ausgewählten Zusatzmaterialien. Letztere stehen mit dem Erwerb der Lernvideos zur Verfügung und


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