Eros und Logos. Группа авторов
wird die Aufhebung der Grenze zwischen Mensch und Gott in der wesensmystischen Aussage des Bräutigams an die Braut: „Froͮw sele, ir sint so sere genatúrt in mich, das zwúschent úch und mir nihtes nit mag sin“ (I, 44, 64). Ruh und Langer erinnern vor diesem Hintergrund an ein zeitgenössisches Gutachten (1270/73) von Albertus Magnus, das deutlich machte: „Zu sagen, daß die Seele aus der Substanz Gottes genommen sei, ist manichäische Häresie.“25
Abgesehen von der gefährlichen Gratwanderung Mechthilds zwischen der theologischen Korrektheit und Ketzerei erscheint die Liebe auch in anderen Kapiteln als das eigentliche Wesen bzw. die Substanz Gottes. So wird beispielsweise Gott im siebenfachen Lob Gottes durch die Seele als Liebe gepriesen: „Ich lobe dich mit dir selben in der minne“ (III, 2, 160). Dass sie auch der menschlichen Seele nicht einfach eigen ist, sondern sie ausmacht, lässt die Liebe aus der menschlichen Sicht als etwas mehr als bloßen Konvergenzpunkt der Schöpfung erscheinen. Dieser sich aus der Partizipation an der Essenz Gottes ergebende Unterschied wird bereits im ersten Buch verdeutlicht. Im allegorischen vierundvierzigsten Kapitel sucht die nach dem Verlobungstanz erhitzte Seele Kühlung bei ihrem Bräutigam. Die Sinne bemühen sich, sie davon mit dem Verweis auf die alles verbrennende glühende Hitze der Gottheit abzuhalten. Die Seele weist aber die Bedenken zurück, indem sie die Kongruenz der Naturen, Gottes und ihrer eigenen in den Mittelpunkt rückt:
Der visch mag in dem wasser nit ertrinken, der vogel in dem lufte nit versinken, das golt mag in dem fúre nit verderben; wand es enpfat da sin klarheit und sin lúhtende varwe. Got hat allen creaturen das gegeben, das si ir nature pflegen, wie moͤhte ich denne miner nature widerstan? Ich muͤste von allen dingen in got gan, der min vatter ist von nature, min bruͦder von siner moͤnscheit, min brútegoͮm von minnen und ich sin ane anegenge. (I, 22, 62)
Ihre prägnanteste und dichterisch ansprechendste Form fand die Idee in der süßen Sehnsuchtsklage („suͤsse[n] jamerclage“): „Wer von minnen stirbet, den sol man in gotte begraben“ (I, 3, 26).
Die Schilderung der Schöpfung legt ein beredtes Zeugnis davon ab, wie tief das Sezieren der Liebe durch Mechtild geht. Die Mystikerin begnügt sich nicht mit Oberflächlichkeiten und Allgemeinheiten; vielmehr unterzieht sie die Liebe einer Vivisektion, bis sie beruhigt sagen kann: „Herre, din bluͦt und min ist ein, unbewollen –/ din minne und minú ist ein, ungeteilet“ (II, 25, 134).
Mechthilds Vorliebe für Entdeckung und Beschreibung von immer neuen Funktionen, Modi und Aspekten der Minne, die letztlich auf eine eigenartige Systematik hinausläuft, hat ihren Grund im hier hervorgehobenen Zusammenhang zwischen Liebe und Erkenntnis: „Minne ane bekantnisse dunket die wisen sele ein vinsternisse, bekantnisse ane gebruchunge dunket si ein hellepin, gebruchunge ane mort kan si nit verklagen.“ (I, 21, 38) Die Überzeugung von ihrem sinnlichen Charakter durchzieht Mechthilds Werk vom ersten bis zum letzten, siebenten, Buch. Gleichgültig, ob die Liebe – wie im ersten Buch – der Erkenntnis die Tür öffnet,
Ich mag nit tanzen, herre, du enleitest mich. Wilt du, das ich sere springe, so muͦst du selber vor ansingen; so springe ich in die minne, von der minne in bekantnisse, von bekantnisse in gebruchunge, von gebruchunge úber alle moͤnschliche sinne. Da wil ich bliben und wil doch fúrbas crigen. (I, 44, 60)
oder – wie im siebten – deren Voraussetzung darstellt,
Sus sin wir aber mit gotte vereinet in annemmelichet liebin und demuͤtiger dankberkeit. […] So wirt únser herze minnenvol, so werdent únser sinne geoffenet und so wirt únser sele also clar, das wir sehen in die goͤtlichen bekantnisse als ein mensche sin antlize besihet in eime claren spiegel (VII, 7, 544, 546)
es bleibt der Weg der Liebe mit dem Weg der Erkenntnis aufs engste verknüpft. Dies betrifft alles, sogar Gott, der – auf welche Art auch immer – wahrnehmbar und sinnlich greifbar sein muss: „An einem gedachten Gott ist Mechthild nicht interessiert, sie sucht den in den Affekten und mit den verwandelten Sinnen unmittelbar erfahrbaren Gott.“26 „[D]ú wise minne hat bekantheit“ (II, 11, 98) stellt sie im zweiten Buch des Fließenden Lichts fest. Nur „die bekante minne git sich allen creaturen gemeine“ (III, XXIV, 222); nur die „erkennende Liebe“ ist fähig, die Fesseln des Irdischen zu sprengen, zu Gott hinaufzusteigen oder den himmlischen Bräutigam unwiderstehlich an sich zu ziehen, und ihn nach sich schmachten zu lassen.
Erst mit der Verwundung beginnt die wahre Liebe, sagt Gott im angeführten Zitat (III, 9). Die Erkenntnis der Unvermeidbarkeit des Leids ist bei Mechthild ein fester Bestandteil des Schreckens der Liebe (III, 24, 222), der eine notwendige Erfahrung jeder edlen, von „zergenglichen dingen“ (III, 24, 222) befreiten, Gott suchenden Seele ist. Dies ist auch die ultimative Rekapitulation des die Liebe und Erkenntnis einschließenden Programms, das zwei Engel der Seele im letzten Buch des Fließenden Lichts verraten: „Wir wellen dich bringen von pine ze pine, von tugenden zuͦ tugenden, von bekantnisse zuͦ bekantnisse, von minnen ze minne.“ (VII, 9, 550)
Schlussfolgerungen
Alle einzelnen Aspekte und Funktionen der Liebe erscheinen bei Mechthild als eigentümliche Inszenierungen, die den Allzusammenhang in der Liebe deutlich machen:
Dis buͦch ist begonnen in der minne; es sol oͮch enden in der minne, wand es ist niht also wise noch also helig noch also schoͤne noch also stark noch also vollekomen als die minne. (IV, 28, 312)
Die Mystikerin selbst vertrat den Standpunkt, über die ihr geoffenbarten Dinge sprechen zu müssen („Ich muͦs sprechen got ze eren und oͮch durch des buͦches lere“ [IV, 2, 228]). So verwickelte sie sich in eine paradoxe Situation: Sie fürchtete Gott, wenn sie nicht geschrieben hätte, sie fürchtete aber auch die Reaktionen der Menschen, wenn sie schrieb („Ich han da inne ungehoͤrtu ding gesehen, als mine bihter sagent, wan ich der schrift ungeleret bin. Nu voͤrhte ich got, ob ich swige, und voͤrhte aber unbekante lúte, ob ich schribe.“ [III, 1,148]). Sie war sich darüber im Klaren, dass eine Lehre, die den Aufstieg der Seele zu ihrem Einswerden mit Gott und darüber hinaus, ohne Vermittlung der Kirche, mitunter im Widerspruch zu deren bindenden Auslegung, auf Widerstand stoßen konnte. Trotzdem teilte sie mit, was sie glaubte geoffenbart bekommen zu haben: dass die Liebe der Weg zu Gott sei, dass sie den gemeinsamen wesenhaften Nenner darstelle, der Gott und den Menschen zusammenbringe; dass dem Ruf der Liebe nicht folgen zu wollen, ein Leben bedeute, in dem es keinen Platz für Erkenntnis und Freiheit gebe.1
Bibliographie
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Albrecht Classen, „The Quest for Knowledge Within Medieval Literary Discourse: The Metaphysical and Philosophical Meaning of Love”, in: ders. (Hrsg.), Words of Love and Love of Words in the Middle Ages and the Renaissance, Medieval and Renaissance Texts and Studies, 347, 2008, S. 1–51 (Tempe: Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies).
Alois Maria Haas, „Mechthild von Magdeburg. Dichtung und Mystik: Struktur der mystischen Erfahrung“, in: ders.: Sermo mysticus. Studien zur Theologie und Sprache der deutschen Mystik (Dokimion. Neue Schriftenreihe zur Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Bd. 4), Universitätsverlag, Freiburg/Schweiz, 1979, S. 67–103.
Otto Langer, Christliche Mystik im Mittelalter. Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2004.
Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. 3: Blüte. Männer und Frauen der neuen Mystik (1200–1350), übers. von Bernardin Schellenberger, Herder, Freiburg i. Br./Basel/Wien, 1999.
Mechthild von Magdeburg, Das fließende