Eros und Logos. Группа авторов

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ausufernde Ekstatik des Liebeserlebnisses, aus der sich auf einer höheren Stufe dessen paradoxe Ambivalenz ergibt. Für die durch Gott liebevoll gegrüßte Seele stellt die traditionell höchste Stufe der mystischen Erfahrung, die unio mystica, d.h. die in Form einer mystischen Hochzeit vollzogene Vereinigung mit Christus als Bräutigam, hier lediglich eine Zwischenetappe dar. Die Bewusstwerdung der verworfenheit der Liebe, deren Ausformung Kurt Ruh übrigens für den originellsten Beitrag Mechthilds hält4, führt zur freiwilligen Entfernung von Gott als Folge des graduell verlaufenden Entfremdungsprozesses. Als der Aufstieg in einen Abstieg umschlägt, sinkt die Seele in die Tiefe ab. Ihre „sinkende Demut“ lässt sie bis auf den Grund der Hölle fallen, wo sie einen Platz unter Lucifers Schwanz einnimmt.

      und bringet si denne an die stat, da si nit fúrbas mag, das ist under Lucifers zagel. Moͤhte si denne in der gerunge nach irem willen gotte ze eren da wesen, da woͤlte si nút fúr nemen. (V, 4, 328)

      Der Gedanke, dass die freiwillige, Gott zuliebe erlittene Not eine Steigerung der Liebe bedeutet, lässt sich bei Mechthild relativ früh finden. Einige Forscher5 vermuten hinter dieser systemischen Denkfigur, die im Endeffekt darauf hinausläuft, die angenommene Qual als das schlechthinnige Glück der Seele zu verstehen, einen Nachhall der Idee der resignatio ad infernum. Diese später besonders durch Luther popularisierte Anschauung, die von den Gläubigen sogar bedingungslose Akzeptanz der Verwerfung durch Gott fordert, wird im dritten Buch des Fließenden Lichts als eine „dialektische Versöhnung“6 von Liebe und Erniedrigung thematisiert: „von minnen wirt man schoͤne und lobesam, von smacheit wirt man vil hohe in gotte erhaben“ (III, 24, 220, 222): „Das Heilsgeschehen setzt Freiheit voraus, die resignatio ad infernum ist ein Akt der Selbstverantwortung.“7 Mit ihr schließt die große Epopöe, deren eigentlicher Sinn die Reifung der Seele ist. Sie kann zwar mittelfristig durch die Entbindung vom Körper geschehen; letztendlich führt aber kein Weg an der Selbstaufgabe der Seele vorbei:

      Als si alsus ufgestigen ist in das hoͤhste, das ir geschehen mag, die wile si gespannen ist ze irme lichamen, und har nider gesunken ist in das tieffeste, das si vinden mag, so ist si denne vollewahsen an tugenden und an helikeit. (V, 4, 330)

      Der hier grob skizzierte Prozess vermittelt zwar erste Einsichten in die eindrucksvolle Spannbreite des Erotischen im Fließenden Licht, sagt aber wenig über den systemischen Ansatz Mechthilds mit all den einzelnen Etappen, Stufen und Facetten aus. Und die Mystikerin entpuppt sich hier als Morphologin und Systematikerin der Liebe, die nach scholastischer Art gern katalogisiert und systematisiert, schlechthin. So unterscheidet und charakterisiert sie u.a. sieben Stationen der Liebe (I, 44), sieben Formen der Gottesliebe (II, 11), sechzehn Arten von Liebe (III, 13), sieben Formen der Liebe (III, 24), zwanzig Wirkkräfte der Gottesliebe (V, 30), zehn Wirkkräfte der Liebe (V, 31), vier Eigenschaften der lauteren Liebe (VI, 30), sieben Aspekte des Liebesbegehrens (VII, 45) u.a.m. Das typologische Dickicht macht den Eindruck, als ginge es um die Fundierung einer Wissenschaft der Liebe, eine Tendenz, deren Ursprung womöglich teilweise in der wissenschaftsfreundlichen Atmosphäre Helftas in der Zeit der Äbtissin Gertrud von Hackeborn zu suchen wäre. Trotz ihrer Überzeugung, dass „wenn der Eifer für die Wissenschaft verloren geht, so werde auch die Pflege der Religion aufhören“8, war das Fließende Licht für das auf dem materialistischen Axiom aufbauende 19. Jahrhundert verständlicherweise schon eindeutig dem „Gebiet der Poesie als der Wissenschaft”9 zuzuordnen:

      Poesie sind diese Ergüsse einer entzückten Seele und entbehren desswegen aller jener Formen der Wissenschaft, welche so oft nur zu sehr von dem Schönen sich entfernen. Es finden sich daher auch keine Citate, nicht einmal solche aus der heiligen Schrift, denn da ist Alles nur unmittelbare Schilderung innerer Seelenzustände.10

      Gleichwohl darf man die Tatsache nicht ignorieren, dass Mechthilds systematischer Einsatz nicht nur nicht im Widerspruch zum dichterischen Charakter ihres Werks steht, sondern ihn erst recht ermöglicht. Man nehme als Beispiel das achtzehnte Kapitel des siebten Buches von den „sieben Tageszeiten, die der Marter unseres Herrn gedenken“, in dem die Ordnung der Zeiten ein Anlass für ausgedehnte Metaphorisierungsmaßnahmen, Bilderreichtum und fortgeschrittene Literarisierung der Sprache ist.

      Die Liebe beschreibt Mechthild, indem sie sich generell der Metapher eines Weges bedient, der allerdings alles andere als einheitlich oder strikt auf einen Punkt ausgerichtet ist. Seine Heterogenität setzt nicht nur verschiedene Stufen und Etappen, sondern auch eine Vielfalt der Ziele voraus. Dass es sich am Ende dennoch um den einen Weg handelt, gibt den universellen Zusammenhang allen Streben, Dinge und Erscheinungen in Gott wieder.

      Paradigmatisch für die Ekstatik der liebevollen Vereinigung der Seele mit Gott steht der Verlauf ihrer Reise an den Hof des Herrn:

      So wiset er ir mit grosser gerunge sin goͤtlich herze. Das ist gelich dem roten golde, das da brinnet in einem grossen kolefúre. So tuͦt er si in sin gluͤgendes herze. Alse sich der hohe fúrste und die kleine dirne alsust behalsent und vereinet sint als wasser und win, so wirt si ze nihte und kumet von ir selben. Alse si nút mere moͤgi, so ist er minnesiech nach ir, als er ie was, wan im gar zuͦ noch abe. So sprichet si: »Herre, du bist min trut, min gerunge, min vliessender brunne, min sunne und ich bin din spiegel.« (I, 4, 26, 28)

      Das spielerisch-erotische Fundament der Szene bildet die für Mechthilds Ansatz wesentliche Komponente der Gegenseitigkeit.11 Die Liebe stellt für die Seele nicht nur den Anlass dar, sich auf den Weg zu ihrem Geliebten zu machen, sondern lässt auch den himmlischen Bräutigam schmachtend nach ihr glühen.12 Auf dem Höhepunkt des Liebesaktes wird die Seele durch Gott berührt, wodurch sie aus allen weltlichen Bindungen gerissen und ins Himmlische und Zeitlose (Vorzeitliche?) entrückt wird. Die betörende, sowohl die Sinne als auch das Bewusstsein raubende Wonne des Einswerdens darf jedoch nicht von Dauer sein. Der abrupte Abbruch der Liebesvereinigung ist unumgänglich13, zum einen, weil es der Natur der Liebe entspreche, sich im Feuer des Trennungsschmerzes zu bewähren und durch das Streben nach der Wiederherstellung der verlorenen Glückseligkeit immer höhere Stufen zu ersteigen („Wiltu liep haben, so muͦstu liep lassen“ [II, 23, 118]); zum anderen, weil das freie Schweben der Seele auf ihrem minneweg zu Gott wegen ihrer Körperverhaftung und Weltverfallenheit14 nur auf tagtraumgleiche Momente der Entrückung beschränkt bleiben müsse:

      wenne der endelose got die grundelosen selen bringet in die hoͤhin, so verlúret sú das ertrich von dem wunder und bevindet nút, das si ie in ertrich kam. Wenne das spil aller best ist, so muͦs man es lassen. So sprichet det bluͤjende got: »Juncfroͮ, ir muͤssent úch neigen.« So erschrikket si: »Herre, nu hast du mich hie so sere verzogen, das ich dich in minem lichamen mit keinem orden mag geloben, sunder das ich ellende lide und gegen dem lichamen strite.« (I, 2, 22)

      Die hier geschilderte Erfahrung ist für die Seele prägend. Sie stellt den Ansporn für ihre groß angelegte Weltflucht als Ergebnis der Verwirklichung eines lebenspraktischen Programms, dessen Eckpunkte bereits im ersten Buch festgelegt sind, dar: „Swelch moͤnsch die welt úbersiget und sime lichamen allen unnútzen willen benimet und den túvel úberwindet, das ist die sele, die got minnet.“ (I, 1, 32)

      Das schwierige Unterfangen bekommt im mystischen Idiom Mechthilds die Form eines erbitterten Kampfes gegen den die Liebe vergiftenden „hündischen Leib“ („huntlichen lichamen“ [II, 23, 116]), „der tote hunt, min lichamen“ [III, 5,170]). Er ist ein gefährlicher, bewaffneter „Feind“, der von Natur aus am Diesseits klebt, d.i. mit seinen Bedürfnissen die Kommunikation zwischen der Seele und der geistigen Welt beeinträchtigt oder gar vereitelt und mit seinen kleinen Freuden vom Wesentlichen ablenkt. Um seine störende Vitalität zu brechen, wird er permanenten Qualen unterzogen:

      do sach ich minen lichamen an; do was er gewaffent sere uf mine arme sele mit grosser vollede der starken maht und mit vollekomner naturen kraft. De sach ich wol, das er min viant was (IV, 2, 236).

      Einsichten in die beklemmende Grausamkeit der Praktiken jener übrigens bei Mechthild sehr reale Gestalt annehmenden Mortifikation vermittelt die Begine im vierten Buch:

      Do sach ich oͮch miner sele wafen an; was dú here matter únsers herren Jhesu Christi. Da mitte werte ich mich. Do muͦste ich steteklich in grossen vorhten stan und muͦste alle mine jugent grosse schimeschlege uf minen lichamen


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