Eros und Logos. Группа авторов
konzentriere mich zunächst auf Dietrichs von der Gletze Der Borte, wende mich dann Ruprechts von Würzburg Die Treueprobe zu, um schließlich Heinrich Kaufringers Die Suche nach dem glücklichen Ehepar anzugehen. Es handelt sich jeweils um einen narrativen Versuch, das Verhältnis zwischen Mann und Frau innerhalb einer Ehebeziehung auszuloten und auf ironische Weise Missverständnisse, persönliche Eitelkeiten, Minderwertigkeits-komplexe, Angstzustände und Unsicherheiten zu diskutieren. Während die höfische Lyrik weitgehend allein aus männlicher Sicht nur solche Liebesbeziehungen aushandelte, die nicht ehelich bestimmt waren, und während die höfischen Versromane zwar auch Eheverhältnisse berücksichtigten, diese aber nur im Hintergrund behandelten, geht es bei sehr vielen spätmittelalterlichen mæren viel mehr um die Frage, wie das persönliche Verhältnis zwischen den Geschlechtern austariert werden konnte trotz zahlreicher Konflikte individueller und sozialer Art, wobei der jeweilige Erzähler stets die Intention verfolgte, sein (oder ihr?) Publikum zu unterhalten und intellektuell herauszufordern.8
Genauso wie in der Gegenwart erwies sich bereits in der Vormoderne die Ehe als ein Ort zahlreicher Konflikte zwischen den Geschlechtern. Ganz gleich, ob eine Ehe freiwillig geschlossen oder von den Eltern arrangiert wurde, so behandeln doch die mæren-Autoren das Verhältnis zwischen Mann und Frau durchwegs und konsistent als problemgeladen und schwierig, sei es, weil einer der Ehepartner unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, sei es, weil die Kommunikation zwischen ihnen nicht reibungslos funktioniert, oder sei es, weil materielle Schwierigkeiten die guten Beziehungen zwischen den Partnern zu stören drohen. Dazu kommen oftmals Altersunterschiede, die Interessen von Außenstehenden, mithin Ehebruch, Gewaltausbruch etc. Natürlich beobachten wir allenthalben noch viele andere Konflikte, vor allem häusliche Gewalt, diverse Formen der Misshandlung, sexuelle Verführungen, Bedrohungen von außerhalb und, was ein kontinuierliches und überall wahrnehmbares Problem ausmacht, Missverständnisse, Eifersucht, Angst und Sehnsucht. Wenn man die Fülle von mæren genauer betrachtet, wirkt es schließlich geradezu erstaunlich, wie verwandt die Anliegen zu denjenigen sind, die uns heute weiterhin beschäftigen. Wir lachen und klagen mit den Protagonisten und können erstaunlich leicht nachvollziehen, warum es zu Konflikten kommt und warum sich die dann gebotenen Lösungsvorschläge als produktiv erweisen, d.h. sogar anwendbar für unsere eigene Welt.
Zwar sind all diese Verserzählungen durch die sie tragenden historisch-kulturellen Bedingungen geprägt, denn sie spiegeln eindeutig die Welt des europäischen Spätmittelalters wider, aber wir bedürfen nur weniger Übersetzungsanstrengungen, um schnell wahrzunehmen, dass auch diese literarischen Werke für die eigene Gegenwart von Relevanz sind und Bedeutung besitzen. Gerade weil sie sich alle durch einen gewissen Grad an Fremdheit auszeichnen, die aber nicht unüberwindliche Hürden ausmacht, vermögen sie selbst heute noch ausgezeichnet als literarische Medien zu dienen, um zeitlose Fragen anzugehen und kritisch zu behandeln.9
Obwohl wir uns hier auf deutschsprachige Beispiele beziehen, darf niemals vergessen werden, dass es sich um ein pan-europäisches Phänomen handelt, das stark beeinflusst, geprägt und gestaltet wurde durch so große Dichter wie den anonymen Verfasser der Gesta Romanorum (spätes 13. oder frühes 14. Jahrhundert), dann den Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach (Dialogus Miraculorum, ca. 1220) und den italienischen Renaissance-Gelehrten Giovanni Boccaccio (Decamerone, ca. 1351). Gerade letzter wurde stark in ganz Europa rezipiert, wie Geoffrey Chaucers Canterbury Tales (ca. 1400) und die Sammlung Cent Nouvelles Nouvelles (ca. 1450–1460) beweisen, und wie wir es zahlreich auch in deutschen mæren und dann Schwänken beobachten können.10
Viele andere Namen und Werktitel wären hier noch zu erwähnen, es genügt dies alles aber bereits, um deutlich zu machen, wie intensiv besonders im Spätmittelalter auf diesem literarischen Gebiet die Themen von Liebe, Ehe, Sexualität und dann natürlich viele andere damit zusammenhängende Problemen zwischenmenschlicher Art behandelt wurden. Der Diskurs jener Zeit appelliert weiterhin an uns heute, zwar nicht als eine direkte Antwort auf moderne Fragen oder Konflikte, dafür aber als ein relativ fremder, dennoch signifikanter Spiegel menschlicher Verhaltensformen.11 Allerdings beschränken sich weder Boccaccio noch Chaucer, weder Kaufringer noch Poggio Bracciolini – siehe auch Franco Sacchetti, Johann Pauli, Marguerite de Navarre etc. – bloß auf das erotische Element, sondern führen von dort meistens schnell zu ethischen, religiösen, moralischen oder politischen Aspekten über, womit gerade die Erotik sich als ein Katalysator erweist, um globale soziale oder emotionale Probleme anzusprechen, die die Harmonie der spätmittelalterlichen Gesellschaft zu gefährden drohen. Gerade deswegen ist die Fülle von diesen Erzählungen bis heute höchst attraktiv geblieben, weil sie präzise die horazische Regel in die Tat umsetzen, auf der Grundlage von delectatio das prodesse nahezubringen. Schließlich trifft universal gesehen zu, dass uns immer schon Erotik interessiert hat, die parallel zu Religion ausschlaggebend alle Gesellschaften stark bestimmt hat. Aus der literarischen Unterhaltung oft pikanter Art entsteht dabei ein wichtiger Diskurs über philosophische oder theologische Anliegen.
II
In den letzten Jahren hat man sozusagen Dietrichs von der Gletze Der Borte neu entdeckt, ein mære, in dem der Erzähler ungemein spannende und bis heute wichtige Fragen zum Verhältnis von Mann und Frau aufwirft und sogar die Aufmerksamkeit auf das Thema ‚Homosexualität‘ lenkt, ohne dass diese tatsächlich als identifizierbares Phänomen auftreten würde. Der Erzähler entwirft vielmehr eine Situation vor unseren Augen, in der die Ehefrau, die sich als Mann verkleidet hat, um ihren Mann wieder zurückzugewinnen, ihm vorwirft, sich schändlicherweise bereit erklärt zu haben, einen homosexuellen Akt zu begehen, um materiellen Gewinn daraus zu schlagen.1
Die Handlung basiert auf dem Problem des männlichen Protagonisten Kuonrât, dass er wohl wegen seiner jungen Jahre noch nicht genügend gesellschaftliches Ansehen erworben hat, weswegen er sich von seiner Frau verabschiedet, um in der Nähe an einem Turnier teilzunehmen. Während seiner Abwesenheit begibt sie sich in einen wohl topisch aufzufassenden Garten, als sich ein fremder Ritter nähert und um die Gunst der Dame wirbt, die sich aber standhaft weigert, sie liebt ja ihren Mann und hat kein Interesse selbst an magischen Tieren (Windhunde, Jagdfalke, Pferd), mit denen jeder Besitzer leicht größte Ehre am Hof erwerben könnte. Erst als er schließlich seinen Gürtel anbietet, der demjenigen, der ihn trägt, überall den höchsten Preis eintragen würde – „Der wirdet nimmer êren blôz“ (V. 309)2 – kann sie nicht mehr standhalten, weil sie genau diesen Gürtel für ihren Ehemann gewinnen möchte.
Sie gibt sich also dem Ritter hin, worauf sie all seine wertvollen Tiere und den Gürtel erhält, womit sie später die höchsten Triumphe feiern kann. Wieso sie auf die ersten Angebote nicht eingeht, die ja den gleichen Effekt gehabt hätten, und erst dann nachgibt, als der Ritter den Gürtel anbietet, bleibt unerfindlich, es sei denn, wir akzeptierten die hohe symbolische, nämlich erotische Bedeutung eines Gürtels. Der Erzähler spielt offenkundig mit den unterschiedlichen Aussageebenen dieser Objekte/Tiere und kitzelt sozusagen die erotische Phantasie des Publikums, ohne eindeutige Erklärungen zu bieten.
Das mære problematisiert aber sogleich diese Situation, denn die Dame sendet gerade nicht eine der Neuerwerbungen zu ihrem Mann, womit ihm sofort geholfen wäre. Sie wird vielmehr von einem Diener heimlich beobachtet, der darauf Kuonrât verrät, seine Frau habe Ehebruch begonnen, was formal gesehen stimmt. Dies bringt den letzteren dermaßen in Rage, dass er sich entfernt, sich zum Hof von Brabant begibt und dort verharrt, ohne jeglichen Versuch zu unternehmen, mit seiner Frau zu kommunizieren oder zu verhandeln. Diese wartet zwei Jahre geduldig, aber vergeblich, auf ihn und folgt ihm schließlich, verkleidet sich aber als Mann und taucht dann in Brabant als Heinrich von Schwaben auf, der überall den Sieg davonträgt, besitzt er/sie ja diese Wundertiere – vom Gürtel ist zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr die Rede. Genau dies trifft aber Kuonrât empfindlich, verlangt es ihn ja offensichtlich mehr als jemals zuvor danach, endlich die ersehnte Anerkennung als Ritter zu gewinnen, die ihm offensichtlich bis zu diesem Moment vorenthalten worden ist.
Als die beiden neuen ‚Freund‘ in einer Kriegssituation gemeinsam einen Posten beziehen und somit ungestört sind, bittet Kuonrât den Fremden darum, ihm eines der Wundertiere zu schenken, die dieser noch nicht einmal dem Herzog hatte verkaufen wollen. Nach einigem Hin und Her scheint es aber zu einer Einigung zu kommen, denn