Eros und Logos. Группа авторов
aufmerksam gemacht wird. Am Ende wird ihm sogar deutlich vor Augen geführt, dass seine eigenen Probleme kaum wert sind, erwähnt zu werden im Vergleich zu denen, unter denen die vermeintlich glücklichen Ehemänner zu leiden haben. Sobald er diese Erkenntnis erworben hat, kehrt er sofort zu seiner Ehefrau zurück und akzeptiert von da an ihre persönliche Schwäche, während er nachgibt und seine Feierfreude zum Teil zurücknimmt. Sie besitzt, wie der Suchende lernen muss, Ehre und öffentliches Ansehen, und ihre Sparsamkeit sei im Grunde kaum ein Charakterfehler im Vergleich zu den Schwächen anderer Frauen. Im Laufe der Zeit erweist sich, dass sich die Spannungen zwischen ihnen aufzulösen beginnen, weil sich die Gegensätze abmildern und sich so am Ende doch eheliche Freude einstellt. Es geht also grundsätzlich um die Suche nach individuellem und sozialem Glück, das eigentlich viel näher liegt, als der Protagonist meint, denn auch wenn er selbst am Ende nicht vollkommen mit der Sparsamkeit seiner Frau zufrieden ist, weiß er sie doch nach seinen Erfahrungen in der Fremde viel mehr zu schätzen und kann so ein zufriedenes und freudenreiches Eheleben mit ihr führen.1
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Insgesamt liegt uns mit der Analyse dieser drei mæren interessantes Belegmaterial vor, das uns gut vor Augen führt, wie stark sich gerade der Themenkomplex von Liebe, Ehe und Sexualität im Spätmittelalter als ein Objekt kritischen Diskurses herausstellte.1 Eindeutige Negativurteile fallen aus, wenngleich viel gelacht und kritisiert wird. Wenngleich das Augenmerk oftmals auf dem Körperlichen ruht, besteht doch das zentrale Anliegen darin, die konstruktive Beziehung zwischen Frau und Mann als das Ergebnis von vielen kommunikativen Bemühungen zu identifizieren, wobei es meistens gar nicht so sehr um Sex geht, sondern um Ehre, gegenseitige Anerkennung und Unterstützung und darum, die Schwächen und Stärken des jeweils anderen wahrzunehmen und möglichst durch den Einsatz eigener Methoden zu kompensieren, ohne übermäßig zu kritisieren oder sogar den anderen rundherum zu verurteilen.
Wenn wir noch andere Beispiele heranziehen würden, könnten wir gut feststellen, dass in dieser Gattung viel gelacht wird, insoweit als die erotische Paarbeziehung in ihrer Konstruktion bloßgestellt und doch als eine wesentliche Plattform für das gesellschaftliche Zusammenleben der zwei Geschlechter akzeptiert wird.2 Deutlich kommt immer wieder zum Ausdruck, mit welchen Herausforderungen und Schwierigkeiten das Individuum innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen hat, in der oftmals ökonomische oder politische Interessen mehr überwiegen als ethische und moralische Ideale, ohne die aber das wahre Glück innerhalb der Ehe nicht zu erzielen zu sein scheint.
Auf den ersten Blick könnte die Gefahr bestehen, die Fülle an mæren bloß als Puzzlestücke eines sich ausfächernden literarischen Diskurses zu identifizieren.3 Nimmt man aber noch mehr Beispiele in Augenschein, als es hier möglich gewesen wäre, stellt man hinter der Maske des Komischen deutlich fest, wie intensiv nach persönlicher Erfüllung und Freude sowohl alleine als auch insbesondere innerhalb einer Ehebeziehung gestrebt wird. Diese Einsicht hilft uns, nicht nur größeres Interesse an den Vertretern dieser Gattung zu gewinnen, sondern außerdem auch eine Brücke zwischen dem Spätmittelalter und der Moderne zu schlagen, denn die Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern setzt sich ja fort und verlangt immerfort neue kritische Ansätze, um auch die tiefsten Feinheiten in dieser konfliktuösen, aber produktiven Konstellation wahrzunehmen, diese zu akzeptieren und dann zu lernen, mit den unterschiedlichsten Aspekten konstruktiv umzugehen.
Auf diese Weise lernt auch der moderne Leser, diese literarischen Werke des Spätmittelalters in ihren zeitlosen Qualitäten wahrzunehmen, in denen dieser alte Diskurs selbstverständlich fortgesetzt wurde, wenngleich sich die thematische Orientierung zunehmend vom Hof in den bürgerlichen Bereich verlagerte. Die traditionellen Motive wie Misogynie, Minderwertigkeitskomplexe, Eifersucht, Geldgier etc. blieben aber letztlich die gleichen, und so auch die unablässige Suche nach dem Glück für das Individuum und für ein Ehepaar.
Das mære erweist sich mithin als ein höchst bemerkenswerter literarischer Ratgeber in Hinsicht auf die Erotik, Sexualität, das Eheleben und vielerlei soziale Konflikte. Das soziale Zusammenleben fand sich bereits damals aufgehoben und getragen von dem Bedürfnis des Individuums nach Gemeinschaft, nach der Erfüllung körperlicher Bedürfnisse, nach Kommunikation, gegenseitigem Respekt und schließlich auch Liebe. Die Autoren dieser mæren verraten uns, wie eindringlich all diese Aspekte im 14. und 15. Jahrhundert öffentlich diskutiert wurden, wobei jedoch zunehmend die erotische und sexuelle Komponente sich als Medium erwies, um ethische, epistemologische, soziale und philosophische Fragen im komischen Kontext zu diskutieren.
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