Eros und Logos. Группа авторов
nach des Claudiani lateinischen (1697) und Christian Hölmanns Abbildungen der Schooß (1704).
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die vier Claudian-Rezeptionen in „dichten“ intertextuellen Lektüren vorzustellen. Gezeigt werden soll, mit welchen Aneignungsstrategien5 die Bearbeitungen die Vorlage nachahmen oder überbieten, ganz nach den barocken Prinzipien der imitatio und aemulatio. Dabei wird vor allem die Eingangsszene des Claudian‘schen Epithalamium in den Blick genommen, um anhand der erotisierenden Rezeptionen exemplarisch den Wandel des erotischen Diskurses am Ende des 17. Jahrhunderts nachzuvollziehen.
Aufgrund der unsicheren Datierungen der Texte kann allerdings nicht von einer streng chronologischen Abfolge der vorgestellten Rezeptionen ausgegangen werden.6 Stattdessen wird mit dem anonymen Gedicht Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen zunächst eine überbietende Imitation der lateinischen Vorlage analysiert. Anschließend wird mit Bessers berüchtigter Ruhestatt der Liebe eine gewagte Parodie auf Claudians Epithalamium vorgestellt, bevor gezeigt wird, wie sich die Claudian-Rezeption mit Benjamin Neukirchs Parodie Auff die Perlitz-Mühlendorffische Hochzeit und Christian Hölmanns Abbildungen der Schooß verselbstständigte.
2. Das c.m. 25 als erotisches Gedicht
Der Inhalt des 146 Hexameter umfassenden Epithalamiums an Palladius und Celerina1 lässt sich kurz zusammenfassen: In der Mittagshitze legt sich Venus in einer Grotte nieder; in ihrer Nähe schläft ihr Gefolge von Armoretti und Nymphen. Plötzlicher Lärm eines Hochzeitsfestzuges weckt die Liebesgöttin, die den Hochzeitsgott Hymen ruft. Weil sich dieser im Flötenspiel übt, anstatt die Ehe zu schließen, tadelt ihn Venus, um sich dann nach den Brautleuten zu erkundigen. Der Hochzeitsgott gibt in einer Lobrede auf die Familien des Ehepaars Auskunft, worauf Venus zum Brautpaar fährt, um die Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen, den Brautleuten eine Anleitung zur sexuellen Vereinigung vorzutragen und die Ehe mit dem Schuss zweier Liebespfeile in die Herzen von Braut und Bräutigam besiegelt.
Damit gliedert sich das Gedicht grob in drei Abschnitte: Im ersten Teil – nach einer vorangehenden Praefatio – wird die ruhende Göttin Venus mit ihrem Gefolge beschrieben (V. 1–24). Der zweite Teil umfasst einen Dialog zwischen Venus und Hymen, der dem Brautpaar huldigt (V. 25–99), während im dritten Abschnitt die Eheschließung geschildert wird (V. 99–145). Das im ersten Teil des Gedichts beschriebene Bild der schlafenden Venus wurde häufig „als Gleichnis für die noch zu erweckende eheliche Liebe und Sexualität“2 interpretiert. Nachstehend soll gezeigt werden, wie gerade diese Eingangsszene in der barocken Rezeption deutlich erotisch aufgeladen und verschärft wurde.
3. Anonym: Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen (1697)1
Das Hochzeitsgedicht Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen bietet eine nachahmende Aneignung der lateinischen Vorlage, wie sie seit Martin Opitz’ epochaler Poetik, dem Buch der deutschen Poeterey (1624), im gesamten 17. Jahrhundert praktiziert wurde. Der Titel verweist metatextuell auf die antike Vorlage und markiert den Bezug hinreichend und prägnant. Die Hexameter von Claudians Epithalamium gibt der anonyme Dichter in formvollendeten Alexandrinern mit durchgehenden Mittelzäsuren wieder. Das Reimschema, ein umarmender Reim mit einem darauffolgenden Paarreim (abbacc), wirkt strukturgebend: Das Ende gedanklicher Einheiten fällt mit dem Ende eines jeden sechsten Verses zusammen, wodurch die Paarreime pointierend wirken. Damit setzt der anonyme Verfasser ein Strukturelement ein, das der lateinischen Vorlage fehlt, und stellt die formalästhetische Überlegenheit seiner übersetzerischen Aneignung unter Beweis. Bezeugt wird das Formbewusstsein auch durch die einheitlichen Kadenzen, die für alle umschließenden Verse stumpf, für die umschlossenen und paargereimten Verse klingend gestaltet sind.
Inhaltlich gliedert sich die anonyme Übersetzung analog zur Vorlage: Im ersten Teil wird die ruhende Göttin Venus mit ihrem Gefolge beschrieben (V. 1–36); der zweite Teil gibt stark gekürzt den Dialog zwischen Venus und Hymen wieder (V. 37–66), während der dritte Abschnitt die Fahrt der Venus zum Brautpaar und die Eheschließung bietet (V. 67–90). Ein quantitativer Abgleich führt vor Augen, dass die anonyme Übersetzung den Fokus stärker auf den erotisch-voyeuristischen Charakter des Gedichts richtet.
Inhalt | Claudian | Unbekannt |
Beschreibung der nackten Venus und ihrem Gefolge | V. 1–24 | V. 1–36 |
Dialog zwischen Venus und Hymen | V. 25–99 | V. 37–66 |
Fahrt der Venus zum Brautpaar und Eheschließung | V. 99–145 | V. 67–90 |
Der erste, die nackte Venus darstellende Abschnitt ist partiell amplifiziert, während die letzten beiden Abschnitte stark reduziert sind. Nimmt in Claudians Epithalamium der Mittelteil mit der Hälfte der Verse noch den Großteil des Gedichts ein, sind die relativen Anteile der Abschnitte in der anonymen Übersetzung mit je ca. dreißig Versen gleichmäßig verteilt. Hymens Laudatio auf die Familien des Brautpaars, die bei Claudian in knapp vierzig Versen (V. 58–95) facettenreich Berufe und Vorzüge der Familienmitglieder schildern, gibt der Dichter pauschalierend, anonymisiert und drastisch gekürzt in sechs Versen wieder:
Er sprach: mich wunderts sehr/ o göttin! daß solch eh
Dir unbewust mag seyn; zwey hochberühmte häuser
Verknüpfen würd‘ und glanz/ und flechten lorbeer-reiser
Um ihre Scheitel rum; des ehrenstandes höh
Erfordert gleich gedicht/ des bräutgams grosse tugend
Verschonet auch zugleich der braut hochedlen jugend. (V. 61–66)
Mit der anonymisierten Schilderung harmonisiert der Dichter das quantitative Verhältnis der drei Gedichtabschnitte. Darüber hinaus nutzt der anonyme Dichter die Reduktion dazu, das Epithalamium von dessen spezifischen Anlass zu lösen und es sich so anzueignen. Dagegen ist die Venusbeschreibung rhetorisch deutlich ausgedehnt. Bei Claudian ist die halbnackte Venus in nur sieben zurückhaltenden Versen dargestellt:
1 | Forte Venus blando quaesitum frigore somnum Vitibus intexti gremio successerat antri Densaque sidereos per gramina fuderat artus adclinis tlorum cumulo; crispatur opaca |
5 | pampinus et musto sudantem ventilat uvam, ora decet neclecta sopor; fastidit amictum aestus et exuto translucent pectore frondes. |
(Zufällig hatte sich Venus, um in schmeichelnder Kühle Schlaf zu suchen, in den Schoß einer mit Weinreben bedeckten Grotte zurückgezogen und ihre strahlenden Glieder über den dichten Rasen ausgebreitet, gelehnt auf einen Haufen Blumen; das schattenspendende Weinlaub kräuselt sich und fächelt der vom jungen Wein schwitzenden Traube Kühlung zu.
Der Schlaf schmückt das nicht zurechtgemachte Gesicht; die Hitze verschmäht das Gewand und durch das Laub schimmert ihre entblößte Brust.)2
In der anonymen Übersetzung hingegen wird die voyeuristische Venusbeschreibung rhetorisch deutlich erweitert und fast auf die vierfache Länge amplifiziert:
1 | Die Sonne hatte kaum den mittag heiß gemacht/ Als Venus gantz ermatt ihr eine höl erwehlet/ Wo weder schlaff noch ruh/ noch kühler schatten fehlet/ Und wo ein reben-blat gab dunckel-grüne nacht/ |
5 | In die ein linder west mit sanftem rauschen spielte/ Und so der göttin hertz und müde seele kühlte. Sie warf die sternen-pracht/ die glieder in das graß/ Der blumen höchster wunsch war so gedrückt zu werden/ Die nelcke schien ein feur/ die ros’ ein stern der erden/ |