Pragmatik der Veränderung. Группа авторов

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Konstellationen, die Zielklärung sehr umfangreich und komplex sein. In diesen Fällen können sprachliche Hilfeprozesse auch zur Erreichung der Zielklärung selbst eingeschaltet sein (vgl. unsere Analysen unten).

      Das Entwickeln von Handlungsplänen/Lösungen wird durch das Abnehmen von Teilhandlungen helfend unterstützt. Bei der interaktionalen Bearbeitung der Planbildung wird diese immer weiter konkretisiert, indem Denk-/Handlungsalternativen z.B. gemeinsam überprüft, probeweise durchgesprochen, verworfen oder verfeinert werden. Je nach Konstellation der Handlungskomplexe, in die das Helfen eingebettet ist, ist auch die Schwerpunktsetzung bei der Planbildung unterschiedlich ausgeprägt (also z.B. stärker auf ein Entwickeln von Denkalternativen wie das Verstehen von Zusammenhängen oder das Entwickeln neuer Perspektiven oder auf Handlungsalternativen ausgerichtet wie die Auswahl einer Reisealternative).

      2.3 Veränderung im mentalen Bereich

      Für den Hilfeprozess ist weiter zu unterscheiden, von welcher Art der Veränderung im mentalen Bereich der Hilfeempfangenden das Helfen begleitet ist und in welchen Dimensionen sich eine Veränderung vollzieht oder niederschlägt. Auch das Merkmal der mentalen Veränderung wurde am Beraten untersucht, um verschiedene Typen von Beraten zu unterscheiden. Dieses kann je nach Typ stärker auf das Umstrukturieren mentaler Prozesse (Einstellungen, Sichtweisen, Wünsche etc.) bezogen sein oder stärker auf das Erweitern von Wissensbeständen durch Experten-/Erfahrungswissen (Pick 2017b: 444-446). Beide Spielarten mentaler Veränderung sind nicht ohne einander denkbar, sowohl das Umstrukturieren mentaler Prozesse erfordert ein Wissen bzw. eine Erfahrung über Zusammenhänge zwischen mentalem und aktionalem Handeln, sowie spezifisch im therapeutischen Setting auch ein Wissen über psychische Ursache-Wirkungszusammenhänge. Ebenso geht eine Wissenserweiterung immer mit einer (zumindest rudimentären) Wissensumstrukturierung einher, weil neues Wissen in bestehendes integriert wird und damit ergänzt, erweitert oder anders sortiert werden kann. Dimensionen von Veränderung können auf mentales, verbales oder (em)praktisches Handeln gerichtet sein (vgl. oben Vorstrukturierung der Planung).

      Daraus ergibt sich eine weitere Beobachtung, die uns für das Helfen bemerkenswert erscheint: Vor allem für sprachlich realisierte Hilfesituationen beziehen sich zentrale Handlungen für und von Veränderung auf mentale Prozesse bei Hilfesuchenden (Wissenserweiterung/ Wissensumstrukturierung und mentales Strukturieren von Denk-/Handlungsmöglichkeiten). Zwar ist das Eintreten einer Veränderung erst anhand ihrer Folgen, also in der Regel einer Veränderung der Wirklichkeit, ersichtlich (im veränderten Verbalisieren von Wissen, im veränderten (sprachlichen) Handeln der Hilfeempfangenden und seinen Resultaten etc.). Die Voraussetzungen dafür werden aber interaktional ausgehandelt und beinhalten in aller Regel Veränderungen im mentalen Bereich der Hilfesuchenden. Entsprechend setzt ein Veränderungsprozess bereits bei der Wissensbearbeitung der Hilfesuchenden beim Helfen an und manifestiert sich erst später als Resultat einer Veränderung in der Wirklichkeit. Veränderung ist also sowohl als eine ‘Veränderung als Prozess’ als auch als eine ‘Veränderung als Resultat’ zu betrachten.

      2.4 Der Handlungskomplex „Sprachliches Helfen“

      Insgesamt bestimmen wir somit das sprachliche Helfen als einen Handlungskomplex, der nach einer gemeinsamen Bestimmung des zu erreichenden Ziels für die Hilfesuchenden Handlungen, die zur Zielerreichung notwendig sind, vorstrukturiert und damit den Hilfeempfangenden eigenes mentales Handeln teilweise abnimmt. Sprachliches Helfen dient dazu, ein Handeln (praktisch, empraktisch, sprachlich) vorzubereiten und zu unterstützen, welches die Hilfeempfangenden oder die Helfenden dann weiter praktisch umsetzen, indem sie es selbst durchführen oder auch jemanden damit beauftragen. Teilweise kann dieses praktische Handeln bereits im Gespräch durchgeführt oder probeweise verbalisiert werden.

      Das Vorstrukturieren mentaler Prozesse kann sich sowohl auf das Strukturieren von Denkalternativen (durch Einbringen von Expertenwissen, aber auch durch veränderte Perspektiven auf bekanntes Wissen) beziehen als auch auf das Vorstrukturieren von aktionalen (sprachlichen, praktischen) Handlungsalternativen. Je nach Schwerpunktsetzung des sprachlichen Hilfeprozesses kann das Bearbeiten von Denk- oder Handlungsalternativen einen unterschiedlichen Stellenwert einnehmen, wobei das Vorstrukturieren von Denkalternativen dem Vorstrukturieren von Handlungsalternativen in der Regel vorausgeht. Das sprachliche Helfen wird also nicht in einem Sprechakt bewerkstelligt, sondern als Handlungskomplex (vgl. zum Konzept des Handlungskomplexes Pick 2017b). Das bedeutet, dass das Helfen selbst aus bestimmten interaktional zu realisierenden Teilhandlungen besteht (die Zielbestimmung sowie verschiedene Grade der Vorstrukturierung mentaler Prozesse mit der Folge einer Veränderung im mentalen Bereich des Hilfeempfangenden). Als Handlungskomplex, der wiederum in andere Handlungskomplexe eingebettet ist, wird Helfen von uns also so konzipiert, dass unterschiedlich ausgedehnte sprachliche Hilfeprozesse in unterschiedlichen helfenden Konstellationen zu erwarten sind. Helfen wird in verschiedene (nicht nur beratende) Handlungskomplexe eingebettet realisiert.

      Die folgende Abbildung stellt diese Überlegungen im Überblick zusammen. Wie bereits ausgeführt, sehen wir den Handlungskomplex Helfen als gemeinsam interaktional von allen Beteiligten hergestellt. Wir fassen in der Abbildung die übergeordneten Aufgabenbestandteile dieses Handlungskomplexes zusammen, die jeweils interaktional bearbeitet werden müssen.

      

Abb. 1:

      Sprachlicher Handlungskomplex Helfen

      3. Empirische Betrachtung des sprachlichen Helfens

      Nach der Entwicklung unserer theoretischen Position zum Helfen zeigen wir in diesem Kapitel, wie unterschiedliche Formen des Helfens im Detail vollzogen werden. Dazu diskutieren wir zunächst ein Datum, in dem mehrere Stadien des Helfens nacheinander durchlaufen werden. Dies ermöglicht es, verschiedene Formen des Helfens an einem Beispiel voneinander abzugrenzen. Anschließend besprechen wir weitere Beispiele, an denen je ein spezifischer Aspekt des Helfens erkennbar wird. Die Auswahl der besprochenen Daten ermöglicht es, das Helfen in verschiedenen sprachlichen Erscheinungsformen zu zeigen und es in unterschiedlichen institutionellen Kontexten sichtbar zu machen. Beides soll unterstreichen, dass der Handlungskomplex Helfen in verschiedenen sozialen Domänen und eingebettet in unterschiedlichen Gesprächstypen vorkommen kann, es sich strukturell aber um denselben sprachlichen Handlungskomplex handelt.

       Beispiel 1: Genetische Beratung

      Der folgende Auszug aus einem genetischen Beratungsgespräch (aus Hartog 1996: 253-255) beginnt mit dem Einbringen von Wissen durch die Beraterin (Bf) über den biologischen Vorgang und die statistische Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Trisomie 21.1

      Bf unterscheidet zwischen „Chromosomenfehlverteilung“ (Partiturfläche (PF) 6), die „bei der Samenzellbildung“ (PF 7-8) entsteht und solcher, die „bei der Eizellbildung“ (PF 8) entsteht und bewertet dieses Wissen anschließend als „müßig“ (PF 9). Damit gewichtet sie die Frage, ob es bei Ei- oder Samenzellbildung zur Fehlverteilung kommt, für das weitere Entwickeln von Denk- oder Handlungsalternativen der Klienten als nicht relevant. Ohne dass die Klienten sich an dieser Stelle dazu geäußert hätten, nimmt Bf hier also die Perspektive der hilfeempfangenden Personen ein und bewertet und gewichtet das von ihr formulierte Wissen aus deren Perspektive. Anschließend fasst Bf, konsistent zur ihrer vorherigen Bewertung („müßig“), die Fehlbildung generell als „einmalige äh Verteilungsstörung“ (PF 9) und gleichzeitig als etwas, das „bei jedem von uns“ vorkommt (PF 11). An dieser Stelle leistet Bf also eine „Wissensvermittlung über Chromosomenfehlverteilungen im allgemeinen“ (Hartog 1996: 255) und nennt – in den Kategorien sprachlichen Helfens betrachtet – ein relevantes Wissen (wonach eine Fehlverteilung keinen fassbaren Regeln folgt und ganz normal auftritt), zunächst ohne daraus Denk- oder Handlungsalternativen zu entwickeln. Gleich folgend geht sie auf die Wahrscheinlichkeit der Befruchtung einer solchen Zelle ein, indem sie dies als strukturell „recht selten“ (PF 12) bezeichnet. Damit nimmt Bf eine erste Bewertung der Denkalternativen (Risiko


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