tali dignus amico. Vicente Flores Militello
gleichem Maße spielt die Länge der Beziehung laut Dionysios eine wichtige Rolle: Da der Charakter des Klientelwesens auch vererbbar sei, ähnele das Verhältnis zwischen beiden Seiten wiederum dem einer Familie.7 Dadurch gewännen Patrone an sozialem Ansehen (μέγας ἔπαινος ἦν), hätten zahlreiche Klienten (ὡς πλείστους πελάτας ἔχειν) nicht nur durch ihre eigenen Verdienste erworben, sondern auch durch die Familientradition geerbt (διὰ τῆς αὐτῶν ἀρετῆς, ant. 2,10,4).Dionysios von Halikarnassant. 2,10,4
Schließlich ist für Dionysios die gegenseitige Wertschätzung und Hilfe zwischen Patronen und Klienten das bedeutendste Merkmal des patronus-cliens-Verhältnisses: Einerseits bemühten sich die Klienten, den Patronen beizustehen, andererseits wollten die Patrone unter keinen Umständen den Klienten zur Last zu fallen, noch nähmen sie von ihnen finanzielle Unterstützung an8 – was aber gleichzeitig wiederum zeigt, dass die Klienten in der Regel einen finanziellen Wohlstand genossen, von dem die Patrone profitieren konnten.
Dazu muss aber auch die mythische Stiftung des Fides-Kults durch König Numa einbezogen werden (ant. 2,75,2–3)9, denn fides (πίστις) kennzeichnete nicht nur die politischen bzw. staatlichen Beziehungen (ἐν τοῖς κοινοῖς τῶν πόλεων πράγμασιν), sondern auch diejenigen unter Privatleuten (ἐν τοῖς ἰδίοις), was somit unmittelbar auch das patronus-cliens-Verhältnis betrifft.10Dionysios von Halikarnassant. 2,75,2-3
Dass die Beschreibung des Dionysios offenbar einem mythisch überhöhten Ideal entspricht, ist evident. Der Autor spricht von einer Beziehung, die sich in einer fernen Vergangenheit abspielte, als handele es sich um eine Art aurea aetas, wo andere Maßstäbe für die menschlichen Verhältnisse sowie Gerechtigkeit galten.11 Dass es außerdem verschiedene historische Unstimmigkeiten in Dionysios’ Darlegung gibt, gilt als sicher.12 Am Ende der Republik sowie am Anfang der Kaiserzeit waren dazu nicht nur die rechtliche Regelung im Allgemeinen, sondern auch die Beziehungen zwischen Patronen und Klienten wesentlich anders als Dionysios’ Darstellung der archaischen und frührepublikanischen Zeiten, wie Nauta 2002, Goldbeck 2010 und Ganter 2015 in letzter Zeit zeigen konnten.13
Dieses Ideal stellt aber einen literarischen Topos dar, der sich in der römischen Vorstellungswelt etabliert hat und daher von großer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist: Bei den zu untersuchenden Autoren findet man entweder das Streben nach diesem Ideal oder die Klage darüber, dass dieses Ideal nicht (mehr) der Wirklichkeit entspreche, sowie schließlich auch die enttäuschte Flucht vor der ungerechten Realität,14 wie in den nächsten Kapiteln gezeigt wird.
c) Beobachtungen zum Sprachgebrauch
i) amicitia und clientela
Vor Schwierigkeiten steht man, wenn man in der Literatur den patronus-cliens-Diskurs lexikalisch eindeutig identifizieren möchte, da sich v.a. in den literarischen Quellen1 der frühen Kaiserzeit eine Umschreibung mit Begriffen aus dem Wortfeld der amicitia entwickelte. Wie v.a. Saller (1982 und 1989) und White (1978; 1993; 1995 und 2007) bemerken, bezeichnen in der Kaiserzeit Substantive wie amicus, sodalis oder conviva öfter den cliens oder den patronus, da offenbar die anderen Termini (d.h. patronus und cliens) die soziale Ungleichheit stark betonen.2 Ein solcher Ersatz der Begriffe im patronus-cliens-Diskurs durch das amicitia-Vokabular deutet auf komplexe Spannungen sozialer und affektiver Natur in den (Abhängigkeits-)Verhältnissen hin.3 Dabei stellt die jeweilige Bewertung, ob das Begriffsfeld der amicitia zum Ausdruck von Höflichkeit, von Ironie oder von im engeren bzw. weiteren Sinne zu verstehender Freundschaft eingesetzt ist, die Herausforderung an den Interpreten der Texte dar.
In der Bewertung, ob es zwischen der amicitia im moralphilosophischen Diskurs und der amicitia im Rahmen des patronus-cliens-Diskurses Überschneidungen und semantische Beziehungen gibt oder ob sie strikt als zwei Bereiche zu trennen sind, gibt es bereits unterschiedliche Forschungsrichtungen.4 Fest steht, dass im literarischen Diskurs öfter amicitia-Begrifflichkeiten vorzufinden sind, die auf ein ambivalentes Verhältnis hindeuten, etwa wenn Horaz seine Freude darüber ausdrückt, in amicorum numero des Maecenas aufgenommen worden zu sein (sat. 1,6,62), oder wenn er von Maecenas als einem potens amicus spricht (carm. 2,18,12),5 aber auch wenn er als Dichter(-Klient) aus der externen Perspektive von einem dives amicus spricht (vom Gönner also, der einen fördert: epist. 1,18,24), sowie von dem professus amicum (also vom geförderten Klienten, der sich auch als ‚wahrer‘ Freund seinem Gönner gegenüber inszeniert: epist. 1,18,2):Horazsat. 1,6,62Horazcarm. 2,18,12Horazepist. 1,18,2Horazepist. 1,18,24 Wie man sieht, hat sich der amicitia-Wortschatz z.B. bei Horaz zwar als Standardform für die Beschreibung der Beziehung zwischen Autor und hochgestelltem Förderer durchgesetzt6; dass hier eine Spannung zwischen einer amicitia im moralphilosophischen Sinne (als einem auf virtus beruhenden, nur inter bonos möglichen Verhältnis7 bzw. im Sinne von einer τῶν ἀγαθῶν φιλία καὶ κατ’ ἀρετὴν ὁμοίων8) und einer ausschließlich auf sozialen bzw. politischen Pflichten sowie Nutzbarkeitserwägungen basierenden Beziehung nahegelegt wird, ist dennoch evident.9
Bei späteren Autoren, etwa Martial und Juvenal, wird diese Spannung offen thematisiert – und die daraus entstandene Widersprüchlichkeit sogar betont und kritisiert.10 Dies zeigt, dass nicht nur die auf Affekt und virtus basierende amicitia darunter zu verstehen ist, sondern dass dabei auch das patronus-cliens-Verhältnis mit einer gewissen Selbstverständlichkeit gemeint ist, wie es White 199311 und auch Williams 201212 bemerken – selbst wenn eine solche Überlappung ebenso als Strategie für satirische Kritik im Diskurs eingesetzt wird, wie Konstan 1995 hervorhebt.13
Wie White 1978 zeigen konnte, deuten zwar nicht nur ausdrückliche Verweise in der amicitia-Nomenklatur (auch außerhalb der Dichtung) auf bewusste, wenn auch implizite Sozialunterschiede zwischen den Mitgliedern des Verhältnisses, sondern auch phraseologische amicitia-Junkturen, wie die zitierten Verwendungen von dives oder potens amicus.14 Doch man muss m.E. der Warnung von Nauta 2002 davor zustimmen, dass amicus in den literarischen Quellen der römischen Kaiserzeit (und vor allen in der Dichtung) sowie amicitia ein breites Spektrum an Verhältnissen andeuten, und zwar unabhängig von sozialem Status, persönlichen Affekten oder urbaner Höflichkeit.15 Es liegt daher der Arbeit das Verständnis zugrunde, dass einzelne Texte und Autoren diesen Zusammenhang zwischen amicus, patronus und cliens jeweils anders verhandeln und dem Leser signalisieren können. Auf verschiedene Weise wird sich bei den oben genannten Autoren zeigen, dass sie mehr oder weniger das amicitia-Konzept im Rahmen des patronus-cliens-Diskurses um- oder ausdeuten. Es gibt daher m.E. keine feste semantische Struktur der Terminologie, sondern jeder Kontext und Text legt eine (neue) Semantik innerhalb des Diskurses fest. Es muss also jeweils gefragt werden, ob es sich um eine affirmative, subversiv-kritische oder ironische Perspektive der (amicus)-patronus-cliens-Darstellung handelt. Dies zu bestimmen und jeweils auch zu eruieren, wird eine Aufgabe dieser Studie sein.
Gefragt wird also nicht nach einem übergreifenden allgemeinen Prinzip; vielmehr liegt der Arbeit das Verständnis zugrunde, dass einzelne Texte und Autoren das Thema jeweils neu verhandeln. Jeder der im Laufe dieser Arbeit vorgestellten Texte offenbart eine bestimmte Perspektive auf den patronus-cliens-Diskurs. Im Folgenden muss die literarische Inszenierung des patronus-cliens-Diskurses bei den einzelnen Autoren jeweils neu untersucht werden. Andererseits muss aber betont werden, dass dies nicht mit dem Ziel geschieht, eine historische Rekonstruktion der Verhältnisse zwischen patroni und clientes zu leisten, sondern um solche literarischen Sichtweisen herausarbeiten zu können.
ii) Parasiten und Klienten
Eine weitere Schwierigkeit bei der Analyse des patronus-cliens-Verhältnisses liegt in der möglichen Überschneidung der Begriffe parasitus und cliens. Aus dem Bereich der griechischen Komödie stammt der Begriff parasitus bzw. παράσιτος („Tischgenosse“): Er bezeichnet vor allem ab der Mittleren und Neuen Komödie die feste Figur des