tali dignus amico. Vicente Flores Militello
D
Menaechmus I aus Epidamnus hatte sich zuvor zusammen mit seinem ausdrücklich genannten Parasiten Peniculus zum Forum begeben (212: nos prodimus ad forum). Nun eilt er, da sich sein Parasit in der Verwirrung auf dem Forum verirrt hat, 446–462,PlautusMen. 446–462 allein zu seiner Geliebten, der meretrix Erotium, zurück, wo auf ihn eine Mahlzeit hätte warten sollen. Er beschwert sich über das Durcheinander auf dem Forum, denn dadurch kommt er recht spät zu seinem Termin. Dabei lauschen seine Ehefrau und Peniculus, die im Verborgenen bleiben,8 denn inzwischen sind Verwechslungsepisoden durch die Ankunft von Menaechmus II aus Syrakus verursacht worden, die die Ehefrau und den Parasiten irregeführt haben – bis jetzt handelt es sich offensichtlich um eine auf ein griechisches Komödienmuster zurückgehende Handlung.9 Menaechmus I äußert nun eine Zeitklage über den Sittenverfall, was für das Genre typisch ist,10 hier jedoch stark ‚romanisiert‘ wird.11 Dies macht nicht nur solche plautinischen Monologe zu einem besonderen Fall der frühen römischen Literatur, wie Fraenkel betont, sondern weist auch die Richtigkeit der Behauptung nach, dass es sich beim Menaechmus-Monolog um eine wesentlich plautinische Überarbeitung einer griechischen Originalhandlung handelt.12
Menaechmus verfällt nun in eine Invektive gegen einen bestimmten Missstand in den Verhältnissen der angeseheneren römischen Gesellschaft, nämlich, um Fraenkel13 zu paraphrasieren, die skrupellose Klientenjagd, die moralisch verwerflich sei und dem Patron außerdem beständig Scherereien einbringe und ihn in Prozesse verwickele. Ganter spricht hier von einer Anprangerung der Habsucht, Sitten- und Gesetzlosigkeit der Patrone.14 Dass dabei eine ernstzunehmende Sozialkritik sicherlich nicht intendiert ist, ist evident. Denn dabei spricht Menaechmus als der Patron selbst die Kritik aus, die dann nur scheinbar gegen die Klienten gerichtet ist. Diese Kritik wird aber durch die ironische Selbstentlarvung wirksam, wie im Folgenden zu zeigen ist.
Zwar hätte das römische Publikum wohl Plautus’ Katalog über die verschiedenen Aufgaben ante aediles in den Nuancen besser verstanden als wir, da von den genauen Pflichten und Aktivitäten dieser Periode im cliens-patronus-Verhältnis nur wenig bekannt ist. Zudem sind einige korrupte Stellen im Text nur schwer zu lösen, wie De Melo zu Recht bemerkt,15 allerdings stimmt die Beschreibung der Pflichten eines patronus gegenüber seinen clientes mit jener, die im vorherigen Kapitel bei Dionysios von Halikarnass zu lesen war, überein: Es war mos (bei Dionysios ἔθος) eines Patrons, den Klienten rechtlichen Beistand gewissenhaft zu leisten (dort gilt daher der patronus als ‚Vorsteher‘: προστάτης), falls sie juristische Schwierigkeiten hätten.16 Genau eine solche Pflicht brachte Menaechmus nun dazu, sich bei diesem cliens quidam länger aufzuhalten.17
Dass allerdings dieser cliens die Verpflichtung des Patrons missbraucht und als Schuldiger gar nicht erfolgreich von seinem nimis sollicitus (588) Patron, wie Menaechmus sich selbst sarkastisch bezeichnet, verteidigt werden kann, ist ein humoristischer Effekt, den Plautus hier einsetzt – im Kontrast zum Idealzustand, wie ihn etwa Dionysius voraussetzt.18 Der cliens ist sich seines fragwürdigen Benehmens bewusst, wie es sich am Ende herausstellt (nec magis manufestum ego hominem umquam ullum teneri vidi, 594), so dass Menaechmus selbst in Schwierigkeiten zu geraten scheint.19 Dabei entlarvt sich der Sprecher selbst als nicht ganz einwandfreier Patron und trägt damit zur komischen Wirkung der Passage bei.
Das Motiv, viele Klienten haben zu wollen, steht offenbar im Mittelpunkt des Diskurses: clientes sibi omnes volunt esse multos (574).20 Offensichtlich hat Plautus vor, sein Publikum kabarettistisch zu unterhalten – dazu trägt auch die stark alliterierende und musikalische Sprache im ganzen Monolog bei.21 Inhaltlich ist das Thema klar: eine ironisch gebrochene Inszenierung der römischen Problematik zwischen Patronen und Klienten. Denn beide Figuren tragen nach Menaechmus’ Ansicht die Schuld an dem Problem: Einerseits seien die gierigen Patrone nur auf finanzielle Gewinne (res, 575) aus und achteten nicht auf die moralischen Werte der Klienten (clientium fides, 576), daher missachteten sie arme Klienten, selbst wenn diese von Natur aus ehrlich seien (si est pauper atque hau’ malus nequam habetur, 577–8).22 Dagegen stünden reiche Klienten in hohem Ansehen, selbst wenn sie unaufrichtige Menschen seien (sin dives malust, is cliens frugi habetur, 579) und dadurch dem Patron nur Unannehmlichkeiten bereiteten – ein bemerkenswertes Oxymoron.23
Der Monolog ist etwas überraschend, da der Leser bzw. Zuschauer vorher gar nicht weiß, welche Tätigkeit Menaechmus ausübt, so dass dieser dadurch zusätzlich charakterisiert wird – und zwar als römischer Herr. Doch die Bewertung der Situation erfahren wir als Zuschauer nur aus dessen Perspektive, nicht aus derjenigen des Klienten. Die Zuschauer werden daher zunächst einmal mit Menaechmus sympathisieren, aber gleichzeitig schnell merken, dass auch seine Sichtweise nicht ganz tadellos ist. Denn richtig festgestellt wurde schon, was die „wir“-Form bedeutet: Nämlich, dass er sich selbst zu der Gruppe der optumi, d.h. hier der moralisch schlechten patroni rechnet, die er scheinbar kritisiert, da sie sich ihre clientes nach moralisch falschen (aber ökonomisch richtigen) Kriterien auswählen. Er erkennt im Monolog, dass das falsch ist, aber nicht aus moralischen Bedenken, sondern nur, weil er sich über die Zeitverschwendung vor Gericht ärgert. Damit enttarnt er seine Denkweise, die eher hedonistisch, aber moralisch nicht wirklich lauter ist. Das heißt: Dadurch, dass sein Monolog wie eine populärphilosophische Diatribe beginnt, macht er das Publikum auf die moralische Bewertung des cliens-patronus-Verhältnisses aufmerksam, die er jedoch am Ende nicht beibehält. Aus dieser Spannung und der Selbstentlarvung auch dadurch, dass er die Peinlichkeit, einen überführten Betrüger zu verteidigen, gar nicht schlimm, sondern nur als Zeitverschwendung empfindet, ergibt sich die ironische Aufladung der Szene und Klage: Er selbst hätte es in der Hand, seine Lage anders zu gestalten – aus finanziellem Interesse tut es aber nicht.
Natürlich ist Menaechmus kein Moralprediger,24 sondern entlarvt seine hedonistische Denkweise, die ihn wohl nicht zur moralischen Läuterung führen wird: Denn diese scheinbare Gesellschaftskritik stellt sich letztlich als eine Klage über seine unangenehme Situation und Zeitverschwendung heraus, die ihn vom prandium mit der meretrix Erotium abgehalten hat. Aber die Klage macht das System für den Leser durchsichtig.
Menaechmus tritt als ein typisch römischer patronus auf, der sich in seiner Tätigkeit als Patron und als Hausherr nie als moralisch einwandfrei erweist, der aber verzeihliche und typische Fehler hat, die er sogar selbst erkennt und die ihn dem Zuschauer sympathisch erscheinen lassen. Der Klient wird dabei deutlich als typische römische Figur durch den Prozess auf dem Forum charakterisiert.
Ganz anders verhält sich es beim Schmarotzer Peniculus, der durch topische Gefräßigkeit und Schmeichelei als Musterparasit der griechischen Komödie charakterisiert wird. Dies kann man schon in der ersten Peniculus-Szene beobachtenPlautusMen. 139–149 (135–181, insb. 139–149), die im Dialog das parasitäre Verhältnis zwischen ihm und Menaechmus gut verdeutlicht, als der Herr ausdrücklich verlangt, dass der Schmarotzer sich als Schmeichler betätigen soll, und genau vorgibt, was er hören möchte, um ihn dann deswegen zum prandium einzuladen.