Textlinguistik. Группа авторов

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Formen, Muster und Routinen entwickelt haben, auf die alle zurückgreifen können und müssen, wenn Zusammenleben gelingen soll. Zu den kommunikativen Mustern, die die Gemeinschaft entwickelt hat, um miteinander leben zu können, gehören neben nicht-sprachlichen Formen, wie z.B. Mimik und Gestik, auch die sprachlichen, d.h. auch Textsorten einer jeweiligen Kultur mit ihrer typischen Form, ihrem vereinbarten Weltbezug und ihrer Funktion, ihrem spezifischen „Zugriff“ auf das Leben. Zur Lösung bestimmter Probleme stehen bestimmte Textsorten zur Verfügung. Für die Erfüllung eines Bedarfs, also für die Formulierung einer Bitte z.B., stehen uns je nach HandlungsbereichHandlungsbereich formelhafte Antragstexte im institutionellen Verkehr, das Petitionsschreiben in der Politik und das Gebet im religiösen Bereich zur Verfügung. Zur Verdeutlichung: Textsorten – wie andere Routinen des Handelns auch – beruhen in zweierlei Hinsicht auf kulturellen Übereinkünften. Von der ersten war schon die Rede. Es geht darum, dass bereits die Tatsache der Existenz des Phänomens Textsorte an sich, das Faktum also, dass Kultur- und Kommunikationsgemeinschaften über die Textsorte als eine wichtige und komplexe Art von Handlungsroutine verfügen, ein im oben beschriebenen Sinne (alltags)kulturelles Phänomen ist. Sie haben also grundsätzlich einen kulturellen Status. Im konkreten Fall der Beschäftigung mit einer bestimmten Textsorte hat man zusätzlich die einzelkulturelle Spezifik der jeweiligen Textsorte zur Kenntnis zu nehmen. Konkrete Textsorten sind einzelkulturelle Übereinkünfte, von der jeweiligen Kultur, in der sie entstanden sind, geprägt. So gibt es in der Realität des Sprechens nicht ‚Textsorten an sich‘, sondern spezifische, von einer oder auch von mehreren Kulturen gemeinsam geprägte. Diese Prägung kann verschiedene Aspekte betreffen. Sie kann sich inhaltlich auswirken, aber auch funktional und formal. Zum Wissen über Textsorten gehört also auch Wissen über Traditionen von Texten und über deren kulturelles Prestige und dessen Wandel (Whatsapp gilt als attraktiv, der handschriftliche Brief weniger) sowie über den Wert des MediumsMedium (geschriebenen Texten wird mehr Wert zugebilligt als gesprochenen, siehe 1.6 und allgemein dazu Kap. 8). Hat man dies alles im Blick, wird man sich fragen müssen, ob nicht dieser Ring von Wissen, der sich als weitester um die anderen schon beschriebenen Wissensbestände legt, konstitutiv ist für den Textcharakter und man nicht das zusätzliche Kriterium der KULTURALITÄTKulturalität ansetzen sollte.

      Interessant ist in diesem Kontext auch das Konzept der mündlichen ‚kommunikativen GattungenGattung‘, denen zugeschrieben wird, „historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte Lösungsmuster für strukturelle kommunikative Probleme“ zu sein. Man kann dazu nachlesen bei Bergmann/Luckmann (1993) und Günthner (2000).

      1.5 Text und StilStil

      Nach allem, was wir gegenwärtig aus der Stilistik1 und aus der Textlinguistik (Heinemann/Viehweger 1991) über die Ganzheitlichkeit des Stilphänomens und dessen Textbezogenheit wissen, kann man von einer – noch näher zu erklärenden – textkonstitutiven Funktion des Stils ausgehen. Dies bedeutet einerseits, dass Stil an den Text gebunden ist, dass es ihn nur im Textzusammenhang gibt und sprachliche Mittel außerhalb des Textes stilistisch nicht eingeordnet und bewertet werden können. Und es bedeutet andererseits, dass − ebenso wie der Stil auf den Textzusammenhang angewiesen ist − die reale Existenz eines Textexemplars auch vom Vorhandensein eines einheitlichen Stils abhängt. Ohne einheitlichen Stil kann man die Textmusterbezogenheit eines Textes, allem voran seine Funktion, nicht erkennen und daher seine Texthaftigkeit nicht bestätigt finden. Text und Stil bedingen einander. Wie lässt sich das begründen? Schon immer gab es in der Stilistik, vor allem in literarisch orientierten Stilauffassungen (vgl. Püschel 2000), Bezüge zum Text. Das beginnt bereits bei den Stilfiguren: Anapher (WiederaufnahmeWiederaufnahme derselben Ausdrücke am Anfang mehrerer Sätze oder Absätze), Epipher (Wiederaufnahme derselben Ausdrücke am Ende mehrerer Sätze oder Absätze) und Parallelismus (im engeren Sinne: gleichlaufende syntaktische Struktur) z.B. sind erst im Kontext mehrerer Sätze möglich, also textgebundene Erscheinungen. Die konsequente und theoretisch begründete Betrachtung der Bezüge von Stil und Text ist aber erst in modernen Stilauffassungen – funktionalen, pragmatischen, semiotischen – zum Thema geworden. Stil wird nun aus verschiedenen Perspektiven als ein deutlich textbezogenes Phänomen betrachtet. Diese Perspektiven sollen kurz angesprochen werden.

      Die von der Prager Schule herkommende FunktionalstilistikFunktionalstilistikStilistikFunktionalstilistik (Fleischer/Michel 1975, Fleischer u.a. 1993), die Stil als ein durch außersprachliche Gegebenheiten bestimmtes Phänomen betrachtet, hat einen deutlichen Textbezug. Stil wird als eine sich erst im Text herausbildende Ganzheit betrachtet. Die drei zentralen Kategorien der Funktionalstilistik STILELEMENTStilelement, STILZUGStilzug und STILGANZES sind nur aus dem Textbezug zu verstehen. STILELEMENTE als kleinste Einheiten definieren sich durch ihre Mitwirkung am Stil des gesamten Textes im Sinne der Beziehung von Teil und Ganzem (Fleischer/Michel 1975: 53). Jedes sprachliche Mittel von den Satzzeichen über morphologische, syntaktische und lexikalische Elemente bis hin zu sprachlichen Bildern und Textstrukturen kann Stilelement werden und zum STILGANZEN beitragen. Zwischen Textganzem und einzelnen Stilelementen „vermitteln“ STILZÜGE wie ‚anschaulich, bildhaft, locker, knapp, sachlich‘, Charakteristika, die sich durch den gesamten Text ziehen und ihn stilistisch prägen. Sie konstituieren eine spezifische TextqualitätTextqualität, wobei zu beachten ist, dass dies in der Regel nicht die Leistung eines einzigen Stilzugs ist, sondern die Leistung mehrerer in einer spezifischen Kombination. Der Bezug zu Textsortenstilen wird von der FunktionalstilistikFunktionalstilistik zwar noch nicht in ihrer Anfangsphase, aber in ihrer späteren Entwicklung (Fleischer u.a. 1993) gesehen.

      Für die pragmatisch-textlinguistische StilistikStilistikFunktionalstilistikStilistikGraphostilistikStilistik, wie man sie von Sandig (1978, 1986) vertreten findet und neuerdings in ihrer großen Arbeit zur „Textstilistik des Deutschen“ (22006) dezidiert unter dem Textaspekt vorgestellt bekommt, ist der Textbezug unentbehrlich. Stil wird hier mit dem Ansatz einer pragmatisch verstandenen Text- und Textmusterlinguistik (Sandig 2006: 3) und der ethnomethodologischen KonversationsanalyseKonversationsanalyse unter kognitiven und prototypischen Aspekten erfasst. „Stil ist Bestandteil von Texten, er ist die Art, wie Texte zu bestimmten kommunikativen Zwecken gestaltet sind.“ (Sandig 22006: 3)

      So werden Texte außer den üblichen Beschreibungen anhand von Lexik, Grammatik, Lautung und Stilfiguren auch z.B. im Hinblick auf Thema, TextmusterTextmuster (Textsorten) oder Aspekte ihrer Materialität betrachtet. (Sandig 22006: 2f.)

      Der weite Stilbegriff, der hier vertreten wird, bedeutet, dass Textsortenstile einbezogen und vollständige Stilinterpretationen ganzer Texte vor dem Hintergrund ihres gesellschaftlichen Handlungsbereichs vorgenommen werden. Stil verleiht mit Hilfe von „Struktur-Eigenschaften von Äußerungen bzw. Texten“ (Sandig 22006: 19) sozialen Sinn, d.h., durch die Sprachform wird mitgeteilt, „was die HandlungHandlung ist, wer sie [die Handelnden, U.F.] sind, wer der intendierte AdressatAdressat ist, was die Situation ist“ (ebd.).

      Die Auffassung, dass Stil Bedeutung habe und Sinn vermittle, wird − in einem semiotischen stiltheoretischen Ansatz, bezogen auf literarische Texte – auch von Lerchner (2002a, b) vertreten. Auch bei ihm ist, was er mit Bedeutung und Sinn meint, strikt auf den Text bezogen. Er betrachtet Stil als an das komplexe Zeichen ‚Text‘ gebundene Information, die sich auf der Ebene der Form des Textes konstituiert. Diese sich aus den semantischen und strukturellen Beziehungen des Gesamttextes ergebende sekundäre Information – intersubjektiv und kommunizierbar – nennt er KONNOTATIVE TEXTPOTENZ und meint damit das Rezeptionsangebot, das nur über die Wahrnehmung der Form des Gesamttextes erfassbar ist und das emotional-assoziative Bewusstseinsprozesse auslöst. Textgebundenheit wird auch bei semiotisch orientierten Stilauffassungen vorausgesetzt, die ihr Augenmerk u.a. auf die Kategorie der ‚Gestalt‘ richten, eine Kategorie, die dann wichtig wird, wenn man Stil als Mittel der Sichtbarmachung und Hervorhebung versteht. Stilistischer Sinn im oben beschriebenen Verständnis „als ‚Bedeutung‘ der stilistischen Textstruktur“ (Sandig 1986: 25) oder als „konnotative Textpotenz“ (Lerchner 2002b) kann nur über die Form, die ‚Art des Machens‘ und die ‚Art des Gemachten‘, verdeutlicht und verstanden werden, d.h. durch die einem Stilwillen folgende einheitliche durchgehende Gestaltqualität (Fix 1996: 317).

      So viel zur Textgebundenheit von Stil aus der Sicht der Stilistiker. Wie sieht es nun aber mit dem


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