Textlinguistik. Группа авторов

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dass vermeintlich eindeutige Bedeutungsdimensionen des Substantivs, wie seine Abgrenzung gegenüber Unfreiheit, äußerst fragil sind. Freiheit bedeutet in demokratischen Gesellschaftsordnungen etwas gänzlich anderes als in Diktaturen. Die Bedeutung von Aussagen verdichtet sich also im Diskurs. Wörter und Aussagen haben keine Bedeutung an sich, sondern Bedeutung ist ein diskursiver Effekt, die Stellung im Diskurs ist ausschlaggebend dafür, was eine Aussage bedeutet. Wenngleich man Foucault immer wieder dem so genannten Poststrukturalismus zurechnet, ist sein Diskursbegriff in dieser Hinsicht ganz strukturalistisch, denn eine der Grundannahmen des Strukturalismus lautet: Der Wert eines Elementes resultiert aus seiner Stellung im System. Beispielhafte Analysen von Freiheit in unterschiedlichen Texten können das verdeutlichen.

      Foucault (1974) zeigt, dass die Zugehörigkeit einer Aussage zu einem Diskurs reguliert wird. Ein Feld von AkteurenAkteur regelt anonym und zumeist ohne unmittelbare Intention, was diskursiven Status erlangt und was nicht. Als Regeln nennt Foucault KONTROLLE, SELEKTIONSelektion, ORGANISATION und KANALISIERUNG. Wir werden uns damit noch befassen (siehe 2.4.2). Der Diskurs ist nicht nur ein intertextueller Effekt, sondern eben ein Mechanismus der Strukturierung dessen, was wann und wie gesagt und gedacht wird. Damit verbunden ist auch eine Frage nach der Beziehung von Akteuren, Wissen und Macht.

      2.2.3 Akteure, Wissen, Macht

      Letzthin kreisen die theoretischen Probleme, die Foucault den Humanwissenschaften mit auf den Weg gegeben hat, um die Frage, ob Diskurse sprachliche Formen sind oder ob hinter der Sprache, hinter dem Sprechen noch etwas Weiteres zu erkennen ist. Ist also das ‚Sprechen über etwas‘ der Diskurs oder sind die ‚Richtkräfte des Sprechens‘ der Diskurs? Wir erkennen hier eine Variation der von Krämer/König (2002) aufgeworfenen Frage: „Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen?“ Wir fragen genauer: Gibt es einen Diskurs hinter dem Text?

      Sprache in Texten ist ein substanzieller Baustein jedes Diskurses, doch es gibt ein Mehr des Diskurses. Zwar besteht ein Diskurs aus Zeichen und das heißt aus Texten bzw. Aussagen, aber in Diskursen geht es um mehr als um eine zeichenhafte Erfassung der Welt. Diskurslinguistik ist daher auch ein sprachwissenschaftliches Verfahren zur Analyse sozialer Praktiken der Hervorbringung und Verteilung von Wissen. Die über bloße Korpusdaten hinausgehende Dimension des Diskurses ist mit der Rolle der Handelnden im Diskurs eng verbunden. Diskurslinguistik fragt daher, welche sprachlichen HandlungenHandlung zur Erzeugung und Prägung von Wissensbeständen beitragen. Die Handelnden können wir im Folgenden in Anlehnung an die übliche sozialwissenschaftliche Terminologie auch als Akteure bezeichnen. Akteure verwenden Sprache, um Wissen zu erzeugen, weiterzutragen, zu bestätigen, zu bekämpfen oder auch in Frage zu stellen. Immer, wenn wir kommunizieren, sind wir zugleich Akteure in einem diskursiven Feld.

      Gegenstand der Diskurslinguistik ist daher nicht nur die intertextuelle Vernetzung von Aussagen, sondern eben auch der Zusammenhang von sprachlichen Aussagen/Texten, Wissen und AkteurenAkteur. Wenn wir den DISKURS als einen textübergreifenden Verweiszusammenhang von thematisch gebundenen Aussagen definiert haben, so können wir jetzt sagen, dass dieser Verweiszusammenhang aus der Beziehung von TEXTEN, WISSENSFORMATIONENWissensformation und AKTEUREN resultiert. Dieser Verweiszusammenhang oder auch Kontext transportiert immer auch Machtbeziehungen, abgeschwächt können wir auch von sozialen Hierarchien sprechen. Gerade politische Systeme, aber auch Institutionen und Ideologien weisen den Äußerungen spezifische Positionen im Diskursgefüge zu.

      

Die Erkenntnis, dass mit der Erweiterung der Textlinguistik um die Ebene des Diskurses nicht nur eine weitere Beschreibungsebene der Sprache erfasst ist, sondern dass mit dieser auch neue Fragestellungen verbunden sind, ist nicht folgenlos geblieben. Man kann hier von einer regelrechten Lagerbildung sprechen. Auf der einen Seite stehen die Linguisten, die DiskursanalyseDiskursanalyse vor allem als erweiterte Semantik in textlinguistischer Tradition verstehen und dabei soziale Dynamik und Hierarchisierung aus ihrem Erkenntnisinteresse ausklammern. Man kann diese Position als deskriptive DiskursanalyseDiskursanalysedeskriptive bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen jene Linguisten, die gerade die Analyse von Macht als eine ihrer zentralen Aufgaben ansehen. Die machtbezogene Diskurslinguistik bezeichnet sich selbst als Kritische DiskursanalyseDiskursanalysekritische bzw. Critical Discourse AnalysisCritical Discourse Analysis (CDA). Schaut man genauer auf die Auseinandersetzungen, so erkennt man, dass es bei dieser Lagerbildung weniger um die Frage geht, ob Diskurslinguistik sich mit Aussagen/Texten, Wissen und AkteurenAkteur beschäftigen sollte, als vielmehr darum, ob Analysen eine (politische) Wertung enthalten dürfen. Zu entscheiden wäre hier, ob man Diskurslinguistik als Beschreibung von sprachlichen Strukturen oder als Kritik an Sprachverwendungen verstehen möchte. Für die Kritische Diskursanalyse fällt die Antwort eindeutig aus, es geht in ihr „um Kritik von Machtbeziehungen“ (Jäger 2005: 13). Die deskriptive Diskursanalyse erhebt dagegen nicht selten den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit. Spitzmüller (2005) spricht zutreffend vom Deskriptions-/Präskriptions-Antagonismus und meint damit die Gegenüberstellung von Linguistik als Beschreibung und Linguistik als Normierung bzw. Lenkung des sprachlichen Verhaltens.

      Knüpft man an Positionen der Soziolinguistik an, so vermag man die strenge Trennung der Ansätze nicht recht nachzuvollziehen. Gerade die Lagerbildung von deskriptiver vs. Kritischer Diskurslinguistik scheint selbst ein Ausdruck von Diskurseffekten zu sein: Wissenschaftliche Schulen streiten um die Frage, wer wann was sagen kann. Will die Diskurslinguistik der Germanistischen Sprachwissenschaft international anschlussfähig bleiben, so wird sie gut beraten sein, auf die Analyse sozialer Strukturen im Geflecht von diskursiven Akteuren nicht zu verzichten. Sofern es um das kritische Potenzial der Diskurslinguistik geht, sollte vor allem der Auftrag zur Selbstreflexivität ernst genommen werden (vgl. Fairclough 2001: 127). Diskursanalysen sind Teil von WissensformationenWissensformation, Wissenschaftler selbst stehen als Akteure im Geflecht von Machtbeziehungen. Die Wahl von Gegenständen, Methoden etc. ist oft alles andere als ein freies Spiel der Interessen, wie die Textsorten der wissenschaftlichen Hausarbeit und Doktorarbeit beispielhaft zeigen. Die Kritik an gesellschaftlichen Strukturen sollte jedoch auch weiterhin nicht zum Kern einer linguistischen Diskursanalyse gehören. Dabei würde der Sprachbezug der Diskurslinguistik vollkommen in den Hintergrund treten, wäre Sprache nur noch eine Spur zum Ziel der Gesellschaftskritik. Linguistik als Wissenschaft von der Sprache kann darin nicht ihre Aufgabe erkennen.

      2.3 Gegenstandsbereiche der Diskurslinguistik

      2.3.1 Unterspezifiziertheit und Übergeneriertheit

      Womit beschäftigt sich nun die Diskurslinguistik konkret? In den vergangenen Jahren hat man sich in empirisch orientierten Arbeiten häufig auf gesellschaftliche Debatten konzentriert, etwa auf den Atomenergiediskurs (Jung 1994), den Migrationsdiskurs (Wengeler 2003) oder den Gentechnologiediskurs (Domasch 2007). Wenn wir uns die bisherigen diskurslinguistischen Arbeiten anschauen, stellen wir fest, dass sie sich in einem methodischen Spannungsfeld bewegen, im Spannungsfeld von Unterspezifiziertheit und Übergeneriertheit. Was ist darunter zu verstehen?

      Diskurslinguistik ist unterspezifiziert, wenn sie über ihren Gegenstand weniger in Erfahrung bringt, als dies mit Methoden der Sprachwissenschaft möglich ist. So sind Diskurse, wie wir gesehen haben, weit mehr als ein intertextuelles Geflecht von Begriffen oder gar Nomina. Eine Analyse von Freiheitsbegriffen in der Geschichte einer politischen Partei könnte sehr wohl diskurslinguistisch interessant sein, würde jedoch, sofern sie allein an der Rekonstruktion einer historisch kontextualisierten Semantik von Nomina interessiert ist, unterspezifiziert sein. Klammert man beispielsweise Fragen nach MedialitätMedialität und AkteurenAkteur aus dem Interesse aus, so steht man in der Gefahr unterspezifizierter Untersuchungsergebnisse.

      Als Reaktion auf unterspezifizierte Beiträge der Diskurslinguistik und vor allem als Reflex auf das wachsende humanwissenschaftliche Interesse am Diskurs werden in jüngeren Arbeiten zunehmend auch Analysen vorgelegt, die über linguistische Gegenstandsbereiche deutlich hinausgehen, wie etwa Bild- und Medienanalysen. Zwar schöpft man hier aus dem Reichtum von Diskursformaten, man reicht damit aber zugleich über die fachwissenschaftliche Kompetenz hinaus. Diskurslinguistik in dieser Ausprägung ist übergenerierend, sie bringt über ihren Gegenstand mehr in Erfahrung,


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