Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов

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nicht im kognitiven Apparat des Individuums verankert, sondern einer Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft gemeinsam. (Altmayer 2004: 154)

      Typisierungen, Konstanz und Stabilität der kollektiv gegebenen Muster geben jedoch keine echten Hinweise darauf, wie die Aktanten des gesellschaftlichen Konsenses Muster erzeugen und was die Ursachen der Abgeschlossenheit der Muster sein könnten. Begriffe wie Kommunikationsgemeinschaft suggerieren einen vagen Referenzrahmen, realisieren aber weder die Binnendifferenzierung von Gesellschaften noch die zunehmende Offenheit und Veränderbarkeit multikulturell geprägter Gesellschaften. Fremde, untypische Einflüsse bleiben ungeklärt oder sind aus den Deutungsmustern herauszufiltern. Zwar wird postuliert, dass Deutungsmuster veränderbar (vergleiche Lerneinheit 4.3 in diesem Band) und flexibel seien, aber wenn sie sich dem kognitiven Apparat des Individuums als Grundlage jeder Wahrnehmung und Wissensgenerierung entziehen, bleibt offen, wie die Änderung und Verarbeitung ohne kognitiv zu leistende Prozesse erfolgen könnte. Dieses Modell gibt kaum Hinweise auf die Prozesse der Wissensgenerierung, wie sie die Schematheorie liefert, und es verweigert sich explizit empirischen Zugängen.

      Von hier aus aber gewinnt auch die Frage nach der Kultur einen völlig neuen Sinn: Als ‚kollektive Standardisierung‘ bzw. als Identifikationsangebot, das mir aus meiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven zur Verfügung steht, ist sie prinzipiell nicht aus einer distanzierten und vermeintlich ‚objektiven‘ Perspektive eines empirischen Beobachters, sondern allein aus der Perspektive eines verstehenden Nachvollzugs der von den beteiligten Subjekten selbst vorgenommenen Sinnzuschreibungen und Identitätskonstruktionen aus zugänglich. Damit aber sind nicht die empirischen Sozialwissenschaften, sondern die verschiedenen Ansätze eines interpretativen Paradigmas, von der Verstehenden Soziologie eines Max Weber oder Alfred Schütz über die hermeneutische Ethnologie eines Clifford Geertz bis zur Hermeneutik Gadamers und der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas die wissenschaftlichen Traditionen, auf die die kulturtheoretische Debatte auch im Fach Deutsch als Fremdsprache Bezug nehmen kann und muss. (Altmayer 2002: 8)

      Für den Erwerb neuen Wissens, der Kern der Landeskundevermittlung ist, wäre der Deutungsmuster-Ansatz geeignet, wenn er Hinweise enthalten würde, wie sich ein Lerner ohne Kenntnis dieser Muster und ohne den nötigen – möglicherweise recht elaborierten – Sprach- und Konzeptapparat Zugang zu diesen fremden Mustern verschaffen kann. Dass sich diese aus den bildlichen, textlichen und anderen Produktionen „Kulturschaffender“ von selbst ergeben, ist wegen des Mangels an nötigem Wissen (gerade bei Sprachlernern) unwahrscheinlich. Die Gefahr ist also groß, dass sich kulturelle Deutungsmuster ähnlich wie die dargestellten Modelle des interkulturellen Trainings in der Umsetzungspraxis an vergleichsweise deterministischen, variantenarmen und veränderungsresistenten Vorstellungen einer nationalgeprägten Kultur orientieren. Vom fremden Lerner wird das Erkennen der objektiven Fremdheit im Sinne der von Lösch sogenannten AlienitätAlienität erwartet. Die Unterscheidung von Alienität und AlteritätAlterität – als der vom Individuum konstruierten Fremdheit – wird damit aufgegeben (Lösch 2005: 32f). Wierlacher (1985) versteht das Konstrukt Alterität als Deutungsmittel beziehungsweise Interpretament. Mit modernen konstruktivistisch-semiotischen Kulturkonzepten, wie sie etwa auch von Nünning und Nünning (2003) formuliert wurden, sind kulturelle Deutungsmuster folglich kaum in Einklang zu bringen. Wenn man Kulturen als subjektive Repräsentationen und dynamische Konstruktionen betrachtet, dann ist eine Vermittlung von Sprache und Kultur impliziert, die nicht durch die Präsentation denotativer Fakten oder die Rekonstruktion kohärenter, mehr oder weniger fixierter Muster bewerkstelligt werden kann. Denn

      […] culture is not an object to be described, neither is it a unified corpus of symbols and meanings that can be definitely interpreted. Culture is contested, temporal, and emergent. Representation and explanation – both by insiders and outsiders – is implicated in this emergence. (Clifford 1986: 19)

      Mit diesen divergierenden, temporären und emergenten Eigenschaften werden die Grenzen zwischen verschiedenen Konstruktionen aber nicht hinfällig, sondern sinnfällig. Darstellung und Interpretation aus verschiedenen Perspektiven sind konstitutiv für das Verstehen. Klare Konturen sind daraus nicht zu erwarten. „Kulturen nehmen in diskursiven Aushandlungsprozessen unscharfe Konturen an“ (Lösch 2005: 33). Die daraus entstehende Komplexität der Vielfalt von Perspektiven, die zudem widersprüchlich sein können und nicht notwendigerweise ein kohärentes Bild ergeben, kann zu Überforderungen der Lerner führen. Die Fachdidaktiken nehmen sich dieser Gefahr in besonderer Weise an.

      1.2.6 Zusammenfassung

      In dieser Lerneinheit haben wir uns mit wichtigen Grundlagen und Konzepten der traditionellen Landeskunde kritisch auseinandergesetzt.

       Es wurde gezeigt, dass die trennende Vermittlung landeskundlichen Faktenwissens bei Lernern kaum Wirkung zeigen kann, weil diese die kulturelle Bedeutung der Artefakte kaum verstehen und einordnen können. Das betrifft im Grunde alle Ansätze, die von der Vermittlung von faktischem Wissen und von faktischen Dimensionen und Orientierungen ausgehen, solange sie nicht berücksichtigen, dass deren Bedeutung auch Teil des interkulturellen Verstehensprozesses ist.

       Interessanter erscheint daher die grundlegende Vermittlung von Sprache und Kultur und ihrer gegenseitigen Bedingtheit.

       Gefordert ist also ein linguakultureller Ansatz, der berücksichtigt, dass Sprache Kultur abbildet, aber gleichzeitig auch Kultur schafft.

       Damit aber stehen auch Fragen des Verhältnisses von Sprache und Denken im Mittelpunkt und gleichzeitig auch die Frage, wie ein moderner, offener Fremdsprachenunterricht für kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verstehen sensibilisieren kann.

       Dazu gehört natürlich das Erkennen Können, dass die meisten dieser Ansätze von statischen und homogenen Annahmen ausgehen, die in modernen Gesellschaften so gar nicht (mehr) gegeben sind und im Übrigen kaum geeignet sind, transkulturelles Verstehen zu fördern.

       Dazu gehört auch das Erkennen Können, warum der traditionelle Landeskundebegriff überholt und für eine moderne linguakulturelle Vermittlung ungeeignet ist.

       Gezeigt wurde hier aber auch, was die wichtigsten Elemente einer auf transkulturelles Verstehen ausgerichteten angewandten Kulturwissenschaft sind und wie sie sich im Unterricht anwenden lassen.

      1.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle

      1 Wie behandeln verschiedene Ansätze der Landeskundevermittlung die Beziehung von Sprache und Kultur?

      2 Wie erfolgt die Behandlung kultureller Aspekte in inhaltsbezogenen Ansätzen der Sprachvermittlung? Wie hat sie sich historisch verändert?

      3 Was versteht Altmayer unter einem Deutungsmuster im Fremdsprachenunterricht?

      4 Worin besteht der Unterschied zwischen Alienitiät und Alterität nach Lösch und was bedeutet er für ein modernes, konstruktivistisches Verständnis von Kulturwissenschaft im Fremdsprachenunterricht?

      1.3 Interkulturelle Hermeneutik

      Jörg Roche

      Die interkulturelle Hermeneutik hat sich aus der historischen Verstehenslehre Gadamers entwickelt und wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder als Leitdisziplin für interkulturelle Ansätze des Fremdsprachenunterrichts konstituiert. Sie bietet einen theoretischen Rahmen für das Gelingen des Fremdverstehens und ist daher – in unterschiedlichen Formen – vor allem auf das Verstehen literarischer Texte angewendet worden. Als Grundlage sprachdidaktischer Ansätze ist sie schließlich auch für den Sprachunterricht operationalisiert worden. Wichtige Impulse hat die Entwicklung der interkulturellen Sprachdidaktik nicht zuletzt dadurch bekommen, dass die kommunikative Sprachdidaktik mit ihrer Fokussierung auf das Funktionieren in der Zielkultur an Grenzen gestoßen ist: Ein fremdsprachiger Lerner kann eben nicht wie ein Sprecher der Zielsprache funktionieren, wenn er nicht über das nötige kulturelle Wissen und interkulturelle Vermittlungsstrategien verfügt. Die ihm zur Verfügung gestellten zielsprachlichen (authentischen) Redemittel bleiben Chunks oder unverstandene Phrasen. In der Euphorie der hermeneutischen


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