Eltern werden 40+. Sascha Kauffmann
WAS IST ANDERS ÜBER 40?
Ist 40 wirklich das neue 30 – wie es oft so schön heißt? Ist man tatsächlich nur so alt, wie man sich fühlt? Für unsere Fruchtbarkeit gilt dies leider nicht so pauschal.
Wer den 40. Geburtstag schon gefeiert hat, hat seinen biologischen Fruchtbarkeitshöhepunkt mindestens seit 15 Jahren überschritten. Das ist nicht weiter tragisch. Es sollte uns nur bewusst sein, dass wir im fünften Lebensjahrzehnt nicht mehr nach Lehrbuch funktionieren – weder Frau noch Mann. Genauso wie es z.B. am Bewegungsapparat mit der Zeit vermehrt zu Symptomen, wie chronischen Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen und Arthrose kommen kann, stellen sich auch bei den an der Fortpflanzung beteiligten Organen »Verschleißerscheinungen« ein. Dies ist ein schleichender Prozess, der in etwa ab dem 30. Geburtstag beginnt, sich aber oft schon mit Mitte 30 bemerkbar machen kann.
DAS GOLDENE DREIECK
Die Geschlechtsorgane sind nicht autark, sondern funktionell eng verbunden mit der Schilddrüse und den Nebennieren. Wir bezeichnen diese drei Organe gerne als das »goldene Dreieck«. Die Schilddrüsenfunktion hat über die Schilddrüsenhormone einen direkten Einfluss auf die Geschlechtshormone. Dies gilt auch für die Nebennieren, die über die Ausschüttung von DHEA, Pregnenolon und Progesteron sowie des Stresshormons Cortisol mit den Geschlechtsorganen verbunden sind. Wir kommen auf die Zusammenhänge noch im Detail zu sprechen. Stress und auch lebensstilbedingte Störungen im goldenen Dreieck sind mit über 40 viel häufiger als in jüngeren Jahren und können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
Die Auswirkungen sind häufig messbar als Progesteronmangel bei der Frau und Testosteronmangel beim Mann.
PROGESTERONMANGEL: FEHLENDER EISPRUNG UND GELBKÖRPERSCHWÄCHE
Die häufigste hormonelle Störung einer Frau über 40 ist der Progesteronmangel, manchmal in Kombination mit schwankenden Östrogenspiegeln in der zweiten Zyklushälfte. Daher sieht der typische Zyklus möglicherweise so aus:
Es gibt zwei hauptsächliche Gründe für Progesteronmangel. Zum einen ist es der ausbleibende Eisprung. Ohne diesen haben wir keinen Gelbkörper und somit auch keinen Progesteronproduzenten. Infolgedessen haben wir keinen Progesteronanstieg in der zweiten Zyklushälfte, aber oft noch normale oder sogar hochnormale Östrogenspiegel.
Der zweite Grund ist eine Gelbkörperschwäche. Diese kommt dann vor, wenn zwar ein Eisprung stattgefunden hat, der Gelbkörper aber nicht mehr ausreichend Progesteron produziert.
In einer Laboruntersuchung kann sich z.B. dieses Bild zeigen:
Ein relativer Mangel an Progesteron wird auch oft als »Östrogendominanz« bezeichnet. Diese macht vielen Frauen über 40 oft sehr zu schaffen. Progesteron ist nicht nur wichtig für einen regelrechten Zyklus und für die Schwangerschaft, sondern es sorgt auch für guten Schlaf, für gute Stimmung und eine optimale Immunreaktion. Fehlt Progesteron, so merken viele Frauen dies deutlich an typischen Symptomen. Anhand unseres Selbsttests können Frauen leicht feststellen, ob bei ihnen eine Östrogendominanz vorliegen könnte:
Wenn Sie mehr als zwei Kreuze gemacht haben, ist es wahrscheinlich, dass Sie an einem Progesteronmangel – aus welchen der Gründe auch immer – leiden.
Während bei fehlendem Eisprung keine Schwangerschaft möglich ist, ist bei einer Gelbkörperschwäche eine Schwangerschaft zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Denn die Aufgabe des Progesterons ist es, die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung in die durch den Östrogeneinfluss aufgebaute Gebärmutterschleimhaut vorzubereiten.
Frau Professor Dr. Ingrid Gerhard ist sicherlich Deutschlands bekannteste Gynäkologin. Wir haben uns mit ihr über das Gelbkörperhormon unterhalten.
EXPERTIN PROF. DR. INGRID GERHARD, GYNÄKOLOGIN
Ein (relativer) Progesteronmangel ist das häufigste hormonelle Problem von Frauen um die 40. Es scheint, dass immer mehr Frauen bereits auch ab Anfang bis Mitte 30 davon betroffen sind. Was sind die Gründe dafür aus Ihrer Sicht?
Die wichtigsten Ursachen aus meiner Sicht sind zum einen die hormonellen Verhütungsmethoden, die Antibabypille mit Gestagenen (= synthetisches Progesteron, das im Stoffwechsel nicht die Funktion von Progesteron erfüllen kann), die Minipille und auch die Hormonspirale.
Darüber hinaus fehlen vielen Frauen oft wichtige Mikronährstoffe (B6 und weitere B-Vitamine, Jod, Vitamin D, Magnesium, Zink, Omega-3-FS), um Progesteron überhaupt aufbauen zu können.
Hinzu kommen Übergewicht, Funktionsstörungen der Eierstöcke und vor allem Dauerstress. Leider sind Umweltbelastungen auch zunehmend schuld am Progesteronmangel: zum einen als toxische Belastungen, die den Stoffwechsel und die Aktivität der Mitochondrien stören, zum anderen als hormonaktive Substanzen, sogenannte endokrine Disruptoren, die den Steroid-Stoffwechsel beeinflussen und häufig östrogenähnlich wirken. Als modernes Gift wirkt Elektrosmog, der die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke verändert und wichtige Regelkreise im Gehirn und den Hormondrüsen stört.
Wie wirkt sich speziell Dauerstress auf den Progesteronspiegel aus?
Bei Dauerstress aktiviert der Körper die Ausschüttung von Cortisol in der Nebennierenrinde. Da Cortisol aus Progesteron hergestellt wird, sinkt der Progesteronspiegel infolge des erhöhten Verbrauchs. In der Folge bleiben Eisprünge aus und es kommt häufig zu einer Östrogendominanz. Daher ist Dauerstress auch eine ungünstige Voraussetzung, um schwanger zu werden.
Bei Dauerstress steigt auch der Prolaktinspiegel und sorgt ebenfalls für ein sinkendes Progesteron. Übrigens: Auch Männer können Progesteronmangel entwickeln, der dann zu einem Testosteronmangel führen kann.
Ganz entscheidend ist aber auch, dass Dauerstress und der damit verbundene Progesteronmangel sich auf die Funktion von GABA (Anm. d. Verlags: Gamma Amino-Buttersäure, ein Neurotransmitter) negativ auswirkt. Daher klagen Frauen (aber auch Männer) in diesen Fällen über Reizbarkeit, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen. Progesteronmangel ist in der heutigen Zeit mit den vielfachen Stressbelastungen leider sehr häufig und kann zu starken Einschränkungen der Lebensqualität führen. Leider wird diesem Phänomen in der normalen gynäkologischen Sprechstunde kaum Beachtung geschenkt.
Wie lässt sich ein Progesteronmangel feststellen?
Für Frauen mit regelrechtem Zyklus von 28 Tagen ist es sinnvoll, am 22. Zyklustag eine Blutabnahme oder eine Speichelprobe durchzuführen. Es bietet sich an, bei der Gelegenheit auch die anderen Geschlechtshormone – Östrogen und Testosteron – sowie die Nebennierenrindenhormone Cortisol und DHEA zu bestimmen. Frauen nach den Wechseljahren und Männer können die Laboruntersuchung zu jedem Zeitpunkt durchführen.
Mit welchen natürlichen Mitteln lässt sich der Progesteronhaushalt stabilisieren?
Zunächst muss die Ursache für den Hormonmangel gefunden werden. Ist es Dauerstress – bei stark erhöhten Cortisolwerten – sollte in jedem Fall versucht werden, seinen Lebensstil zu ändern.
Alles was für Entspannung sorgt, ist sinnvoll: Waldspaziergänge, Sport, Yoga, Meditation und nicht zu vergessen: ausreichend Schlaf. Denn eine gute Melatoninproduktion in der Nacht kann maßgeblich zu einer Cortisolreduktion beitragen, was dann den Progesteronspiegel wieder regulieren kann.
Häufig ist auch ein Vitamin-B6-Mangel