PLATON - Gesammelte Werke. Platon
jüngere Sokrates: Wie sollten wir nicht!
Fremder: Das Gesetz aber sehen wir doch, daß es eben hiernach strebt, wie ein selbstgefälliger und ungelehriger Mensch, der nichts will anders als nach seiner eigenen Anordnung tun und auch Niemanden weiter anfragen lassen, auch nicht wenn jemanden etwas neues und besseres gekommen ist außer der Ordnung die er selbst festgestellt hat.
Der jüngere Sokrates: Richtig. Genau so wie du jetzt gesagt hast macht es das Gesetz uns Allen.
Fremder: Unmöglich also kann sich zu dem niemals einfachen das richtig verhalten, was durchaus einfach ist.
Der jüngere Sokrates: So scheint es.
Fremder: Weshalb es nun doch notwendig ist Gesetze zu geben, wenn gleich das Gesetz nicht das richtigste ist, wollen wir davon die Ursache aufspüren?
Der jüngere Sokrates: Allerdings.
Fremder: Es gibt doch auch bei Euch, wie auch in anderen Städten, Übungen vieler Menschen zusammen im Lauf oder sonst worin aus Wetteifer.
Der jüngere Sokrates: Gar viele freilich.
Fremder: Wohl! wiederholen wir uns also was die welche diese Übungen kunstmäßig verstehen darüber anordnen, wo sie zu gebieten haben.
Der jüngere Sokrates: Was doch?
Fremder: Sie glauben doch es sei nicht möglich sie ganz genau im einzelnen auszuarbeiten, so daß sie jedem besonders das für seinen Leib angemessenste aufgäben; sondern etwas mehr aus dem Groben glauben sie müsse man im Allgemeinen für Viele die Anordnung des dem Leibe zuträglichen abfassen.
Der jüngere Sokrates: Schön.
Fremder: Daher messen sie denn Allen insgesamt gleiche Anstrengungen zu, und lassen sie zugleich anfangen und zugleich auch wieder aufhören mit Laufen, Ringen und den übrigen Leibesübungen.
Der jüngere Sokrates: So ist es.
Fremder: So laß uns denn auch vom Gesetzgeber glauben, der seinen Herden vorstehen soll in Sachen des Rechtes und ihres gegenseitigen Verkehrs, daß er nicht im Stande sein werde, indem er allen insgesamt gebietet, jedem Einzelnen genau das Gebührende anzuweisen.
(295) Der jüngere Sokrates: Wahrscheinlich ist es wohl.
Fremder: Sondern nur so dem Haufen insgemein und im Ganzen genommen und mithin den Einzelnen nur gewissermaßen aus dem Groben wird er Gesetze geben, sowohl die er schriftlich abfaßt, als auch wenn er in ungeschriebenen vaterländischen Gebräuchen gesetzgebend ist.
Der jüngere Sokrates: Richtig.
Fremder: Richtig freilich. Denn wie wäre einer wohl im Stande, o Sokrates, sein ganzes Lebenlang für jeden Einzelnen da zu sitzen, um ihm mit aller Genauigkeit das Gebührliche anzuordnen? Denn könnte das freilich einer von denen welche die königliche Kunst besitzen: so würde er wohl bleiben lassen, meine ich, sich selbst Schranken zu setzen, indem er diese sogenannten Gesetze schriebe.
Der jüngere Sokrates: Nach dem vorhin Gesagten freilich, Fremdling.
Fremder: Und noch mehr wohl, o Bester, nach dem was wir noch sagen wollen.
Der jüngere Sokrates: Und was wäre das?
Fremder: Dieses. Laß uns bei uns selbst sprechen, wenn ein Arzt oder einer der den Leibesübungen vorsteht verreisen wollte, und, wie er glaubte, geraume Zeit von denen die er zu besorgen hat abwesend sein, und dabei nicht glaubte, daß die Übenden oder die Kranken seine Anordnungen im Gedächtnis behalten würden: so würde er sie ihnen ja wohl lieber aufschreiben? oder wie?
Der jüngere Sokrates: Gewiß.
Fremder: Und wie wenn gegen seine Meinung die Reise kürzer währte und er wiederkäme, dann sollte er es nicht wagen gegen dieses Aufgeschriebene anderes anzuordnen, wenn sich für die Kranken etwas anderes besser eignete etwa der Winde wegen, oder weil sonst etwas in der Witterung über Erwarten anders als gewöhnlich erfolgt wäre? sondern sollte dabei beharren und meinen, das ehemals gesetzlich vorgeschriebene dürfe nicht übertreten werden, weder von ihm indem er anderes verordnete, noch von dem Kranken indem der etwas anderes als aufgeschrieben ist zu tun wagte, weil dies nämlich das heilkundige und gesunde wäre, was aber davon abwiche schädlich sein müßte und nicht kunstmäßig? Oder würde nicht in jeder Wissenschaft und wahren Kunst, welche es auch sei, auf alle Weise das größte Gelächter entstehen über solche Gesetzgebungen?
Der jüngere Sokrates: Auf alle Weise freilich.
Fremder: Wenn aber was gerecht ist und ungerecht, schön und häßlich, gut und böse, einer aufgezeichnet oder auch unaufgezeichnet den Herden der Menschen vorgeschrieben hat, wie sie eben Staatenweise geweidet werden nach den Gesetzen derer, die dies aufgeschrieben, dem sollte es, wenn er selbst der es kunstgemäß abgefaßt hat oder ein anderer ähnlicher wiederkäme, nicht freistehn anderes von diesem (296) abweichend zu verordnen? Oder müßte nicht auch dies Verbot um nicht minder als jenes in Wahrheit lächerlich erscheinen?
Der jüngere Sokrates: Wie sollte es nicht?
Fremder: Weißt du auch was hierüber die Meisten zu sagen pflegen?
Der jüngere Sokrates: Ich entsinne mich wenigstens dessen jetzt gleich nicht so.
Fremder: Es klingt gar schön. Sie sagen nämlich, wer bessere als die bisherigen Gesetze wisse, der solle Gesetze geben, wenn er nämlich seinen Staat dazu überreden kann, sonst aber nicht.
Der jüngere Sokrates: Wie nun? ist das nicht recht?
Fremder: Vielleicht. Wenn aber nun Einer ohne zu überreden das bessere erzwingt, beantworte mir doch wie dieser Zwang heißen soll? Doch lieber noch nicht, sondern zuvor in dem vorigen.
Der jüngere Sokrates: Was meinst du doch?
Fremder: Wenn einer der seinen Kranken nicht überredet, aber die Kunst recht inne hat, ihn besseres als das Geschriebene zu tun nötiget, sei es nun ein Kind oder ein Mann oder ein Weib; welchen Namen soll wohl dieser Zwang erhalten? Nicht jeden andern eher als den womit das gegen die Kunst gefehlte genannt wird, das ungesunde? Und kann nicht, wer hiezu gezwungen worden ist, alles eher mit Recht sagen, nur nicht daß ihm ungesundes und kunstwidriges widerfahren sei von dem zwingenden Arzte?
Der jüngere Sokrates: Du hast vollkommen Recht.
Fremder: Wie heißt uns nun das gegen die Staatskunst gefehlte? Nicht das Schändliche, das Böse, das Ungerechte?
Der jüngere Sokrates: Allerdings.
Fremder: Die nun gezwungen werden gegen das Geschriebene und Hergebrachte anderes gerechteres, besseres und schöneres als das bisherige zu tun; sprich wenn diese sich nun über solchen Zwang beklagen wollen, und ihre Klage soll nicht die allerlächerlichste unter allen sein, muß sie nicht eher jedes andere aussagen, als daß den Gezwungenen schändliches und ungerechtes und Böses widerfahren wäre von den Zwingenden?
Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.
Fremder: Oder ist etwa wenn der zwingende reich ist, dann das erzwungene recht, wenn aber arm, dann ungerecht? Oder muß nicht vielmehr, habe einer nun mit Überredung oder ohne Überredung, Reicher oder Armer, nach den Schriften oder gegen die Schriften das Zuträgliche getan, dies auch hier die richtigste Bestimmung sein für die rechte Einrichtung des Staates, wie der weise und gute Mann die Angelegenheiten der Beherrschten einrichten wird; so daß wie der Steuermann immer des Schiffes und der Schiffsgesellschaft