PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Denn setze, ich dächte mir, derjenige wäre Theaitetos, der ein Mensch wäre und Nase Mund und Augen hätte, und so jedes der übrigen Glieder; wird nun dieser Gedanke machen, daß ich mir mehr den Theaitetos denke als den Theodoros, oder, wie man zu sagen pflegt, den letzten der Myser?
Theaitetos: Wie sollte er?
Sokrates: Allein wenn ich mir auch nicht bloß einen Nase und Augen habenden denke, sondern auch wohl einen krummnasigen und mit heraustretenden Augen, werde ich dann mehr dich vorstellen, als mich selbst und wer sonst noch so beschaffen ist?
Theaitetos: Um nichts mehr.
Sokrates: Sondern nicht eher, glaube ich, wird Theaitetos in mir vorgestellt werden, bis diese Krummnasigkeit selbst ein sie von andern Krummnasigkeiten, die ich auch schon gesehen, unterscheidendes Merkmal in mir abdrückt und zurückläßt, und so alles übrige, woraus du bestehst, in wie fern dieses mich, auch wenn ich dir morgen begegne, erinnern und machen wird, daß ich mir dich richtig vorstelle.
Theaitetos: Ganz recht.
Sokrates: Also auch die richtige Vorstellung von einem Jeden geht schon auf die Verschiedenheit.
Theaitetos: So scheint es ja.
Sokrates: Zur richtigen Vorstellung noch die Erklärung hinzufügen, was hieße das also? Denn heißt dies, sich noch dasjenige dazu vorstellen, wodurch etwas sich von dem übrigen unterscheidet: so ist das ja eine lächerliche Vorschrift.
Theaitetos: Wie so?
Sokrates: Wovon wir schon eine richtige Vorstellung haben in wiefern es sich von dem übrigen unterscheidet, davon sollen wir nun noch eine richtige Vorstellung hinzunehmen, in wiefern es sich von dem übrigen unterscheidet, und so will alles andere Herumdrehen im Kreise, ohne daß etwas von der Stelle komme, nichts sagen gegen diese Vorschrift. Man könnte es aber mit mehrerem Recht das Zureden eines Blinden nennen, denn uns zureden daß wir doch nehmen möchten was wir schon haben, um das zu erfahren was wir schon vorstellen, das schickt sich ganz vortrefflich für einen Geblendeten.
Theaitetos: Sprich aber, was wolltest du vorher noch herausbringen mit deiner Frage?
Sokrates: Daß wenn auf der andern Seite mit dem Hinzufügen der Erklärung ein Einsehen der Verschiedenheit gemeint wäre, nicht nur ein Vorstellen derselben: dann es eine gar herrliche Sache wäre um diese schönste von den Erklärungen der Erkenntnis, denn einsehn heißt doch Erkenntnis haben? Nicht wahr?
Theaitetos: Ja.
Sokrates: Wer also gefragt wird was Erkenntnis ist, der soll, (210) wie es scheint, antworten, richtige Vorstellung mit Erkenntnis der Verschiedenheit verbunden. Denn das wäre nun nach jenem das Hinzufügen der Erklärung.
Theaitetos: So scheint es.
Sokrates: Und das ist doch auf alle Weise einfältig, denen, welche die Erkenntnis suchen, zu sagen, sie sei richtige Vorstellung verbunden mit Erkenntnis, gleichviel ob des Unterschiedes oder sonst etwas andern. Weder also die Wahrnehmung, o Theaitetos, noch die richtige Vorstellung, noch die mit der richtigen Vorstellung verbundene Erklärung kann Erkenntnis sein.
Theaitetos: Es scheint nicht.
Sokrates: Sind wir nun noch mit etwas schwanger, Freund, und haben Geburtsschmerzen in Sachen der Erkenntnis? oder haben wir alles ausgeboren?
Theaitetos: Ich beim Zeus habe vermittelst deiner Hülfe sogar mehr herausgesagt, als ich in mir hatte.
Sokrates: Und unsere Geburtshelferkunst hat von diesem allen gesagt, es wären nur Windeier und nicht wert daß man sie aufziehe.
Theaitetos: Auf alle Weise ja.
Sokrates: Gedenkst du nun, Theaitetos, nach diesem wiederum mit anderem schwanger zu werden: so wirst du, wenn du es wirst, dann besseres bei dir tragen vermöge der gegenwärtigen Prüfung, wenn du aber leer bleibst, denen, welche dich umgeben, weniger beschwerlich sein und sanftmütiger, und besonnener Weise nicht glauben zu wissen was du nicht weißt. Denn nur so viel vermag diese meine Kunst, mehr aber nicht, noch verstehe ich so etwas wie die andern großen und bewunderten Männer von jetzt und ehedem. Diese geburtshelferische Kunst aber ist meiner Mutter und mir von Gott zugeteilt worden, ihr nämlich für die Frauen, und mir für edle und schöne Jünglinge. Jetzt nun muß ich mich in der Königshalle einstellen wegen der Klage, welche Melitos gegen mich angestellt hat. Morgen aber, Theaitetos, wollen wir uns wieder hier treffen.
Der Sophist
Einleitung
Gleich auf den ersten Anblick unterscheidet man in diesem Gespräch zwei ganz verschiedenartige Massen, deren eine, an beide Enden verteilt, von dem Begriff der Kunst ausgehend durch immer fortgesetztes Teilen und Ausschließen das Wesen und die richtige Erklärung des Sophisten zu finden sucht, die andere aber, mitten in jene sich eindrängend, nach Anleitung der Aufgabe die Gemeinschaft der Begriffe zu bestimmen, von dem Seienden und Nichtseienden redet. Achtet man daher lediglich auf die Bauart und Verbindung des Ganzen, so sollte man dessen wesentlichen Zweck und Inhalt in jener äußeren Masse suchen, und die innere nur für ein wohlgewähltes und unentbehrliches Mittel halten um jenen Zweck zu erreichen. Denn ganz in dem natürlichen Gange der Untersuchung über den Sophisten entsteht das Bedürfnis, ein Nichtseiendes anzunehmen, und über dessen Zulässigkeit etwas festzusetzen: sobald aber dies in soweit geschehen ist, daß die ursprüngliche Untersuchung weiter kann geführt werden, tritt diese auch wieder ein, und erfüllt das Gespräch so ganz, daß es mit ihrem Abschluß zugleich auch endet. Sieht man hingegen auf die Wichtigkeit und den wissenschaftlichen Gehalt beider Massen: so tritt die äußere gänzlich zurück als etwas im Vergleich mit der inneren fast geringfügiges; zumal ihr Gegenstand schon in mehreren Gesprächen von mancher Seite berührt war, und wir in der Tat hier nichts irgend neues über die Natur des Sophisten erfahren, sondern das Neue nur in dem Verfahren und der Zusammenstellung besteht. Daher diese Frage weit weniger für den Gegenstand eines auch dem Umfange nach so ansehnlichen Werkes kann gehalten werden, als jener andere schon an sich mehr philosophische Teil, durch welchen nicht nur das Wesen des Nichtseienden, worüber damals so vielfältig gestritten ward, gründlicher als anderwärts, und, wie man offenbar sieht, zu Platons völliger Zufriedenheit aufs Reine gebracht, sondern auch über das Sein selbst tiefsinnig geredet, und über die bisherigen Arten es philosophisch zu betrachten in einigen großen Zügen geurteilt wird. So daß man hierauf sehend gerade in der Mitten allein den wahren Gehalt suchen, und glauben möchte, je mehr nach außen, um desto mehr gehe alles allmählig über in Einfassung und Schale. Hiezu kommt noch, daß man in der Behandlungsweise jener Frage nach dem Wesen des Sophisten den Spott unmöglich verkennen kann, der teils seine Freude daran hat, nahe Verwandtschaft zwischen dem Geschäft des Mannes und allerlei niedrigen Handtierungen aufzuzeigen, und ihn namentlich als Kaufmann recht vielfältig darzustellen, teils auch das Bild von einem schlauen schwerzufangenden Tiere immer wieder aufs neue aufnimmt. Ja auch, die angewendete Methode, bloß durch fortgesetztes Teilen das Gesuchte zu finden, wird hier beinahe verhöhnt. Denn wiewohl sie einen wichtigen Teil der dialektischen Kunst ausmacht, und anderwärts vom Platon sehr ernstlich betrieben und empfohlen wird, so scheint sie doch hier bei dem scherzhaften Gegenstande nicht nur gleichfalls nachlässig behandelt, wenn zum Beispiel erst im Kampf der Tausch, dann wieder im Tausche der Kampf Unterabteilungen werden, die ursprünglich als gleich neben einander standen, und auch sonst Willkür überall herrscht; sondern wirklich verspottet wird dieses Verfahren von Platon selbst, indem er eben aus der Menge der Versuche beweiset, daß man nie das Wesen der Sache erreicht, sondern nur einzelne Merkmale aufgegriffen habe, wie er dann auch zuletzt, wo der Gegenstand richtig und erschöpfend dargestellt wird, nicht mehr so vom Allgemeinen,