Love – Konsequent scheitern (Band 2). Ellen M. Zitzmann

Love – Konsequent scheitern (Band 2) - Ellen M. Zitzmann


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Sie holte die Badesachen aus ihrem Zimmer und schlenderte im Zickzack betont lässig durch den Garten hinunter zum Pool. Dabei fiel ihr Handtuch zu Boden, das sie die restlichen Meter zum Pool noch lässiger hinter sich herzog.

      Während Giulia ihre Freundin beobachtete, dachte sie an ihren Sohn. Es waren warme Gedanken, die mit Gefühlen des Stolzes einhergingen. Amar hatte es nach etlichen Jahren des ziellosen Herumirrens geschafft, sich zu stabilisieren. Giulia atmete ein paar Mal tief ein und merkte, wie sich ihr Geist und Körper entspannten. Als sie sich wieder an den Küchentisch setzte, fühlte sie sich leicht und wohl. Mara und Manuel waren tief in ein Gespräch verstrickt und schenkten ihr keine Aufmerksamkeit. Giulia nahm das halbvolle Glas Wasser, das sie auf dem Tisch stehen ließ, leerte es in einem Zug und konzentrierte sich auf das Gespräch.

      Manuel sagte: „Nach gründlicher Abwägung, ähm, meine ich, die romantischen Beziehungen laufen doch überall auf der Welt nicht besonders gut, weder im Bett noch im Alltag.“ Er wirkte reifer, älter, so, als hätte ihn sein Leben zu dem Mann geformt, der er hatte sein sollen, dachte sich Giulia insgeheim. Und er war ernster geworden, bewahrte sich jedoch seinen lebendigen Ausdruck, der ihm, wenn er über sein Gesicht huschte, ein jugendlich frisches Aussehen verlieh.

      „Wie recht du doch hast, Manuel“, brachte sich Giulia in das Gespräch ein. „Mit den Liebesbeziehungen in den westlichen Konsumgesellschaften wird es eben nicht einfacher.“ Giulia blickte die beiden erwartungsvoll an. Ihr Kommentar schien ihnen ganz willkommen, weshalb sie weitersprach. Sie kam auf Indianerstämme zu sprechen, die mit unkonventionellen Methoden ihr Miteinander in den ehelichen Partnerschaften regeln würden. „Die Aché-Indianer in Paraguay sprechen von einer Ehe, wenn Mann und Frau in derselben Hütte wohnen und sich die Hängematte teilen. Die Ehe gilt als geschieden, sobald sie ihre Hängematten in verschiedenen Hütten aufhängen.“ Giulia kam regelrecht ins Schwärmen. Ohne Luft zu holen, fuhr sie fort: „In anderen Stämmen heiraten die Mädchen mehrere Male, bevor sie eine langfristige Beziehung eingehen, oder sie werden zu vorehelichen Dienstleistungen mit anderen Männern angehalten, um sexuelle Kompetenzen aufzubauen.“

      „Interessant. Das mit dem sexuellen Nachhilfeunterricht finde ich gar nicht mal so verkehrt. Den sollte es für Männer wie für Frauen geben. Beim Sex sind doch viele praktisch vollkommen ahnungslos und lassen sich auf faule Kompromisse ein. Nach dem Motto: Der Sex läuft gut, aber die Beziehung nicht, oder die Beziehung läuft gut, aber der Sex ist scheiße, hält man dann an der Restbeziehung fest“, bekräftigte Mara mit süß-saurer Miene und kam auf den 90-jährigen indischen Sexologen Mahinder Watsa zu sprechen, der mit seiner Kolumne Ask the Sexpert weltweite Bekanntheit errungen hatte. Watsa würde über Sex und Sexualität ohne Blabla und Umschweife sprechen, was sehr befreiend wirken würde, berichtete sie voller Begeisterung. Außerdem würde er sich den einfachsten und dümmsten Fragen stellen: Kann man beim Herunterschlucken von Sperma schwanger werden? Ist es sicher, den Penis in der Scheide zu lassen, wenn man schläft? Wird man von der Masturbation blind?

      „So lächerlich, wie sich manch eine Frage anhört, so wichtig ist es, sie ohne Scham einem vertrauenswürdigen Menschen stellen zu können, der nicht darüber lacht. Kinder und Jugendliche müssen vorbehaltlos aufgeklärt werden. Denn sie schämen sich, mit ihren Eltern oder älteren Geschwistern darüber zu sprechen.“ Mara nahm sich die Toastscheibe aus dem Ständer, der auf dem Tisch stand und legte sie auf ihren Teller. Ihr war nicht entgangen, dass Manuel sie regelrecht angestarrt hatte, bevor er sein Plädoyer hielt.

      „Ich bleibe dabei: Wir sind übersexualisiert durch das Internet. Die Pornos und obszönen Selbstdarstellungen, die dort zu finden sind, machen viel kaputt, bei Erwachsenen wie bei Kindern. Auch muss scharf kritisiert werden wie Männer noch heutzutage Frauen wahrnehmen und marginalisieren. Pornodarstellungen zeigen doch ein absolut unausgewogenes Dominanzverhältnis zwischen Mann und Frau. Frauen sind da nichts weiter als Samenauffangbecken. Und dann, ähm, die ganzen Sexsüchtigen, die sich täglich in den Beratungsstellen melden und über die Verlockungen von Pornografie und Prostitution im Internet berichten. Sexsüchtige gibt es doch in allen Alters- und Einkommensgruppen. Schüler, die ihre Schulabschlüsse deswegen nicht schaffen. Studenten, die nicht mehr von Tinder, YouTube und so weiter loskommen. Erwachsene, die sich um den Schlaf bringen.“ Das Thema regte Manuel ziemlich auf. Abrupt erhob er sich, ging zur Anrichte, holte sich eine Zigarette aus der Schachtel hervor, die neben dem Salzgebäck und den Erdnüssen lag, und steckte sie samt Feuerzeug in seine Hosentasche.

      „Du wolltest doch mit dem Rauchen aufhören?“, fragte Giulia etwas provozierend.

      Manuel zuckte abweisend mit den Schultern und wandte sich ihr zu: „Wollte ich?“ Er beugte sich vor, fixierte sie mit seinem Blick und sagte: „Stell dir vor, in letzter Zeit habe ich mir noch ein paar andere Macken zugelegt – Schlafstörungen, Übergewicht, Sorgen.“

      Mara und Giulia waren wie vor den Kopf gestoßen und begriffen so gut wie nichts. Seine Offenheit machte sie sprachlos und eine ganze Weile saßen sie einfach nur da. Manuel eilte hinaus, zündete sich eine Zigarette an und blieb am Türrahmen stehen.

      Giulia erschrak. Der Anblick erinnerte sie an eine Situation, die vergessen war. Sie sah Alex vor sich, wie er einmal mit der glimmenden Zigarette, am Türrahmen eines Lokals lehnte.

      „Umso peinlicher ist es …“ Manuel drehte sich zu ihnen um, sprach laut und deutlich weiter, „mir selbst einzugestehen, dass ich als Vater versagt habe.“ Er kehrte an den Tisch zurück, drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und setzte sich neben Mara. „Mein Ältester schmiss die Schule, kurz vor seinem Abi, absolvierte dann eine Schreinerlehre“, erklärte Manuel, zog seine Stirn in Denkerfalten und ergänzte, dass sein Sohn Stuhlmodelle entwerfen würde – von schlicht und puristisch bis extravagant und trendig.

      „Cool“, äußerte sich Mara anerkennend. „Er tritt in deine Fußstapfen. Darauf kannst du stolz sein.“ Mara aß den letzten Bissen Toast, den sie sich mit Ziegenfrischkäse bestrichen hatte.

      „Wenn du meinst.“

      Manuel stand auf, ging wieder hinaus und zündete sich die nächste Zigarette an. Mara beobachtete er aus den Augenwinkeln, die ihm einen fragenden Blick zuwarf.

      „Das frische Poolwasser tut gut. Habt ihr schon mal was von Slow Sex gehört?“ Clarissa schneite mit einem Lavendelstrauß in die Küche herein. Gutgelaunt plauderte sie drauflos und erzählte über eine neue Sexualitätsform, die ihr beim Schwimmen durch den Kopf ging. Dabei sei man keinem Leistungsprogramm unterworfen und könne ganz ohne Druck und ohne Penetration Sex genießen. Eine achtungsvolle Methode sei das, bei der sanfte körperliche Berührungen im Mittelpunkt stehen würden und eine Befriedigung in homöopathischen Dosen erfolgenwürde.

      Mit einem knarzenden Geräusch schob Giulia ihren Stuhl zurück. „Also Veggie Sex“, schoss aus ihr in höchst zutreffender Weise heraus, währenddessen sie herzhaft lachte und ihren Bauch festhielt. Sie lehnte sich zurück und bekundete grinsend, es schleunigst ausprobieren zu wollen.

      Clarissa steckte den Lavendelstrauß in eine Vase, brach sich eine große Scheibe Baguette ab, das seit Stunden auf dem Tisch lag, schnappte sich ein paar Würfel vom pfefferummantelten Schafskäse, den sie im Kühlschrank fand, und hastete, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wieder in Richtung Pool. Endlose Beziehungsgespräche schienen sie momentan nicht zu interessieren.

      Giulia und Mara beschlossen hingegen, sich in die bequemen Gartenstühle auf die Terrasse zu setzen und weiter zu diskutieren. Schließlich standen etliche Fragen im Raum: Wie lange hält die sexuelle Anziehung und Romantik zwischen zwei Menschen im Normalfall an? Kann sie ewig andauern, so wie es das klassische Ehemodell vorsieht? Ist die Zweierbeziehung noch zuretten?

      Manuel gesellte sich ebenfalls zu ihnen. Er schnippte die Asche seiner Zigarette in den Aschenbecher, hielt sie zwischen dem Ringfinger und kleinen Finger der linken Hand fest und schaltete mit dem Zeigefinger seinen Tablet-PC ein, der auf einem der Gartenstühle lag. Er nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch in die Luft und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Bei Google tippte er ein: Sex, Libido, Partnerschaft. Im Nullkommanichts erschienen eine unübersichtliche Menge von Einträgen, YouTube-Videos und Buchtipps, woraufhin Manuel die Suche eingrenzte und Abfallen, Libido, Ehe eingab. Dank seiner Fähigkeit,


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