Love – Konsequent scheitern (Band 2). Ellen M. Zitzmann
das hast du denen abgenommen?“, meldete sich Manuel zu Wort, legte das Handy zur Seite und schaute skeptisch in die Runde.
„Freilich haben sich die meisten mit der Zeit als wenig originell erwiesen, sodass am Schluss vier, fünf, sechs Typen übrig geblieben sind, bis sich auch diese Kontakte wie von selbst erledigt haben. Leidenschaft und Interesse sind mit der Zeit einfach viel zu platt und zu plump rübergekommen. Es gab nur noch ein Thema.“
„Sex!“, traf Clarissa ins Schwarze.
„Richtig. Mich hat es echt gestört, dass die Männer immerzu über sich, ihren beruflichen Erfolg und persönliche Anliegen gesprochen haben. Ich hatte den Eindruck, dass sie nach devoten, abhängigen Frauen gesucht haben. Nach Frauen, die sich ihrer Karriere ohne Wenn und Aber unterordnen. Darauf konnte ich mich nun wirklich nicht eingelassen. Worauf sich die einen stillschweigend zurückgezogen haben. Die anderen haben ihrem Ärger Luft gemacht, mich beschimpft, beleidigt und unmissverständlich aufgefordert, die Plattform zu verlassen. Davon mal abgesehen, die ständigen Abwägungen über Kosten, Nutzen, Optionen, Präferenzen haben mich mit der Zeit dermaßen angeödet, dass ich meine Suche von alleine beendet und meine Mitgliedschaft gekündigt habe.“
„Bravo, Giulia.“ Manuel klopfte mit den Fingern anerkennend auf den Tisch.
„War deine Sache dann vorbei?“, hinterfragte Clarissa kritisch.
„Nein, ich musste die Mitgliedsbeiträge weiterbezahlen, weil ich die Kündigungsfrist verpasst und sich mein Vertrag automatisch um ein Jahr verlängert hatte. Die Firma in Hamburg blieb hart und ging auf keine kulante Lösung ein, was sie aber auch nicht davon abhielt, mich weiterhin mit Werbeangeboten und Top-Angeboten zu bombardieren. Meine Beschwerden liefen ins Leere. Erst als ich mir eine neue E-Mail-Adresse zulegt hatte, war dieser Spuk vorbei.“
Clarissa sprach jetzt als Anwältin: „Online-Partneragenturen ködern potenzielle Kunden stets mit einer kostenlosen Mitgliedschaft und lukrativen Angeboten, die dann, wenn sie das System nicht durchschauen, für das große Glück immer tiefer in die Tasche greifen müssen, um an begehrte Top-Profile von Premium-Kandidaten heranzukommen. Millionen von Singles begeben sich mittlerweile im Internet auf Partnersuche. Keine Frage, das ist eine bequeme, sehr bequeme Sache, so von Sofa zu Sofa. Daten und Informationen über andere Menschen lassen sich wirklich leicht finden und ausspionieren. Und natürlich ist die mathematische Wahrscheinlichkeit hoch, jemanden zu finden. Ob man den Richtigen oder die Richtige findet, steht allerdings auf einem anderen Blatt.“ Sie wandte sich Giulia zu und sagte: „Nein, diese Art der Partnersuche werde ich nicht verfolgen. Und du solltest es auch bleiben lassen.“ Als Juristin hegte Clarissa grundsätzliche Zweifel an den Geschäftspraktiken der Online-Dating-Industrie. Eilig ging sie in die Küche, holte die eisgekühlte Kräuterlimonade aus dem Kühlschrank und kam mit einem Krug und vier Gläsern zurück. Das Tablett stellte sie auf den Tisch und schenkte ein.
„Wow, was für eine Überraschung!“, jubelte Mara hocherfreut und steckte sich gleich einen von den Schokoladenkeksen in den Mund, die in einer Holzschale lagen.
Mara führte das Glas an den Mund und trank einen kräftigen Schluck. „Das tat mal richtig gut jetzt. Was ist da alles drin?“
„Limetten, Minze, Orangenthymian, Salbei, Ingwerscheiben, Zitronenmelisse, etwas Zucker und zwei Liter Mineralwasser. Fast alle Zutaten sind aus den Kräuterbeeten“, antwortete Clarissa stolz.
Während die Frauen genüsslich an ihren Gläsern nippten, griff Manuel nach seinem Tablet, gab seinen Code ein, um über Partner-Portale zu recherchieren, murmelte er vor sich hin. Ruckzuck war er in seinem Tun versunken. Dabei wirkte er wie ein emsiger Fischer, der vom Fang seines Lebens träumte und im nächsten Moment stinksauer wurde, weil er nichts anderes als Müll aus dem Meer herausfischte. Schließlich wurde er doch fündig: „Prinzipiell“, begann er, „findet man auf den Plattformen für jede Vorliebe und Interessengebiet unzählige Angebote. Es gibt Plattformen für Christen, Muslime, Juden, Atheisten. Für schöne, große, weniger schöne, kleine Menschen. Für Homosexuelle, Tierschützer, Künstler, Vegetarier und für alle, die nur nach erotischen Abenteuern suchen. Natürlich versichern die Anbieter, keine Ramschware und keine Restposten anzubieten, sondern nur Top-Kontakte, also, hm, Liebessuchende mit makellosen Profilen, die man für Hunderte von Euro im Jahr kontaktieren und nach Belieben aufpolieren kann.“ Manuel lachte laut und fuhr etwas kühner fort: „Ein paar Kilos weniger, ein paar Zentimeter größer, um ein paar Euro reicher und ein paar Jährchen jünger. Auf den Plattformen wird gemogelt, was das Zeug hält.“ Er witzelte dann darüber, dass Liebessuchende hinter ihrem Laptop herumsitzen können, wie sie wollen – unfrisiert, unrasiert, ungewaschen, mit übelriechendem Atem und einer Fast-Food-Verpackung in der Hand. „Das kriegt doch keiner mit“, sagte er und dass die Tests einen mit Allerweltsfragen bombardieren würden, die man manipulieren könne, wie man wolle. Sind Sie Raucher, Nichtraucher? Welche Sportarten betreiben Sie? Wo, wie machen Sie Urlaub? Wie wichtig sind Ihnen Treue, Verlässlichkeit, Vertrauen in einer Partnerschaft?
Manuel hob den Persönlichkeitstest bei ElitePartner hervor, der nach seiner Meinung etwas profunder vorgehen würde, weil er beziehungsrelevante Persönlichkeitsmerkmale abfragen würde, etwa persönliche Kompetenzen und Interessen. Ein Matching-System würde dann die Antworten mit denen von anderen Nutzern vergleichen und Prozentwerte ermitteln. Je höher dabei der erreichte Prozentwert einer Übereinstimmung sei, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit für eine gelingende Partnerschaft, so die Theorie. Ob man aber wirklich zu einem anderen Menschen passen würde, nur weil eine 99-prozentige Übereinstimmung erzielt würde, bezweifelte Manuel stark. Weil zu viel Harmonie und Übereinstimmung die lebendige Dynamik in einer Beziehung vernichten würde, sowie Leidenschaft und Erotik. „Wenn erotische Langeweile um sich greift, enden die Liebesbeziehungen direkt im Grab. Die lässt sich auch bei einer 100-prozentigen Übereinstimmung nicht herbeizaubern.“ Manuel drehte sich halb um die eigene Achse, um sich zu vergewissern, dass ihm auch alle zuhörten, fragte dann, ob noch etwas von der Limo übrig sei. Sein Mund sei völlig ausgetrocknet. Clarissa nickte, nahm den Krug und schenkte ihm den Rest von der Kräuterlimonade ein.
Mara zog sich in den Schatten zurück, weil sie die Hitze nicht mehr so gut vertragen würde wie früher, meinte sie. So gut es ging, machte sie es sich in einem Korbsessel bequem und streckte die Beine aus. Es war Sonntagnachmittag und am Himmel war kein Wölkchen zu sehen.
„Apropos erotische Langeweile“, begann Manuel kurze Zeit später, denn das Thema ließ ihm einfach keine Ruhe. „Monogamie droht doch auszusterben, seitdem es die Partnersuche im Netz gibt.“ Der leichte Zynismus in seiner Stimme war nicht zu überhören, als er fortfuhr: „Wie man hört, sind wir Männer im Netz auf einem anderen Kurs – dem bequemeren und billigeren. Dort draußen leben wir angeblich freier und ungehemmter unsere Triebe aus, jagen lustvoll nach gebärfähigen Frauen, die sich mühelos von uns abschleppen lassen. Ob man den virtuellen Frauenverschleiß, sei er nun tatsächlich oder eingebildet, als eine Art moderne Männlichkeitsdarstellung bezeichnet oder als eine einsame Art zu leben, das, hm, das weiß ich selbst nicht.“ Manuel nervten derartige stereotype Denkschablonen gewaltig und er nutzte die Gunst der Stunde, sie mit subtilem Sarkasmus zu kritisieren, ohne dabei seine Stimme zu erheben und in Wut zu geraten.
„Mein Mitbewohner behauptet ständig, das ewige Eheversprechen gehöre ins letzte Jahrhundert und in einer festen Beziehung könne man ganz selbstverständlich Nebenbeziehungen pflegen“, sagte Clarissa darauf, die selbst wenig überzeugt davon klang.
„Ziemlich selbstgefällig und herablassend“, kommentierte Giulia, die aber meinte, dass Monogamie nichts mit Liebe zu tun hätte. Mit zwei Fingern kramte sie das Handy aus ihrer löchrigen Jeanshose heraus.
„Aber so einfach ist das nicht“, funkte Mara dazwischen. Sie erhob sich aus dem Korbsessel und ging schnurstracks auf Manuel zu. „Fakt ist doch“, brachte sie mit starker Stimme hervor, „dass sich im Netz sexistische und über Jahrzehnte verinnerlichte Plattheiten über veraltete Frauenbilder geradezu pandemisch über den Globus verbreiten, ohne dass daran irgendjemand Anstoß nimmt.“
Giulia legte ihr Handy auf den Tisch, stand auf und rannte zum Pool. Statt die Dinge auszudiskutieren, Meinungen und Interessen auszugleichen, brauchte sie jetzt