Love – Konsequent scheitern (Band 2). Ellen M. Zitzmann

Love – Konsequent scheitern (Band 2) - Ellen M. Zitzmann


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ein paar Seiten um, dann wieder zurück, bis er die gesuchte Stelle fand, mit der er sich intensiver auseinandergesetzt hatte. Und zitierte: „dass, wenn die Partner über keine individuellen Fähigkeiten verfügen würden, über Eigenschaften, die dem anderen fehlen und nach denen er sich sehnt, …“ Manuel hielt kurz inne, bevor er weiterlas: „dass dann die erotische Spannung und das Begehren nicht ausreichen würden, die Liebe zwischen zwei Menschen nachhaltig zu nähren.“ Aus einer Beziehung würde vielleicht Harmonie, Wohlwollen, Teilhabe, gegenseitiges Interesse, aber es würde keine elektrisierende Kraft entstehen, wie sie nur zwischen zwei gegensätzlichen Polen aufkommen könne und die für romantisch Liebende von größter Bedeutung sei. Lust und Erotik allein würden auf Dauer zwar stimulierend wirken, in leidenschaftlichen Beziehungen könne das aber zu erotischer Eifersucht und problematischen Machtkonflikten führen, fasste Manuel am Schluss zusammen. Dann legte er das Buch auf den Tisch, die aufgeschlagenen Seiten nach unten und schob sein leeres Glas beiseite. „Beim Lesen ging mir durch den Kopf, dass es dem Millionengeschäft der Onlinepartner-Industrie schnurzpiepegal sein kann, ob diese elektrisierende Kraft zwischen zwei Liebenden entsteht, oder nicht. In erster Linie muss die Kasse stimmen. Den Konzernen und Verlagen, die sich dahinter verstecken, geht es um wirtschaftliche Interessen, darum, jährliche Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe zu generieren, weit weg von jeglicher Gefühlsduselei. Und weit weg von philosophisch-schöngeistigen Ansätzen.“ Manuel sah zu Giulia hinüber, gespannt darauf, wie sie sich dazu äußern würde. Ihre freigeistige Haltung schien im gut zu gefallen, da sie horizonterweiternde Beiträge jenseits des Mainstreams in die Gespräche einbrachte, ohne verkrampft und starrköpfig zu wirken. Giulia wiegte sich gerade rhythmisch im Takt der Musik, die aus der Küche drang. Sie machte aber keine Anstalten irgendetwas darauf sagen zu wollen.

      „Hits aus den 80ern und 90ern.“ Clarissa tänzelte barfuß mit einem Tablet aus der Küche und schenkte am Tisch die frisch angesetzte Kräuterlimonade in vier Gläser ein.

      „Was für eine Wohltat“, schwärmten alle und bedankten sich fast schon überschwänglich für das durstlöschende Getränk.

      „Wir haben schon vernommen, dass du im Garten auf der Suche nach Kräutern unterwegs warst“, sagte Mara bestens gelaunt.

      „Vegan, durch und durch“, antwortete Clarissa stolz. Sie erhoben ihre Gläser und stießen auf ihr Zusammensein an – den eigentlichen Zweck des Kurztrips.

      „Nun sag schon, Giulia, wie findest du die Aussagen von Wilson?“, fragte Manuel sie direkt, „ich würde gern darüber diskutieren.“

      „Nun ja. Alex kam mir in den Sinn. Die vielen Machtkonflikte, der Beziehungsstress und, und, und.“ Giulia bedankte sich für den Literaturtipp und meinte, darüber intensiver nachdenken zu wollen. Während sie nach dem Buch griff, das vor ihr auf dem Tisch lag.

      „Und du, Mara?“

      Manuel war wirklich erpicht darauf, weiter darüber zu diskutieren. Doch Mara zögerte, schaute zur Seite. Es war ein ungewohntes Bild, das die sonst redselige 46-Jährige abgab.

      „Was ist?“ Ungeduldig wippte Manuel mit dem rechten Fuß, während Mara schwieg.

      „Lass doch“, kritisierte Giulia sein Verhalten. Sie hätte ihn schließlich wegen des Zustands seines Sohnes auch nicht gelöchert. Eher intuitiv nahm sie Mara in Schutz. Am Tisch wurde es still. Nur Lino schrie ein paarmal. Als Manuel im Begriff war wegzugehen, räusperte sich Mara und fing leicht nervös an: „Wilsons Ansätze klingen plausibel. Und, ähm, meine Ex-Beziehung war weder erfüllend noch elektrisierend. Obwohl wir uns gegenseitig respektierten, es harmonisch zuging. Hm. Bis mir schließlich bewusst wurde, dass ich auf Frauen stehe, und ich mich dieser Tatsache stellen muss.“

      „Frauen?“, unterbrach Manuel, dem erst einmal die Sprache wegblieb.

      Maras Stimme klang jetzt rau und belegt, worauf ihr Clarissa Limonade nachschenkte. Sie nahm das Glas, leerte es in einem Zug und gestand, dass sie sich zunächst heimlich auf verschiedenen Plattformen umgeschaut und gezielt nach Frauen gesucht hätte.

      Manuel griff nach der zerknautschten Zigarettenschachtel, drehte sie auf dem Tisch hin und her.

      „Ehrlich?“

      „Maximal ehrlich!“

      Mara hatte sich wieder gefangen, und ihre Stimme klang klar und kräftig wie eh und je. Ihr spontanes Coming-out kam für alle überraschend. Im Gegensatz zu Clarissa und Giulia war Manuels seelisches Gleichgewicht doch ein wenig aus dem Lot geraten.

      „Aha, jetzt verstehe ich auch deinen Kommentar, dass Frauen ohne romantisches Brimborium Lust auf Sex haben können. Ich habe mich schon gefragt.“ Clarissa fasste sich an den Kopf, so als ob sie gerade eine wichtige Entdeckung gemacht hatte.

      „Bi oder lesbisch?“, fragte Manuel mit einem angespannten Gesicht. Es fiel ihm schwer zu glauben, was er gerade gehört hatte. Und zweifellos musste er jetzt seine Hoffnungen begraben.

      „Lesbisch. Seit zwei Jahren wohne ich mit Linda zusammen, und, ähm, bald wird geheiratet. Endlich habe ich mein Glück gefunden und den Menschen, der mir guttut. Mit meinem Ex-Mann verschwendete ich viele Jahre meines Lebens. Immer fehlte mir etwas, das, was man das Gelbe vom Ei nennen könnte. Als schließlich eine neue Kollegin in meine Abteilung kam, geschah es: Ich verliebte mich. Konnte nichts dagegen tun. Mein Single-Leben in London und meine Sucherei im Internet waren auf einen Schlag beendet – obschon es nicht leicht war, mich einer jüngeren Frau zu öffnen, die bereits mit einer Frau verheiratet war, ähm, und über jede Menge lesbischer Erfahrungen verfügte.“

      Mara war sichtlich erleichtert und atmete tief ein, als sie aufstand, auf Manuel zuging und ihn von hinten umarmte. Aus ihrem Innern strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus.

      „Das muss ich erst mal verdauen.“ Manuel blieb teilnahmslos auf seinem Stuhl sitzen und starrte vor sich hin.

      „Ich weiß. Aber danke, dass du nicht locker gelassen hast.“ Mara legte ihm fürsorglich eine Hand auf die Schulter. Um ihrer Freundschaft willen hätte sie ihm das längst sagen sollen, da ihr seine Aufmerksamkeiten und sehnsüchtigen Blicke nicht entgangen seien, erwähnte sie.

      Manuel hatte sich gefangen, wirkte selbstsicher und doch betroffen. „Seit der Schulzeit kennen wir uns. Ähm. Damals bin ich voll auf dich abgefahren. Jetzt schäme ich mich über meine Teenagerfantasien und dass ich diesen noch nachhänge. Am meisten bedaure ich aber, dass ich dir keinen Raum ließ, dich mir frei und ohne Zwang anzuvertrauen.“

      „Wow. Was für eine großzügige Geste.“ Giulia war begeistert, auch wenn Manuels Worte etwas kitschig und übertrieben klangen. „Und ich dachte, Himmel, was für eine Romanze. Da konnte man schon richtig neidisch werden“, kommentierte sie offen die neue Realität.

      „Was soll’s! Hauptsache der Liebeshimmel tut sich über einem auf – ob nun schwul, lesbisch, hetero oder was auch immer. Warum zum Teufel stellen wir uns die Liebe immer nur zwischen zwei Heteros vor?“ Clarissas versöhnlichen Worten, stimmten alle ohne Wenn und Aber zu.

      „Dann, dann wollte ich noch was sagen, nämlich, ähm.“ Maras Stimme überschlug sich fast vor Freude. „Nämlich, dass ich mich, ähm, weil ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen wollte, bei ElitePartner angemeldet hatte. Auch, hm, weil ich nach ein paar Jahren ohne feste Beziehung selbstbewusster mit meinen Bedürfnissen und meiner Neigung umgehen – unbeschwerter und freier nach einer Frau suchen konnte. Ich musste erst innerlich heranreifen und mit mir selber klarkommen, bevor ich mich auf das Neue einlassen konnte. Und nun bin ich guten Mutes und kann behaupten, dass jeder Mensch selbst herausfinden muss, was er braucht und ihm guttut. Mit Linda habe ich meine Lebensendliebe gefunden. Sie betreibt inzwischen eine kleine Kunstgalerie in London. Nachdem wir unsere Beziehung etabliert hatten, verließ sie meine Abteilung und fand das, was sie immer schon machen wollte: Moderne Kunst sammeln und verkaufen.“

      Giulia eilte in die Küche, holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und brachte sie zusammen mit vier Sektgläsern auf einem Tablett auf die Terrasse. Am Tisch löste sie die Agraffe und ließ den Korken mächtig knallen.

      „Darauf stoßen wir jetzt an –


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