Love – Konsequent scheitern (Band 2). Ellen M. Zitzmann

Love – Konsequent scheitern (Band 2) - Ellen M. Zitzmann


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Und dass ich mittlerweile in der Lage bin, mein Leben so zu leben, wie es für mich gut ist, ich es nicht nach den Wünschen und Erwartungen von anderen ausrichte. War ein langer Prozess, da ein unabhängiges Leben für eine Frau keine Selbstverständlichkeit ist. Daran hat sich bis heute wenig geändert.“ Nachdenklich schnitt Giulia die Karotten in kleine Streifen.

      „Das hat mir schon immer an dir imponiert“, erwiderte Clarissa.

      „Was denn?“, fragte Giulia.

      „Dass du deinen Weg gehst, ziemlich furchtlos sogar.“

      „So, so!“ Giulia blickte ein wenig skeptisch.

      Clarissa kam noch einmal auf den Amerikaner zu sprechen. „Wer weiß, vielleicht war der Typ ein Hochstapler, der das alles nur vorgab, um dir zu imponieren“, analysierte sie trocken, während sie die Schalotten in grobe Stücke zerhackte und Knoblauchzehen auspresste.

      „Hm, an deinem Verdacht könnte was dran sein.“ Giulia stellte eine Pfanne auf den Herd, schwitzte die Schalotten mit dem Knoblauch in Olivenöl an, gab die schräg geschnittenen Karotten samt Tomaten, Chilischoten und eine Handvoll Kräuter hinein. Den Sud ließ sie vor sich hin köcheln und erhitzte auf einer anderen Herdplatte in einem großen Topf Wasser, in dem dann die Muscheln mit dem Selleriegemüse so lange gegart wurden, bis alle Muscheln geöffnet waren. Anschließend goss Giulia den größten Teil des Wassers ab und gab eine Dreiviertelliter-Flasche Muscadet hinein. Vorsichtig rührte sie das Gemenge um und ließ es nochmals vor sich hin köcheln. Zum Schluss verteilte sie die gehackten Kräuter über dem Gericht. Fertig. Clarissa legte das aufgebackene Baguette auf den Tisch, das Manuel und Mara gestern zusammen mit den Muscheln, dem Gemüse und Wein in den Markthallen des Mercat de Santa Catalina eingekauft hatten.

      Im Gegensatz zum Naschmarkt in Wien oder zum Viktualienmarkt in München, wo ganze Busse vorfahren und Hundertschaften von fotografierenden Touristen aussteigen, ist der beschauliche Markt in Santa Catalina noch nicht von Touristen überlaufen. Und man zumeist auf Einheimische aus dem Viertel trifft.

      Clarissa setzte sich zu Manuel und Mara an den Tisch, während Giulia den riesigen Topf mit den Muscheln darauf abstellte. Sie öffnete den Deckel. Die halb geöffneten Muscheln verströmten einen intensiven Geruch nach Tang, säuerlichem Wein, Knoblauch und Kräutern.

      „Hunger, Hunger!“, rief Mara mit lauter Stimme und beobachtete akribisch die Vorgänge am Tisch.

      „Wie war das mit den zufälligen Begegnungen?“, fragte Manuel plötzlich, der mit halbem Ohr zugehört hatte und auch nicht von sich behaupten konnte, dass er das Multitasking aus dem Effeff beherrschte.

      Clarissa wiederholte, dass es besser sei, sich auf die Begegnungen einzulassen, die sich zufällig ereignen würden – Tag für Tag, Stunde um Stunde. Und fügte hinzu: „Was ich eigentlich sagen wollte: Ich bevorzuge es, auf überraschende Begegnungen erwartungsfrei und ohne Schicksalsgedanken zu reagieren, beruflich wie privat.“

      „Gesetzt den Fall, ein interessanter Mann – einer von meinem Schlag –“, scherzte Manuel, „lächelt dich unentwegt in einem Café an. Es ergibt sich ein Smalltalk. Du lässt das dann einfach geschehen, ohne die Situation mit Gedanken und Interpretationen an eine neue Liebe zu überladen?“

      „Ja, so in etwa“, antwortete Clarissa und nickte zustimmend mit dem Kopf.

      „Gar nicht so einfach. Ich meine, angemessen auf zufällige Begegnungen zu reagieren, ohne sie mit falschen Annahmen zu überfrachten. Einfach abzuwarten – Mann, oh Mann, das ist verdammt schwer“, bekundete Giulia.

      „Schätze, das geht uns allen so. Wie oft schon überlud ich vielversprechende Zufallsbegegnungen mit eigenen Denkmustern. Schnell bauten sich Traumgebilde in mir auf. Und die Hoffnung, es könnte sich eine ewige Liebe entwickeln.“ Mara redete frei von der Leber weg. Seitdem sie ihr Geheimnis gelüftet hatte, ging es ihr richtig gut. Das war ihr total anzumerken. Ergänzend fügte sie hinzu, dass die Vernissage super gelaufen sei. Immerhin hätte Linda einen sechsstelligen Betrag erwirtschaften können.

      „Klasse, gratuliere“, antwortete Manuel neidlos und räumte ein, dass vielversprechende Begegnungen für gewöhnlich an ihm vorbeiziehen würden. Mehr denn je, sei er mit dem Handy oder Laptop beschäftigt – mal feige, mal antriebslos.

      „Ommm.“ Clarissas Stimme klang angenehm tief und voll. Sie gab zu, dass sie so manch eine Zufallsbekanntschaft im Freundeskreis schnell als Schicksalsbegegnung angekündigt hätte, im festen Glauben, es würde sich etwas Nachhaltiges entwickeln. „Was sich aber entwickelte, waren Frustrationen und Enttäuschungen. Glücklicher wurde ich nicht. Schon gar nicht weiser.“ Sie schöpfte die erste Portion Miesmuscheln aus dem Topf auf den Teller von Mara. Dann auf alle anderen Teller. Als jeder seine Portion bekommen hatte, stellte sie den Topf auf die warme Herdplatte zurück.

      Kaum saß sie wieder am Tisch, wurde nach Herzenslust geschlemmt und gezecht. Sie lachten und erzählten viel: über sich, ihre Kinder, Lieblingsprojekte, Interessen, die Arbeit – über die alten Geschichten; was ihnen eben so einfiel und worüber sie sich amüsieren konnten.

      Manuel kam auf Palma zu sprechen und dass sich in der Hochsaison die Anzahl der Menschen in der mallorquinischen Hauptstadt verdoppelt, die Busse überfüllt sind, die Müllabfuhr an ihre Grenzen kommt und der Verkehr regelmäßig auf den Zufahrtsstraßen ringsherum mit Staus bis zum Horizont kollabiert. „Es sind die distinguierten Lifestyle-Touristen, die Instagram-Gemeinde und Laptop-Nomaden mit ihrem Anspruch auf authentisches Leben, die die größte Sorge der Einheimischen sind, weil sie sukzessive in ihre Lebensbereiche vordringen, sich mit Fotoshootings überall inszenieren und für ein Haus oder Apartment in der Stadt über Tausend Euro pro Woche hinblättern.“ Manuel verwies auf einen Zeitungsartikel, den er am Vormittag gelesen hatte, und wühlte in dem Stapel Zeitungen auf der Fensterbank, um nach diesem bestimmten Exemplar zu suchen.

      „Hier! Hier ist sie.“ Hastig blätterte er eine Seite nach der anderen um und wurde fündig.

      „Palma de Mallorca, Diario de Mallorca berichtete gestern darüber.“ Manuel warf den anderen einen kurzen Blick über die Zeitung zu, als wollte er sichergehen, dass sie ihm auch zuhörten. Er fasste den Artikel mit seinen eigenen Worten zusammen und übersetzte gleich ins Deutsche: „Palma denkt momentan über Mietpreisbremsen und über härtere Maßnahmen gegen Airbnb nach, die im laufenden Jahr 2015 fast 80.000 Unterkünfte in der Stadt angeboten hatten. Von Jahr zu Jahr kommen mehr Touristen. Und von Jahr zu Jahr stehen immer mehr Hotelzimmer leer.“

      Nach dem Abitur verbrachte Manuel zwei Jahre in Barcelona, lernte dort auf eigenen Füßen zu stehen, Verantwortung zu übernehmen, und ganz nebenbei lernte er Katalanisch, das er fast akzentfrei sprechen konnte.

      „Wie gut, dass du uns über die hiesigen Verhältnisse aus dem Lokalblatt informieren kannst. Ich kenne die Insel schon lange. Und habe miterlebt, wie sie sich mit der Zeit veränderte. Deià zum Beispiel war vor Jahren ein verträumtes Künstlerdorf. Robert Graves schrieb dort Gedichte und Mike Oldfield spielte nachts Gitarre in einer Bar, wo sich die Bohemiens trafen. Niemand bekam davon etwas mit, auch nicht davon, dass Anni-Frid in Deià ein Haus besaß. Bis sich das alles änderte, weil vor etwa fünf Jahren eine neue Generation von Reichen und Schönen das Örtchen für sich entdeckte und seither alles öffentlich abläuft: Promi-Hochzeiten, Promi-Partys, Promi-Events. Bis in die frühen Morgenstunden werden die Anwohner dann wachgehalten und dazu gezwungen, sich laute Musik und lärmende Menschen anzuhören. Und jetzt entsteht am Ortseingang das Neubaugebiet,Petit Deià‘ mit Luxuswohnungen. Da kommt der Bürgermeister mit seinem Vorhaben, Wohnraum für die Einheimischen zu schaffen, nicht voran. Stattdessen muss er sich mit anderen Problemen herumschlagen: Wasserknappheit, Müllentsorgung.“ Clarissa liebte die Insel über alles. Selbst der Massentourismus konnte sie noch nicht davon abbringen, einmal im Jahr hierher auf die entlegene Finca in den Bergen zu reisen. Sie brauchte diese Auszeit, um aufzutanken und sich vom Lärm und Benzingestank der Großstadt zu erholen.

      „Die Deutschen mit ihrer anerzogenen Liebe zu Pfandflaschen und Mülltrennung kommen bei den mallorquinischen Ökoaktivisten sicherlich gut an“, scherzte Giulia und fuhr im Geiste fort: Eigentlich würde es schon helfen, wenn die


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