Love – Konsequent scheitern (Band 2). Ellen M. Zitzmann

Love – Konsequent scheitern (Band 2) - Ellen M. Zitzmann


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Jahre zurück, nicht weil sie nicht konnte oder wollte, sondern weil sich die Themen in ihrem Leben verändert hatten, sie stattdessen in ihrer Freizeit lieber Trainings in Jugendstrafanstalten durchführte, Texte schrieb oder Geschichten recherchierte.

      „Wenn wir schon bei den gesellschaftlichen Veränderungen sind. Warum werden Singles nach wie vor wenig beachtet? Das Thema beschäftigt mich.“ Manuel schaute die Damen an, eine nach der anderen, und sagte, dass er nicht verstehen würde, wieso manche Leute das Single-Dasein verpönen und es als Schwäche interpretieren würden. Singles seien inzwischen eine gesellschaftlich relevante Größe, für die sich nicht wenige ganz bewusst entschieden hätten. Abgesehen davon, dass die Mehrheit der Menschen als Single geboren und sterben wird, auch wenn Hunderttausende auf der ganzen Welt am gleichen Tag geboren und sterben werden. „Warum soll ich mir über meinen momentanen Beziehungsstatus Gedanken machen? Es ist, wie es ist!“

      Manuel bemühte sich, die widerspenstige Muschel auf seinem Teller zu öffnen. Er zwängte sein Messer vorsichtig in den kleinen Spalt, um den Inhalt nicht zu beschädigen. Doch die Muschel kam ihm keinen Millimeter entgegen. Er verdrehte die Augen und schimpfte laut: „Du störrisches Ding. Du bist ja so was von unfähig.“ Manuel gab nicht auf, bis es ihm schließlich gelang, das kleine Biest zu öffnen. Dabei stieß er einen freudigen Jauchzer aus. „Bei mir gibt es kein Einigeln. Ich wohne in offenen Räumen“, scherzte er vergnügt, während er das Muschelfleisch herauspickte und gierig verschlang.

      „So viel dazu“, beschrieb Mara ihren Unmut, der sie befallen hatte, nachdem sie über Manuels Äußerungen nachgedacht hatte: „Du hast vollkommen recht. Singles sind nicht gesellschaftlich breit akzeptiert. Weibliche Singles haben es häufig mit Diskriminierung zu tun, weil sie ja keinen Mann abbekommen haben. Ich musste mir das jahrelang anhören. Indirekt. Und dass das Leben als Single anstrengend ist, sie einsam sterben, auf jeden Fall aber früher als ihre verheirateten Artgenossen. Singles müssen demzufolge also unglücklich, egoistisch, unreif, unangepasst, seltsam und wahnsinnig unsozial sein. Und dann die ständigen Fragen: Warum bist du allein? Wieso bist du nicht verheiratet? In meinen Single-Jahren hatte ich quasi eine Begründungspflicht anderen gegenüber, warum ich solo lebe. Nicht selten wurde vermutet, dass den Singles etwas im Leben abgehen würde, ähm, ganz besonders den Dauer-Singles, die noch kritischer beäugt werden. Das Leben kann für sie nur leer und einsam sein. Um es auf den Punkt zu bringen: Singles sind eine besonders bemitleidenswerte Spezies des 21. Jahrhunderts. Und das Single-Alleinsein ist nicht nur teuer für die soziale Gesellschaft, sondern grundsätzlich unerwünscht.“ Mara sprach sich in Rage, was ungewöhnlich für sie war, gerade jetzt, wo sie sich so glücklich und wohl fühlte. Ihre Gesichtszüge waren von der heftigen Aufregung ganz verzerrt. Und in ihrem Eifer strich sie sich ständig ihr mittellanges Haar von den Schläfen hinter die Ohren.

      Manuel kannte derartige Anfeindungen, was er ihr zwischendurch kopfnickend bestätigte, ließ Mara ausreden, ging zum Kühlschrank und wickelte ein paar Eiswürfel in ein Geschirrtuch ein. „Vielleicht solltest du heute Abend ein paar Meditationsübungen machen“, sagte er mitfühlend und hielt das Geschirrtuch an Maras Wange.

      „Scherzkeks.“ Mara bedankte sich für die nette Geste, drückte ihr Gesicht fester auf das Geschirrtuch, sagte, dass das ein Reizthema für sie sei. Und, dass sie noch lernen müsse, die damit verbundene aufkochende Wut zu kontrollieren.

      „Derartige stereotype Zuschreibungen sind schon längst veraltet und unangemessen“, beruhigte sie Manuel und verwies auf die Ergebnisse einer sozio-ökonomischen Studie zum Partnerschaftswandel und Geburtenrückgang von Jan Eckhard, die er im Internet entdeckt hatte und im Wesentlichen im Kopf hatte. „Der Studie nach ist die Zahl der Single-Haushalte in Deutschland binnen 20 Jahren um fast 50 Prozent angestiegen. Wovon besonders stark Männer bis 49 Jahre betroffen sind. Heute würde man die Single-Anzahl in Deutschland auf etwa 41 Prozent und in den USA auf 45 Prozent schätzen. Und das, obwohl Vorstellungen von einer festen Partnerschaft und Familie in der westlichen Welt unter jungen Menschen von 25 bis 35 Jahren ungebrochen verbreitet sind, genauso wie in unserer Generation der Baby Boomer.“ Junge Menschen würden sich heute aber weniger als Teil von Familien, Berufsständen und Klassen definieren, sondern vielmehr als Einzelkämpfende, die von Bindungs- und Bedeutungslosigkeit bedroht seien. „So gesehen“, folgerte er daraus, „hätten sie mit sich selbst genug zu tun, was ich an meinen beiden Söhnen beobachten kann.“ Dem fügte er hinzu, dass die ansteigenden Single-Zahlen und die Partnerlosigkeit darauf schließen lassen, dass der Haltbarkeitszeitraum von Beziehungen per se sinken würde – trotz der Sehnsucht nach romantischer Liebe und Partnerschaft. Außerdem würde sich die romantische Realität in der westlichen Welt dadurch auszeichnen, dass es die Liebessuchenden zwar ständig mit pochenden Herzen zu tun hätten, aber weniger mit potenziellen Liebespartnern, die sich in ihren Herzen über einen längeren Zeitraum aufhalten würden.

      Seine Zuhörerinnen beeindruckte er durch seine profunden Ausführungen und eloquente Ausdrucksweise. Man hätte leicht annehmen können, er wäre Sozialwissenschaftler, nicht Architekt. Manuel genoss diese Aufmerksamkeit und setzte sein charmantestes Lächeln auf, als er kundtat, dass er sich mit dieser Thematik lange Zeit kritisch auseinandergesetzt hätte, schon deshalb, weil ihn die vorurteilsbeladenen und abwertenden Diskussionen über Singles selbst gewaltig nerven würden.

      „Singles sind keine vorübergehende Erscheinung mehr“, erwiderte Mara und dass es angesichts dessen an der Zeit wäre, dass westliche Gesellschaften Zukunftsperspektiven in dieser neuen Lebensform sehen würden und nicht nur Defizitäres.

      Nachdem die Muscheln verspeist waren, stellte Clarissa eine Schüssel mit Panna cotta auf den Tisch. Der Nachtisch wurde von ihr in aller Schnelle zubereitet und noch schneller verputzt.

      „Kaffee?“, fragte Giulia danach und begann, das Geschirr langsam abzuräumen. Auch wenn ihre Frage rein rhetorischer Art war, hieß das nicht, dass sie keine Antwort erwartete. Clarissa nickte.

      „Jaaaa“, antwortete Manuel während er die Muschelschalen in Müllsäcke hineinkippte und spontan entschied, sie sofort zu entsorgen, zumal die Müllcontainer nicht weit von der Finca entfernt waren.

      „Für mich bitte auch einen Kaffee.“ Mara stand auf, entsorgte das restliche Baguette, sagte: „Ich übernehme das Beladen der Spülmaschine.“ Sie strich die Dessertreste aus der Schüssel, schob einen Finger zwischen ihre Lippen und leckte ihn ab: „Teuflisch verführerisch“, lachte sie und machte sich über das Geschirr her: „Wie ihr wisst, war ich zehn Jahre lang Single. Und da ich mehr über Singles wissen wollte, bin ich auf Bella DePaulo gestoßen. Kennt die jemand?“, fragte Mara, ließ kurz Wasser über die schmutzigen Teller laufen, um sie dann in die Spülmaschine zu räumen.

      Clarissa und Giulia schüttelten beide mit dem Kopf.

      „DePaulo ist Sozialwissenschaftlerin und Single. Seit Jahren forscht sie auf diesem Gebiet. Ihr Fazit: Singles sind genauso zufrieden wie Paare. Je älter Singles sind, desto zufriedener sind sie – mit sich und ihrem Leben, besonders Frauen. Singles kapseln sich im Gegensatz zu verheirateten Paaren in der Regel sozial nicht ab. Sie verfügen über ein großes, oft internationales Freundes- und Familiennetzwerk und stellen ein realistisches Korrektiv zum idealisierten Ehemodell dar, das ja, wie wir erfahren haben, mit Erwartungen und romantischen Träumen überfrachtet ist.“ Mara stellte die Spülmaschine an und begab sich zu den anderen an den Tisch: „DePaulo benennt in ihrem Buch,Singled Out‘ ein ganzes Bündel von negativen Stereotypen, die eine Paargemeinschaft oder Ehe als das richtige und erstrebenswerteste Beziehungsideal aufrechterhalten würden.“

      „Jetzt wird es echt spannend, Mara.“ Giulia klang interessiert, hob ihren Kopf und erwiderte: „Demzufolge müssen unzufriedene Paare ihren Frust ausgleichen und Singles abwerten, ignorieren oder bemitleiden, um in der ehelichen Gemeinschaft zu überleben.“ Giulia schaute Mara an, die erst überlegte, bevor sie auf den treffsicheren Kommentar eingehen konnte.

      „Das scheint das versteckte Spiel zu sein, Giulia. DePaulos Forschungen ergaben auch, dass sich Wut und Frust tatsächlich auf Singles niederschlagen können, schon deshalb, weil sie sich der allgemeingültigen Norm entziehen und nicht nachdrücklich nach einem Partner suchen.“

      „Wohl aus gutem Grund, da zufriedene Singles nicht auf


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