Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
der nicht mit ihm Geschäfte macht, ihn ausraubt. Wirklich weh tut mir aber, daß man das ebenso von Anwälten und Ärzten (und ganz entschieden auch von ihren Frauen) sagen muß wie von den Kaufleuten. Die Ärzte – Sie wissen da ja Bescheid – wie können Ihr Mann und Westlake und Gould einander nicht ausstehen.«
»Nein! Das kann ich nicht zugeben!«
Er grinste.
»Ach, vielleicht hat Will ein oder zweimal, wenn er positiv von einem Fall Kenntnis gehabt hat, in dem Doktor – in dem einer der anderen Ärzte seine Patienten länger besucht hatte, als notwendig war, nur darüber gelacht, aber –«
Er grinste weiter.
»Nein, wirklich nicht! Und wenn Sie sagen, daß die Frauen der Ärzte an diesen Eifersüchteleien teilnehmen – Frau McGanum und ich haben ja nicht gerade viel Verkehr miteinander; sie ist so dumm. Aber ihre Mutter, Frau Westlake – freundlicher kann kein Mensch sein.«
»Ja, ich bin überzeugt, sie ist sehr nett. Aber an Ihrer Stelle, meine Liebe, würde ich ihr auch nicht mein Herz ausschütten. Ich bleibe dabei, daß es nur eine Akademikersgattin in diesem Orte gibt, die nicht intrigiert, und das sind Sie, Sie gesegneter, gläubiger Fremdkörper in der Stadt!«
»Ich will keine Schmeichelei! Ich will nicht glauben, daß die Medizin, das Priestertum der Heilkunde, zu einem pfennigfuchsenden Geschäft gemacht werden kann.«
»Sagen Sie: hat Ihnen Kennicott nie zu verstehen gegeben, Sie sollen zu irgendeiner alten Frau liebenswürdig sein, weil sie ihren Freundinnen sagt, welchen Arzt sie holen sollen? Aber ich hätte nicht –«
Ihr fielen einige Bemerkungen ein, die Kennicott hinsichtlich der Witwe Bogart gemacht hatte. Sie zuckte zusammen und blickte Guy flehentlich an.
Er sprang auf, ging nervös zu ihr und streichelte ihre Hand. Sie überlegte: ob sie wegen dieser Zärtlichkeit beleidigt sein sollte? Dann überlegte sie: ob ihm ihr Hut gefiel, der neue orientalische Turban aus rosa Silberbrokat?
Er ließ ihre Hand fallen. Sein Ellbogen streifte ihre Schulter. Er lief mit gebeugtem Rücken zu seinem Schreibtischstuhl zurück. Dort nahm er die Cloisonné-Vase in die Hand. An dieser vorbei sah er sie aus solcher Einsamkeit an, daß sie erschrak. Aber seine Augen wurden wieder unpersönlich, als er von den Eifersüchteleien Gopher Prairies sprach. Er unterbrach sich mit Schärfe: »Du guter Gott, Carola, Sie sind kein Geschworenengericht. Es ist Ihr gutes Recht, wenn Sie sich dieses Resümieren verbieten. Ich bin ein langweiliger alter Narr, der das Selbstverständliche analysiert, während Sie der Geist der Rebellion sind. Erzählen Sie mir von sich. Was ist Ihnen Gopher Prairie?«
»Etwas Widerwärtiges!«
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Wie denn?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nur durch Zuhören. Das hab' ich heute abend nicht getan. Aber gewöhnlich – Kann ich nicht der Vertraute aus den alten französischen Stücken sein, die Zofe mit dem Spiegel und den treuen Ohren?«
»Ach, was gibt es denn schon anzuvertrauen? Die Leute riechen und schmecken nach nichts und sind stolz darauf. Und selbst wenn ich Sie schrecklich gern hätte, könnte ich nicht mit Ihnen reden, ohne daß zwanzig alte Hexen zuschauen und zischeln.«
»Aber Sie werden ab und zu einmal herkommen und sich mit mir unterhalten?«
»Das weiß ich noch gar nicht sicher. Ich bemühe mich, meine eigene ziemlich große Anlage zur Dummheit und Zufriedenheit weiterzuentwickeln. Alles Positive, was ich versucht habe, ist mir mißlungen. Ich sollte mich lieber ›eingewöhnen‹, wie es hier heißt, und mich damit zufrieden geben – nichts zu sein.«
»Werden Sie nicht zynisch. An Ihnen tut mir das weh. Das ist wie Blut auf dem Flügel eines Kolibri.«
»Ich bin kein Kolibri. Ich bin ein Falke; ein sehr kleiner, gefesselter Falke, von diesen großen weißen, wabbligen, kriechenden Hennen zu Tod gebissen. Aber ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mich ein wenig gestärkt haben. Jetzt geh' ich nach Hause!«
»Bitte, bleiben Sie noch und trinken Sie Kaffee mit mir.«
»Ich würd' es gern tun. Aber es ist den Weibern schon gelungen, mich zu terrorisieren. Ich habe Angst davor, was die Leute sagen könnten.«
»Davor hab' ich keine Angst. Ich hätte nur Angst davor, was Sie sagen könnten.« Er ging schwerfällig zu ihr, nahm ihre leblose Hand. »Carola! Sind Sie heute abend hier glücklich gewesen? (Ja, ich möcht' es so gern!)«
Sie drückte rasch seine Hand, dann machte sie sich frei. Sie hatte nur wenig von der Neugier des Flirtens und gar nichts von der Intrigantenfreude an der Heimlichkeit. War sie das naive Mädchen, so war Guy Pollock der plumpe Junge. Er rannte im Büro umher; er bohrte die Fäuste in die Taschen. Er stammelte: »Ich – ich – ich – Ach, Teufel! Warum wache ich aus meiner Verstaubtheit dazu auf? Ich werde – Ich geh' hinaus und hol' die Dillons, und dann trinken wir alle Kaffee oder machen sonst etwas.«
»Die Dillons?«
»Ja. Wirklich ein recht anständiges junges Paar – Harvey Dillon und seine Frau. Er ist Zahnarzt, erst seit kurzem in der Stadt. Sie wohnen in einem Zimmer hinter seinem Arbeitsraum, so wie ich hier. Sie kennen fast keinen Menschen –«
»Ich hab' schon von ihnen gehört. Und nie hab' ich an einen Besuch gedacht. Ich schäme mich schrecklich. Holen Sie sie.«
Sie brach ab, aus keinem sehr klaren Grund, aber Ausdruck und Stammeln gestanden den Wunsch ein, sie hätten nie von den Dillons gesprochen. In gemachter Begeisterung sagte er: »Ausgezeichnet, ich hole sie.« Von der Tür warf er noch einen Blick auf sie, sie saß klein in dem abgeschabten Ledersessel. Er glitt hinaus und kam dann mit Doktor und Frau Dillon zurück.
Sie tranken zu viert ziemlich schlechten Kaffee, den Pollock auf einem Petroleumkocher bereitete. Sie lachten, sie sprachen von Minneapolis und waren außerordentlich taktvoll; und Carola ging durch den Novemberwind nach Hause.
Dreizehnte Kapitel
Sie war auf dem Heimweg.
»Nein. Ich könnte mich nicht in ihn verlieben. Ich hab' ihn gern, sehr gern. Aber er ist zu sehr Stubenhocker. Könnte ich ihn küssen? Nein! Nein! Guy Pollock mit sechsundzwanzig – damals hätt' ich ihn vielleicht küssen können, auch wenn ich mit jemand anders verheiratet gewesen wäre, und wahrscheinlich hätte ich mir mit großer Zungenfertigkeit eingeredet, daß ich nichts ›Schlechtes‹ tue.
Erstaunlich ist nur, daß ich nicht über mich selber erstaunt bin. Ich, die tugendhafte junge Ehefrau. Kann man mir trauen? Wenn der Märchenprinz käme –
Eine Hausfrau in Gopher Prairie, die ein Jahr verheiratet ist und sich wie ein sechzehnjähriger Backfisch nach einem Märchenprinzen sehnt! Da sagt man immer, daß die Ehe eine zauberhafte Veränderung hervorbringt, aber ich bin nicht verändert. Aber –
Nein! Ich würde mich nicht verlieben wollen. Auch wenn der Prinz käme. Ich würde Will nicht weh tun wollen. Ich habe Will gern. Wirklich! Er regt mich nicht auf, jetzt nicht mehr. Aber ich brauche ihn. Er ist mir Haus und Kinder.
Wann wir wohl Kinder haben werden? Ich wünsche sie mir.
Daß ich nur nicht daran vergesse, Bea zu sagen, daß wir morgen Maisbrei haben wollen und nicht Haferschleim. Jetzt wird sie schon schlafen gegangen sein. Vielleicht bin ich früh genug auf –
Ich habe Will wirklich sehr gern. Ich möchte ihm nicht weh tun, sogar wenn ich auf eine ganz große Liebe verzichten müßte. Wenn der Prinz käme, würde ich ihn einmal anschauen und dann davonlaufen. Aber verflixt schnell! Ach, Carola, du bist weder eine Heldin noch vornehm. Du bist die unwandelbare, gewöhnliche, junge Frau.
Aber ich bin nicht die untreue Frau, der es Freude macht,