Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

Gesammelte Werke - Sinclair Lewis


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nichts von Wills Fehlern und von seiner Blindheit für meine bedeutende Seele vorgeredet. Das hab' ich nicht getan! Wirklich, Will versteht mich wahrscheinlich ausgezeichnet! Wenn er nur – wenn er mir nur ein bißchen dabei helfen würde, die Stadt aufzurütteln.

      Ich bin nicht halb so gut wie diese Frau Dillon. Die betet ihren Zahnarzt mit solcher Selbstverständlichkeit an! Und Guy sieht sie nur als exzentrischen Kauz.

      Seidene Strümpfe hat sie nicht gehabt, die Frau Dillon. Es waren baumwollene. Ihre Beine sind hübsch und schlank. Aber nicht schlanker als meine. Ich habe baumwollene Oberstücke an seidenen Strümpfen … Bekomme ich dicke Fesseln? Ich will keine dicken Fesseln haben!

      Nein. Ich habe Will gern. Seine Arbeit – ein Farmer, den er durch die Diphtherie durchbringt, wiegt mein ganzes Winseln nach einem Schloß in Spanien auf. Einem Schloß mit Badezimmer.

      Der Hut ist so eng. Ich muß ihn dehnen. Guy hat er gefallen.

      Da ist das Haus. Mir ist schrecklich kalt. Es ist Zeit, den Pelzmantel herauszuholen. Ob ich's noch mal zu einem Bibermantel bringe? Nutria ist nicht dasselbe! Biber – so weich. So schön, mit den Fingern drüberzufahren. Guys Schnurrbart ist wie Biber. Das ist doch lächerlich!

      Ich habe Will, ich habe ihn wirklich gern, und – Kann ich denn gar kein anderes Wort finden als ›gern‹?

      Er ist zu Hause. Er wird finden, daß ich lang ausgeblieben bin.

      Warum kann er denn nie dran denken, die Rouleaux herunterzulassen? Cy Bogart und alle die ekelhaften Jungen schauen herein. Aber der gute, arme Kerl, er ist immer so zerstreut. Er hat so viel zu arbeiten und zu sorgen, während ich nichts tu', als mit Bea schwatzen.

      Ich darf nicht an den Maisbrei vergessen –«

      Sie lief in die Diele. Kennicott sah von seiner medizinischen Wochenschrift auf.

      »Hallo! Seit wann bist du zurück?« rief sie.

      »Es war so um neun herum. Du hast dich aber 'rumgetrieben. Jetzt ist es elf vorbei.« Gutmütig, aber nicht sehr zufrieden.

      »Bist du dir vernachlässigt vorgekommen?«

      » Also, du hast nicht dran gedacht, den unteren Zug bei der Heizung zuzumachen.«

      »Ach, das tut mir aber leid. Solche Dinge vergess' ich so oft, nicht?«

      Sie setzte sich ihm auf den Schoß, und er küßte sie freundlich (nachdem er, um seine Brille in Sicherheit zu bringen, den Kopf zurückgeworfen, dann die Brille abgelegt, Carola in eine für seine Beine weniger unbequeme Stellung gebracht und sich bei der Gelegenheit geräuspert hatte) und sagte:

      »Nein, nein, ich muß sagen, du bist recht sorgfältig in solchen Dingen. Ich hab' dir auch gar keinen Vorwurf machen wollen. Ich hab' nur gemeint, ich wollte nicht, daß das Feuer ausgeht. Laß den Zug offen, und das Feuer brennt aus und ist weg. Und die Nächte fangen schon wieder an, ziemlich kalt zu werden. Ich hab's recht kalt gehabt im Wagen. Ich hab' die Seitenteile vom Verdeck hochnehmen müssen, so hab' ich gefroren. Aber der Dynamo arbeitet jetzt gut.«

      »Ja. Es ist recht kalt. Aber mir ist sehr wohl nach meinem Spaziergang.«

      »Spazieren gewesen?«

      »Ich wollte die Perrys besuchen.« Ganz bewußt und absichtlich fügte sie die Wahrheit hinzu: »Sie waren nicht zu Hause. Und dann habe ich mit Guy Pollock gesprochen. Ich bin in sein Bureau gegangen.«

      »Aber, du hast doch nicht bis elf dortgesessen und mit ihm getratscht?«

      »Natürlich waren noch andere Leute da, und – Will! Was hältst du von Doktor Westlake?«

      »Westlake? Warum?«

      »Ich hab' ihn heute auf der Straße gesehen.«

      »Hat er gehinkt? Wenn das armselige Huhn sich die Zähne röntgen lassen wollte, ich möchte neuneinhalb Cents wetten, daß man dort 'n Abszeß findet. ›Rheumatismus‹, sagt er. Rheumatismus, Teufel! Er ist hinter der Zeit zurück. Manchmal glaub' ich, er läßt sich zur Ader. Naaaaa –« Ein tiefsinniges und ernsthaftes Gähnen. »Ich hätt' noch gern weitergeplaudert, aber es wird spät, und ein Doktor weiß nie, um welche Nachtzeit er wieder aus dem Bett getrieben wird.« (Es fiel ihr auf, daß er diese Erklärung mit den gleichen Worten nicht weniger als dreißigmal im Jahr abgegeben hatte.) »Es wird wohl am besten sein, wir gehen ins Bett. Die Uhr aufgezogen und nach der Heizung geschaut hab' ich schon. Hast du die Tür zugesperrt, wie du nach Haus gekommen bist?«

      Oben im Schlafzimmer fragte sie: »Sag mir – ist Doktor Westlake wirklich ein guter Arzt?«

      »Ach ja, er ist ein schlaues altes Huhn.«

      »Und ist er ein ehrlicher Doktor?«

      »Was meinst du mit ›ehrlich‹? Es kommt ganz drauf an, was du damit meinst.«

      »Wenn du krank wärst, würdest du ihn rufen? Würdest du mich ihn rufen lassen?«

      »Nicht daran zu denken! Ich könnte den alten Schwindler nicht bei mir brauchen … Ich will dir was sagen, Carrie: ich muß mich noch immer über Westlake ärgern, wie er damals mit Frau Jonderquist umgegangen ist. Ganz egal, was ihr gefehlt hat, wirklich gebraucht hat sie Ruhe. Aber Westlake hat ihr wochenlang immer wieder Besuche gemacht, fast jeden Tag, und dann hat er ihr eine gute, dicke Rechnung geschickt, darauf kannst du dich verlassen. Das hab' ich ihm nie verzeihen können. Nette, schwer arbeitende Leute, wie die Jonderquists!«

      »Aber, Will, gibt es nichts, was man Geldrivalität nennen könnte, zwischen dir und den Teilhabern Westlake und McGanum?«

      Er tobte: »Weiß Gott, nein! Ich bin noch nie einem Menschen auf ein Zehncentstück neidisch gewesen, das mir durch ihn entgangen ist – wenn's auf 'ne anständige Art und Weise war.«

      »Aber ist Westlake anständig? Ist er nicht hinterlistig?«

      »Hinterlistig, das ist das richtige Wort! Er ist ein Fuchs, der Bursche!«

      Sie sah im Spiegel Guy Pollocks Grinsen. Sie wurde rot.

      Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen gähnte Kennicott:

      »Ja. Er ist schlau, zu schlau. Aber verlaß dich drauf, ich verdien' nicht viel weniger als Westlake und McGanum zusammen, obwohl ich nie mehr genommen hab', als mir zukommt. Wenn einer zu den Teilhabern gehen will, statt zu mir, dann ist das seine Sache. Obwohl, ich muß sagen, es ärgert mich, wenn Westlake die Dawsons in die Hand kriegt. Luke Dawson ist immer zu mir gekommen, mit jedem Fußweh und Kopfweh und allen möglichen Kleinigkeiten, die mich bloß Zeit gekostet haben, und dann, als sein Enkel im letzten Sommer da war und Sommerdurchfall gekriegt hat, oder so was Ähnliches wahrscheinlich – weißt du, damals, als wir beide zum Lac-Qui-Meurt gefahren sind – ja, also damals hat sich Westlake an Mama Dawson rangemacht und ihr einen Totenschreck eingejagt und ihr eingeredet, daß das Kind Blinddarmentzündung hat, und weiß der liebe Himmel, er und McGanum haben wirklich operiert und sich heiser geredet über die schrecklichen Verwachsungen, die sie gefunden haben, und was für erstklassige Chirurgen sie sind. Sie haben sogar erzählt, wenn sie noch zwei Stunden gewartet hätten, wär' Peritonitis und weiß der Himmel noch was alles dazugekommen; und dann haben sie schöne dicke hundertfünfzig Dollar eingesteckt. Und wenn sie nicht Angst vor mir gehabt hätten, hätten sie wahrscheinlich dreihundert verlangt! Ich bin kein Schwein, aber wenn ich dem alten Luke 'nen Rat, der zehn Dollar wert ist, um einen Dollar geb' und dann hundertfünfzig abtrudeln seh', na, dann krieg' ich doch 'ne Wut. Und wenn ich nicht besser 'nen Blinddarm 'rausschneiden kann als Westlake und McGanum, will ich meinen Hut fressen!«

      Sie machte noch einen Versuch:

      »Aber Westlake ist tüchtiger als sein Schwiegersohn, glaubst du nicht?«

      »Ja, Westlake ist vielleicht altmodisch und so, aber er hat einen ganz guten Blick, während McGanum auf alles wie ein Stier losgeht, und –«

      »Aber Frau Westlake und Frau McGanum – die sind doch nett. Sie sind immer schrecklich lieb zu mir gewesen.«

      »Na ja, sie haben ja auch gar keinen


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