Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
gem. § 263 StGB geahndet werden können.[410] Das wird von Stimmen in der Literatur insb. deshalb abgelehnt, weil sich die Länder insoweit gegen eine Strafbarkeit entschieden haben.[411] Der BGH hält dem entgegen, dass die Gesetzgebungskompetenz insoweit beim Bund liege und dieser auf diese Kompetenz im Rahmen des Art. 4 EGStGB nicht verzichtet habe. Allerdings sei zu erwägen, dass den Ländern diese Kompetenz als Annex zur Gesetzgebung über die Kirchensteuer zustehe (siehe dazu alldem auch § 369 Rn. 9 ff).[412] Die Nichtanwendbarkeit des Hinterziehungstatbestands auf die Kirchensteuer hat zur Folge, dass die verlängerte Festsetzungsfrist nicht greift.[413] Das ergibt sich aus dem Wortlaut „soweit eine Steuer hinterzogen wurde“ des § 169 Abs. 2 S. 2, der zeigt, dass die Vorschrift von einer Teilverjährung ausgeht.[414] Dementsprechend verjährt nur diejenige Steuerart bzw. derjenige anteilige Steuerbetrag nach zehn Jahren, die Gegenstand einer Steuerhinterziehung sind, während es im Übrigen bei der regelmäßigen Verjährungsfrist von vier Jahren bleibt. Für den Haftungsschuldner gilt das ausgehend vom anderslautenden Gesetzeswortlaut des § 191 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 71 („wer eine Steuerhinterziehung begeht“) und § 191 Abs. 5 S. 2 („wenn die Haftung darauf beruht“, nicht „soweit die Haftung darauf beruht“) nicht.[415]
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Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 370 auf steuerliche Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 4. Für diese gelten die Vorschiften der AO gem. § 1 Abs. 3, abgesehen von den dort genannten Ausnahmen, sinngemäß. Eine sinngemäße Anwendung des § 370 setzt voraus, dass hinsichtlich der steuerlichen Nebenleistungen ein gleichgerichtetes Rechtsschutzinteresse wie bei der Sicherung des vollständigen und rechtzeitigen Steueraufkommens besteht.[416] Der BGH hatte zunächst allgemein betont, dass die steuerlichen Nebenleistungen anders als Steuern (§ 3 Abs. 1) nicht der Einnahmeerzielung dienen und § 370 daher auf steuerliche Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 4 nicht anwendbar sei.[417] So sind Säumnis- und Verspätungszuschläge sowie Zwangsgelder „vorrangig Beuge- oder Druckmittel eigener Art, die dazu dienen sollen, die Steuerpflichtigen zu einem bestimmten erwünschten Verhalten zu veranlassen“.[418] Eine Ausdehnung des Tatbestandes des § 370 kommt daher im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht, die Verhinderung von Säumnis- und Verspätungszuschlägen sowie Zwangsgeldern durch Täuschung ist folglich weder nach § 371 noch nach § 263 strafbar.[419] Demgegenüber hat der BGH[420] erlangte Zinsen auf Steuererstattungsbeträge nach § 233a Abs. 3 und 5 AO zuletzt als Steuervorteile i.S.d. § 370 qualifiziert und ausgeführt, die für Steuern geltenden Normen würden für die Festsetzung von Zinsen entspr. gelten (§ 239 Abs. 1 S. 1). Die wirtschaftliche Bedeutung des Zeitpunkts der Steuerzahlung für die staatlichen Einnahmen stehe insoweit im Vordergrund, weshalb Zinsen – sowohl auf Steuernachforderungen als auch auf Steuererstattungen – zum geschützten Rechtsgut des § 370 zählten. Das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG stehe dem nicht entgegen.[421]
(2) Begriff der Verkürzung
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§ 370 ist ein Erfolgs-, nicht jedoch notwendig ein Verletzungsdelikt.[422] Im Festsetzungsverfahren ist Taterfolg nach § 370 Abs. 4 bereits die fehlerhafte Steuerfestsetzung. Demgemäß hat sich die Auffassung durchgesetzt, wonach es im Festsetzungsverfahren nicht zu einer „wirklichen Verletzung“ des Steueranspruchs oder einer „wirklichen Beeinträchtigung“ des Steueraufkommens kommen müsse.[423] Aus Sicht des Steuerpflichtigen betrachtet, kommt es für die Vollendung der Hinterziehung nicht auf die für ihn dadurch eintretenden finanziellen Vorteile an.
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Bei einer Hinterziehung im Beitreibungsverfahren besteht der Erfolg demgegenüber in der Verletzung, also darin, dass der Täter die Beitreibung von Steuerbeträgen, bspw. durch das Verheimlichen von Einkünften oder Vermögen, vereitelt.
(3) Steuerverkürzung auf Zeit
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Nach § 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 genügt für die Vollendung der Steuerverkürzung die nicht rechtzeitige Festsetzung der Steuer, also die Steuerverkürzung auf Zeit. Objektiv betrachtet sind verfolgbare Steuerhinterziehungen immer solche auf Zeit, da die Festsetzungsfrist des § 169 AO regelmäßig nicht vor der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung (nach § 78 Abs. 3 StGB bzw. § 376 AO) abläuft.[424] Wird die zutreffende Steuer nach Tatendeckung festgesetzt und gezahlt, tritt kein endgültiger Schaden ein, die begangene Straftat entfällt dadurch nicht.[425]
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Will der Täter die Steuer subjektiv nur vorübergehend, für eine gewisse Zeit verkürzen, so dass die Festsetzung oder Anmeldung lediglich nicht rechtzeitig erfolgt, liegt der Schaden zwar nur in dem Zinsverlust,[426] der tatbestandliche Verkürzungserfolg bemisst sich hingegen nach aktueller Rspr. nach dem Nominalbetrag der nicht rechtzeitig festgesetzten Steuer.[427] Damit ist die Rspr. überholt, wonach zugunsten des Täters insb. in den Fällen nur eine Steuerhinterziehung auf Zeit angenommen wurde, in denen nach der Tathandlung eine weitere steuerliche Erklärung vom Täter abzugeben ist. Bspw. folgt auf die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1 UStG) eines Jahres nach der Systematik des Gesetzes die Abgabe der Jahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG). Gab der Täter keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab, beging er nach dieser Auffassung nur eine Hinterziehung auf Zeit.[428] Der Hinterziehungsschaden wurde auf den dem Fiskus entstandenen Zinsverlust beschränkt. Die Hinterziehung auf Dauer wurde erst in der Nichtabgabe der Jahressteuererklärung gesehen.[429] Gleiches galt für Lohnsteueranmeldungen sowie Vorauszahlungen auf die Einkommen-, Körperschaft- oder Kapitalertragsteuer.[430] Wurde eine Steuerhinterziehung auf Zeit bejaht, bemaß sich der Verspätungsschaden nach dem Zinsverlust des Fiskus.[431] Dieser wurde entspr. §§ 235, 238 AO mit 0,5 Prozent pro Monat des nicht rechtzeitig festgesetzten Steuerbetrags angesetzt. Der 1. Senat des BGH hat diese Rspr. im Jahr 2009 aufgegeben und die Unterscheidung der tatbestandlichen Steuerverkürzung in eine solche „auf Dauer“ und eine solche „auf Zeit“ insgesamt abgelehnt.[432] Der BGH begründet dies damit, dass bei einer Verletzung der Pflicht zur Einreichung von zutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen die gem. § 370 strafbewährte Gefährdung des Steueranspruchs unabhängig davon besteht, ob der Steuerschuldner beabsichtigt, die falschen oder unterlassenen Angaben später – insb. in der Jahreserklärung – zu berichtigen oder nachzuholen. Die Steuerhinterziehung sei zwar ein Erfolgsdelikt, jedoch – wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt – nicht notwendig Verletzungs- sondern konkretes Gefährdungsdelikt. Die geschuldete Steuer sei bereits dann verkürzt, wenn sie nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Die spätere Korrektur ändere daher nichts am Erfolgsunrecht. Ziel des Täters, der sich durch eine Steuerhinterziehung auf Zeit nur vorübergehend Liquidität beschaffen wolle, sei eine Schadenswiedergutmachung. Sein Handlungsunrecht sei daher geringer, dies sei lediglich für die Strafzumessung von Bedeutung (s. dazu Rn. 362).[433]