Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
häufig schwierig. Bis heute als materiell-rechtliche Voraussetzungen werden z.B. – entgegen der Rspr. des EuGH (siehe dazu Rn. 55) – das Vorliegen einer Rechnung i.S.d. § 14 UStG für den Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG[489] oder die Vorlegung der in § 45a Abs. 2 oder Abs. 3 EStG bezeichneten Bescheinigung für die Anrechnung der durch Steuerabzug erhobenen Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 EStG[490] qualifiziert. Die Erteilung einer Umsatzsteueridentifikationsnummer (§ 27a UStG) ist nach Ansicht des EuGH ein rein formelles Erfordernis, so dass ein Anspruch auf Umsatzsteuerbefreiung grundsätzlich auch ohne Vorliegen bestehen kann.[491]
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Der EuGH hat – bezogen auf das europarechtlich vereinheitlichte Umsatzsteuerrecht – klar gestellt, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig zu machen, ohne in Betracht zu ziehen, ob die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind.[492] In Befolgung dieser Rspr. hat der BGH den buchmäßigen Nachweis gem. § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. § 13 UStDV als Voraussetzung der Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen nach § 4 Abs. 1 a Alt. 1 UStG relativiert[493] und betrachtet diesen nicht mehr als materiell-rechtliche Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung.[494] Die Steuerfreiheit ist auch dann zu bejahen, wenn zwar der buchmäßige Nachweis fehlt, aufgrund der objektiven Beweislage aber feststeht, dass die Voraussetzungen von Ausfuhrlieferungen vorliegen.[495] Gleiches gilt für das Fehlen von Buch- und Belegnachweisen gem. §§ 17a und 17c UStDV bei innergemeinschaftlichen Lieferungen: steht aufgrund der objektiven Beweislage fest, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen, ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht erbracht hat (siehe dazu auch Rn. 55).[496]
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Hinsichtlich des umsatzsteuerlichen Vorsteuerabzugs geht der EuGH davon aus, dass die Vorlegung einer Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis nicht materiell-rechtliche sondern lediglich formelle Voraussetzung ist (siehe dazu Rn. 55). Die nationale Rspr. lehnt es bislang ab, daraus Folgen zu ziehen.[497] Liegt keine ordnungsgemäße Rechnung i.S.d. § 14 UStG vor, steht dem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug zu, wenn der Finanzbehörde vor ihrer Entscheidung – also spätestens bis zur Einspruchsentscheidung[498] – eine nach § 14 Abs. 6 Nr. 5 i.V.m. § 31 Abs. 5 UStDV berichtigte Rechnung vorgelegt wird.[499] Nach bisheriger nationaler Rspr. bewirkt die nachträgliche Rechnungserstellung, anders als die Rechnungsberichtigung, keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der ersten – fehlerhaften – Rechnung. [500] Daher musste die Rechnungsberichtigung von einer erstmaligen Rechnungserteilung abgegrenzt werden. Von der Berichtigung einer bereits zuvor erteilten Rechnung ist nach Ansicht des BFH jedenfalls dann ausgehen, wenn das zunächst erteilte Dokument, das später berichtigt werden soll, die Merkmale des Rechnungsbegriffs des § 14c UStG aufweist, also Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen USt enthält.[501] Unter Berücksichtigung der Rspr. des EuGH dürfte nun auch die nachträgliche Rechnungstellung auf den Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes zurückwirken (s. dazu Rn. 55). Die Berichtigung darf nur durch den Rechnungsaussteller, nicht durch den Leistungsempfänger selbst, vorgenommen werden.[502]
(4) Erlangen des Vorteils für sich oder einen anderen
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Der Täter muss die Vorteile der Tat nach § 370 Abs. 1 für sich oder einen anderen erlangen. Er muss daher nicht eigennützig handeln und bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 nicht selbst Steuerpflichtiger sein. Nach der in Literatur und Rspr. vorherrschenden Meinung genügt es für das Erlangen des Vorteils, dass die entsprechende begünstigende Verfügung wirksam wird, etwa mit Bekanntgabe.[503] Auf einen Zufluss des Vorteils, z.B. durch die Auszahlung einer Steuervergütung soll es nicht ankommen.[504]
b) Vollendung und Beendigung der Steuerhinterziehung
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Grundsätzlich ist rechtlich zwischen der Tatvollendung und der Tatbeendigung zu unterscheiden. Vollendet ist eine Tat, wenn alle Voraussetzungen des Tatbestandes – inklusive Erfolgseintritt beim Erfolgsdelikt – erstmals erfüllt sind. Hingegen meint Beendigung den Zeitpunkt, in dem das unrechtserhebliche Geschehen seinen endgültigen Abschluss findet.[505] Die Tatvollendung ist von Bedeutung insb. für die Abgrenzung des nach § 370 Abs. 2 strafbaren Versuchs von der Vollendung und damit für die Frage, ob ein Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB möglich ist. Für die Bestimmung des Verjährungsbeginns kommt es auf die Tatbeendigung an (§ 78a StGB). Auch für die Frage der Anwendung des „milderen Gesetzes“ i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB im Falle einer Gesetzesänderung zwischen Tatbeendigung und Verurteilung kommt es darauf an, wann die Tat beendet wurde. Solche Gesetzesänderungen sind insb. im Hinblick auf die Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 Nr. 1 und des Abs. 3 Nr. 5 erfolgt (S. dazu Rn. 306 ff., 322). Außerdem kann bis zum Zeitpunkt der Beendigung Beihilfe zu der Tat geleistet werden.
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Im Falle der Steuerhinterziehung tritt mit Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges regelmäßig sowohl Vollendung als auch Beendigung ein.[506] Zu Abweichungen würde es bei Unterlassungstaten kommen, wenn zugunsten des Täters für die Bestimmung der Tatvollendung ein möglichst später Vollendungszeitpunkt angesetzt wird, während für die Frage des Verjährungsbeginns ein früherer Beendigungszeitpunkt bestimmt wird. Die Rspr. desBGH unterscheidet aber nicht in dieser Weise.[507]
aa) Vollendung und Beendigung der Verkürzung im Festsetzungsverfahren
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Der Zeitpunkt der Vollendung und Beendigung einer Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren unterscheidet sich, je nachdem, ob es sich um Veranlagungs- oder Anmeldesteuern handelt. Außerdem kommt es darauf an, ob die Hinterziehung durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen verwirklicht wird.
(1) Vollendung bei Veranlagungssteuern
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Bei Veranlagungssteuern (ESt, KSt, GewSt, GrESt) ist die Steuerhinterziehung durch aktives Tun mit unzutreffender Festsetzung der Steuer vollendet. Die Festsetzung erfolgt regelmäßig durch Bekanntgabe eines Steuerbescheids (§§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 1). Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 gilt der im Inland übermittelte Steuerbescheid nach drei Tagen als zugegangen und damit als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder später zugegangen ist. Der Wortlaut stellt klar, dass ein früherer Zugang unerheblich ist. Insoweit handelt es sich um eine Bekanntgabefiktion.[508] Dagegen kann der spätere Zugang nachgewiesen werden, so dass es sich insoweit nur um eine Zugangsvermutung handelt.[509] Fällt der letzte Tag der Drei-Tages-Frist auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, so verlängert sich die Frist bis zum