Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
Verweigerung der Zustimmung zu einem Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 Nr. 5: Steuerlich darf geschätzt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 zum automatischen Kontenabruf nicht erteilt. Mit Hilfe des Kontenabrufs können die Bestandsdaten zu Konto- und Depotverbindungen bei den Kreditinstituten abgerufen werden. Strafrechtlich muss der Nachweis erbracht werden, dass und in welcher Höhe Steuern verkürzt worden sind. Die Ermittlungsbehörden haben im Strafverfahren ausreichende Möglichkeiten, insb. über den Kontenabruf nach § 24c Abs. 3 Nr. 2 KWG,[579] die Kontoinformationen ohne Zustimmung des (im Strafverfahren ohnehin nicht mitwirkungspflichtigen) Steuerpflichtigen zu erlangen, sodass sich eine Schätzung verbietet.
(2) Schätzungsmethoden
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Die bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Dazu muss die Finanzbehörde im Rahmen des ihr Zumutbaren alle Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung beachten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln.[580] Die Durchführung der Schätzung erfolgt in der Regel nach den auch im Besteuerungsverfahren anerkannten – und erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden, einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen. Gegenüber Schätzungen der Finanzbehörden sind die vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) und der In-dubio-pro-reo-Grundsatz zu berücksichtigen.[581] Nach der Rspr. dürfen Schätzungsspielräume ausgeschöpft werden, ein Sicherheitszuschlag auf die Schätzung kommt strafrechtlich jedoch nicht in Betracht.[582]
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Nachfolgend werden die praktisch wichtigsten Schätzungsmethoden kurz dargestellt.
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(a) Äußerer Betriebsvergleich: Beim äußeren Betriebsvergleich wird das Unternehmen des Steuerpflichtigen, genauer gesagt bestimmte Kennzahlen seines Betriebs, mit anderen vergleichbaren Betrieben derselben Branche verglichen.
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Für zahlreiche Branchen führt das Bundesministerium der Finanzen eine Richtsatzsammlung, die verschiedene, im Wege statistischer Erhebungen gesammelte Werte enthält, insb. Rahmen von üblichen Rohgewinnaufschlagsätzen. Die Sammlung wird jährlich aktualisiert herausgegeben. Die Richtsätze gelten als Durchschnittswerte eines Normalbetriebes, mit denen die Werte des betroffenen Unternehmens verglichen und an die bei nicht erklärbaren Abweichungen steuerlich eine Anpassung vorgenommen wird. Die Richtsätze haben nur indizielle Bedeutung, da jeder Betrieb Eigenheiten gegenüber anderen Betrieben aufweist. Eine Überschreitung der höchsten Reingewinnsätze nach der Richtsatzsammlung ist schon steuerlich nicht zulässig, wenn dafür keine plausiblen Gründe bestehen.[583]
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Im Rahmen der Verteidigung gilt es insbesondere, zu überprüfen, ob die Einordnung des geprüften Unternehmens innerhalb der Richtsatzsammlung zutreffend nach Branche, Größe, Organisation usw. erfolgt und darzulegen, welche Besonderheiten des Betriebes eine Unterschreitung der Richtsätze im Einzelfall plausibel erscheinen lassen. Unter Umständen lässt sich auch die Richtigkeit oder Genauigkeit der Werte der Richtsatzsammlung angreifen (z.B. weil die für eine Unternehmensart zu Grunde gelegte Datenbasis nicht repräsentativ ist).
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Die Unterschreitung der Richtsätze genügt allein genommen weder steuerlich noch strafrechtlich, um eine Steuerverkürzung zu unterstellen, die Buchführung zu verwerfen oder eine Schätzung vorzunehmen. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Indizien,[584] wie im Besteuerungsverfahren bspw. gravierende Buchführungsmängel und strafrechtlich konkrete Hinweise auf die Verkürzung von Steuern, wie etwa nachweisbar „schwarz“ erfolgte Einkäufe. Für die Schätzung der Höhe nach kann die Richtsatzsammlung heran gezogen werden, wenn dies plausibel und wirtschaftlich vernünftig erscheint und die Besonderheiten des Strafverfahrens beachtet werden.[585]
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Der Vergleich mit den Kennzahlen eines einzelnen anderen Betriebes (Einzelbetriebsvergleich) kommt wegen der damit verbundenen Unsicherheiten (u.a. darüber, ob die Vergleichszahlen richtig und repräsentativ sind) zumindest strafrechtlich nicht in Betracht.[586] Das gilt umso mehr, als Einzelheiten des Vergleichsbetriebes wegen des Steuergeheimnisses nach § 30 grundsätzlich nicht offen gelegt werden dürften, so dass der Beschuldigte sich nur beschränkt verteidigen könnte.
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(b) Interner Betriebsvergleich: Beim internen oder inneren Betriebsvergleich werden die Vergleichswerte des geprüften Unternehmens (z.B. Umsatz, Wareneinsatz, Personalkosten, Rohgewinn, Reingewinn) verschiedener Besteuerungszeiträume gegenüber gestellt und miteinander verglichen. Kommt es über die Jahre zu Schwankungen der Werte, begründet dies den Verdacht von Unregelmäßigkeiten, sofern sich die Schwankungen nicht mit tatsächlichen Veränderungen im Betrieb (wie z.B. saisonale Schwankungen, Einstellung oder Entlassung von Personal, Reduzierung des Warenverlusts usw.) erklären lassen.
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Mit Hilfe der mathematisch-statistischen Methode des Zeitreihenvergleichs von Umsatz und Wareneinsatz wird überprüft, ob eine wochenweise Untersuchung der Rohgewinnaufschläge eines Betriebs schlüssig zum durchschnittlich erklärten Rohgewinnaufschlag des Kalenderjahres führt. Der wöchentliche Wareneinsatz wird aus den Wareneinkäufen, wie sie sich aus den Eingangsrechnungen für diesen Zeitraum ergeben, abzüglich Pauschbeträgen für unentgeltliche Wertabgaben ermittelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Waren zeitnah verbraucht werden und es keine nennenswerte Vorratshaltung gibt. Der höchste Rohgewinnaufschlagsatz, der sich für einen 10-Wochen-Zeitraum ergibt, wird dann auf den für das Jahr erklärten Wareneinsatz angewendet. Wegen verschiedener methodisch bedingter Ungenauigkeiten einerseits sowie der (aufgrund extrem umfangreicher Datenmengen, die der Auswertung zugrunde liegen) fehlenden Möglichkeit zur Nachprüfung durch den Steuerpflichtigen andererseits, hat das Ergebnis schon steuerlich nur beschränkte Aussagekraft.[587] Bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung oder einer Buchführung, die nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden.[588] Strafrechtlich kann der Zeitreihenvergleich wegen seiner Mängel zwar den Anfangsverdacht einer Steuerverkürzung begründen, zu einer Überzeugungsbildung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach aber nur in Kombination mit anderen Nachweisen führen.[589]
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Bei einer Verteilungsprüfung wird überprüft, wie sich die Umsätze auf verschiedene Geschäfte (z.B. Verhältnis Getränkeverkauf zu Speisenverkauf) oder Perioden (z.B. Wochentage) verteilen und dies auf einen Vergleichszeitraum zugrunde gelegt, in dem die Verteilung grundsätzlich vergleichbar sein müsste, um so die Plausibilität der erklärten Umsätze zu überprüfen.
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(c) Nachkalkulation: Mit Hilfe einer Nachkalkulation lässt sich die Schlüssigkeit der erklärten Umsätze und des Betriebsergebnisses auf der Grundlage der betriebsinternen Daten (insb. des Wareneinsatzes) recht zuverlässig überprüfen, sofern diese zutreffend sind. Die Methode wird einerseits verwendet, um die (formell ordnungsgemäße) Buchführung zu erschüttern und andererseits, um die Schätzung der Höhe nach durchzuführen. Sie enthält in erster Linie Elemente des internen Betriebsvergleichs. Bei