Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
50a Abs. 1, 4, 6 EStG) gemacht, ist die Steuerhinterziehung vollendet, sobald die jeweilige Anmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat,[531] in den Fällen des § 168 S. 1 also bereits mit Einreichung der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, nur wenn die Anmeldung zu einer Steuerherabsetzung oder -vergütung führt, erst mit Bekanntgabe der Zustimmung der Finanzbehörde (§ 168 S. 2).[532]
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Wird keine Steuererklärung abgegeben, tritt Vollendung automatisch mit Ablauf der Frist zur Abgabe ein, bei USt- und LSt-Voranmeldungen also bspw. nach dem 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldezeitraums (§ 18 Abs. 1 und 2 UStG, § 41a EStG), bei Umsatzsteuerjahreserklärungen in der Regel nach dem 31.5. des Folgejahres (§ 149 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 3 S. 1 UStG).[533] Dem Steuerpflichtigen allgemein oder im Einzelfall gewährte Fristverlängerungen sind bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Vollendung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (s. dazu Rn. 115).
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Fraglich ist, aufgrund der Rechtsprechung, die die Abgabe einer unwirksamen Steuererklärung als tatbestandlich erachtet, sofern sie zu einer Steuerfestsetzung führt (s. dazu Rn. 63), wie der Fall zu beurteilen ist, dass eine falsche aber nicht unterzeichnete, bzw. authentifizierte Umsatzsteuerjahreserklärung nach § 168 S. 1 abgegeben wird. Da die Erklärung formell unwirksam ist, kann sie keine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 168 S. 1 AO als Rechtsfolge bewirken. Die unwirksame Erklärung müsste daher als Unterlassen gewertet werden. Das gilt gleichermaßen im Fall des § 168 S. 2, solange der Mangel nicht durch Zustimmung der Finanzbehörde geheilt ist.
bb) Vollendung der Verkürzung außerhalb des Festsetzungsverfahrens
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Bei einer Steuerhinterziehung außerhalb des Festsetzungsverfahrens tritt Vollendung ein, wenn die Ist-Einnahme hinter der Soll-Einnahme zurück bleibt.[534] Entscheidend i.S.d. Kausalität ist der Zeitpunkt und der Umfang, in dem die Steuer bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters vereinnahmt worden wäre.[535] Verhindert der Steuerpflichtige etwa im Vollstreckungsverfahren eine Vollstreckungsmaßnahme dadurch, dass er seine Zahlungsunfähigkeit vortäuscht[536] oder dadurch, dass er in einer eidesstattlichen Versicherung falsche Angaben über vorhandene Vermögensgegenstände macht,[537] so ist für den Erfolg entscheidend, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang die Finanzbehörde ohne die falschen Angaben erfolgreich vollstreckt hätte.
c) Feststellung des Hinterziehungserfolgs
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Voraussetzung für die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ist die Feststellung der verkürzten Steuer als Taterfolg. Dem Täter muss die Steuerhinterziehung dem Grunde und der Höhe nach nachgewiesen werden. Das umfasst neben der Feststellung des einschlägigen Besteuerungstatbestandes die Festlegung der Parameter zur Steuerberechnung und die Berechnung der Steuer durch den Tatrichter.[538] Das gilt auch für die Berechnung des Zollwerts nach ZK[539] sowie im Rahmen des § 370 Abs. 6 für die Berechnung der ausländischen Steuern.[540] Dabei ist für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die festgesetzte Steuer (Ist-Steuer) und die gesetzlich geschuldete Steuer (Soll-Steuer) gegenüberzustellen.[541] Spätere Entwicklungen, wie Schadensvertiefung oder Schadensausgleich, berühren den tatbestandlichen Schaden nicht.[542] An steuerliche Entscheidungen der Finanzbehörde oder des Finanzgerichts ist der Strafrichter nicht gebunden. Es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gem. § 261 StPO. Allerdings kann das Strafverfahren unter den Voraussetzungen des § 396 bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden.
aa) Feststellung der Hinterziehung dem Grunde nach
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Bei der Feststellung des Hinterziehungserfolges dem Grunde nach – sei es im Rahmen der Prüfung ob eine Tathandlung vorliegt[543] oder im Rahmen der Prüfung ob ein Hinterziehungserfolg eingetreten ist – sind nicht die Beweisregeln des Steuerrechts sondern die des Strafrechts zu beachten.[544] Im Zweifel gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“. Folglich muss strafrechtlich immer zunächst (gem. § 261 StPO zur vollen Überzeugung des Tatrichters) bewiesen werden, dass es zu einer Steuerverkürzung gekommen ist. Dies kann – anders als unter bestimmten Umständen im Steuerrecht – niemals vermutet werden.
bb) Feststellung der Hinterziehung der Höhe nach
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Dem Täter muss eine Steuerhinterziehung in bestimmter Höhe zur vollen Überzeugung des Tatrichters nachgewiesen werden. Für die Berechnung der hinterzogenen Steuer gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch das Tatgericht gem. § 261 StPO. Verbleiben nach Ausschöpfung aller Beweismittel Zweifel, muss sich dies zugunsten des Täters auswirken. Der Verweis des Gerichts auf eine Berechnung durch einen zeugenschaftlich vernommenen Steuerfahnder, auf Betriebsprüfungs- oder Steuerfahndungsberichte kann die eigene, nachvollziehbar darzustellende Überzeugungsbildung nicht ersetzen.[545] Ebenso wenig genügt die Bezugnahme auf rechtskräftige Steuerbescheide.[546] Auch auf die Berechnung eines Sachverständigen kann nur verwiesen werden, soweit das Gericht erkennbar selbst die Anknüpfungstatsachen benannt hat und die Berechnung eigenverantwortlich nachgeprüft hat.[547] Die Darstellung der Berechnungsgrundlagen soll ausnahmsweise dann entbehrlich sein, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der zur Berechnung der hinterzogenen Steuern bzw. der nicht abgeführten Beiträge zur Sozialversicherung in der Lage ist, ein Geständnis abgelegt hat.[548] Außerdem ist die fehlerhafte Darstellung der hinterzogenen Steuer im Rahmen der Revision unerheblich, wenn eine Fehlberechnung zu Lasten des Angeklagten ausgeschlossen werden kann.[549]
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Steht fest, dass der Besteuerungstatbestand erfüllt ist, muss die Höhe der hinterzogenen Steuern, soweit sie sich nicht exakt feststellen lässt, durch Schätzung ermittelt werden. Dem steht im Strafverfahren der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht entgegen (s. dazu auch § 393 Rn. 34 ff).[550] Dieser verbietet es lediglich, die Schätzung wegen der Verletzung von steuerlichen Mitwirkungspflichten an der oberen Grenze des Schätzrahmens auszurichten.[551] Um den strafrechtlich erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad zu erreichen, können Korrekturen und Sicherheitsabschläge vorgenommen werden. Es müssen aber auch nicht die untersten Rahmen der Schätzung gewählt werden, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben.[552] Die Schätzung darf nicht frei erfolgen, sondern muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nachvollziehbar, wahrscheinlich und wirtschaftlich vernünftig sein.[553] Zu schätzen sind nicht die verkürzten Steuern, sondern die maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen.[554] Für die Schätzung der Einkommensteuer muss das Gericht zunächst die Gewinnermittlungsmethode (durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG oder als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG) feststellen.[555] Sind nicht geltend gemachte steuermindernde Tatsachen bei der Feststellung der Steuerverkürzung wegen des Kompensationsverbots nicht zu berücksichtigen, sind diese – sofern trennbar – auch bei der Schätzung außen vor zu lassen.[556]
(1) Gründe für eine Schätzung
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Während die Schätzung der Höhe der hinterzogenen Steuer allgemein aus § 261 StPO für zulässig erachtet wird,[557] wird die Anwendbarkeit des für die steuerliche Schätzung geltenden § 162 für