Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
370 Abs. 3 Nr. 1). Die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchssteuern gem. § 370 Abs. 3 Nr. 5, wurde komplett neu eingefügt und § 370a a.F., der die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Hinterziehung in großem Ausmaß als Verbrechen vorsah, gestrichen. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB gilt die alte Fassung des Gesetzes für Taten, die zum 1.1.2008 bereits beendet waren nur dann noch, wenn sie gegenüber der aktuellen Fassung das mildere Gesetz darstellen. Entscheidend für die Beurteilung ist, welches Gesetz im konkreten Einzelfall für den Täter eine günstigere Rechtslage ergibt.[758]
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– | § 370 Abs. 3 Nr. 1 a.F. bildet für Hinterziehungen großen Ausmaßes regelmäßig die günstigere Rechtslage, sofern der Täter nicht aus grobem Eigennutz gehandelt hat. Für vor dem 1.1.2008 beendete Taten ist daher § 370 Abs. 3 Nr. 1 a.F. weiterhin anwendbar. |
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– | Im Falle der bandenmäßigen Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern gem. § 370 Abs. 3 Nr. 5 n.F. griff nach alter Rechtslage die Qualifikation des § 370a, der gegenüber der aktuellen Rechtslage weiter gefasst war und eine höhere Mindeststrafe von einem Jahr vorsah. Allerdings galt § 370a im Hinblick auf Art. 103 GG als verfassungswidrig, da das „große Ausmaß“ als Verbrechenstatbestand nicht ausreichend bestimmt war.[759] § 370a AO war daher auch nach alter Rechtslage nicht anzuwenden, mit der Folge, dass eine Bestrafung wegen bandenmäßiger Begehung nur als einfache Steuerhinterziehung erfolgt wäre. Unter Berücksichtigung dessen war die alte Rechtslage gegenüber der heutigen vorteilhaft und wäre daher weiterhin anzuwenden.[760] Rspr. gibt es dazu allerdings, soweit ersichtlich, nicht. |
Mit Wirkung ab dem 27. Juni 2017[761] gilt die fortgesetzte Steuerhinterziehung durch verdeckte Geschäftsbeziehungen zu einer beherrschten Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 als neues Regelbeispiel eines besonders schweren Falles (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6).
a) Steuerhinterziehung großen Ausmaßes, § 370 Abs. 3 Nr. 1
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Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung liegt gem. § 370 Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 1 in der Regel vor, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt. Nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Gesetzesfassung musste der Täter zusätzlich aus grobem Eigennutz handeln (s. dazu Rn. 322 ff.).
aa) Hinterziehung in großem Ausmaß
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Das Ausmaß der Steuerhinterziehung bestimmt sich nach dem Hinterziehungsbetrag, nicht nach dem eingetretenen Steuerschaden.[762] Eine Schadenswiedergutmachung[763] wird insoweit ebenso wenig berücksichtigt, wie dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 unterliegende steuermindernde Umstände. Diese Umstände spielen allerdings als Strafzumessungsaspekte eine Rolle, bei der Prüfung, ob aufgrund der Gesamtumstände trotz Vorliegens des Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall zu verneinen ist sowie im Rahmen der konkreten Strafzumessung.[764]
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Ab welchem Ausmaß der Steuerhinterziehung das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 erfüllt ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Dies ergibt sich vielmehr aus dazu ergangener, teilweise in sich widersprüchlicher und zuletzt mit Urteil vom 27.10.2015[765] grundlegend geänderter Rspr. des BGH, wonach nun in allen Fällen, in denen der Hinterziehungsbetrag 50 000 EUR überschreitet, eine Hinterziehung großen Ausmaßes anzunehmen sei.
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Teilweise wurde bereits vor der letzten Rechtsprechungsänderung in der Literatur die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 verstoße gegen den „Nulla-poene-sine-lege-Grundsatz“ des Art. 103 GG i.V.m. § 1 StGB, jedenfalls aber gegen den allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz.[766] Der BGH teilte diese Ansicht nicht.[767] Die Rechtsprechungsänderung vom 27.10.2015 wirkt jedoch für den betroffenen Steuerstraftäter im Ergebnis wie eine rückwirkende Gesetzesverschärfung, da er nun in Fällen, in denen bislang eine Hinterziehung in Höhe von 100 000 EUR für die Erreichung des großen Ausmaßes gefordert wurde, nur noch einen Betrag in Höhe von 50 0000 EUR verkürzen muss, um das Regelbeispiel des großen Ausmaßes zu erreichen.[768] Dies ist im Hinblick auf den Nulla-poena-sine-lege-Grundsatz und den Bestimmtheitsgrundsatz äußerst bedenklich.[769]
(1) Frühere Entwicklung der Rspr. zum großen Ausmaß
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Die Entwicklung der Rspr. ist seit der gesetzlichen Änderung des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 durch Streichung des Merkmals des „groben Eigennutzes“ in einer insgesamt inkonsistenten und in der Begründung im Einzelfall teilweise nicht nachvollziehbaren Weise erfolgt. Im Ausgangspunkt steht die vom BGH ausdrücklich anerkannte verfassungsrechtliche Notwendigkeit, das große Ausmaß betragsmäßig zu bestimmen.[770] Beginnend mit einer Grundsatzentscheidung vom 2.12.2008, bejahte der BGH das „große Ausmaß“ zunächst ab einem Hinterziehungsbetrag, der 50 000 EUR übersteigt,[771] sofern der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt (der BGH sprach insoweit von einem „Griff in die Kasse“). Ein Verkürzungsbetrag von 100 000 EUR wurde angesetzt, soweit der Steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt und dadurch Steuern verkürzt.[772]
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In nachfolgender Rspr. weichte der BGH die von ihm entwickelte betragsmäßige Abgrenzung auf und betonte dabei, dass die Betragsgrenze von 50 000 EUR „namentlich“ dann zur Anwendung komme, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat.[773] Da mit dem Erlangen von Zahlungen einerseits und dem Nichtzahlen von Steuern andererseits aber alle Formen des Erfolges der Steuerverkürzung erfasst sein dürften, ist nicht ersichtlich, welche weiteren Formen neben dem „Griff in die Kasse“ systematisch in diese Kategorie eingeordnet werden sollten. Probleme können sich nur bei Einbeziehung sonstiger steuerlicher Vorteile in § 370 Abs. 3 Nr. 1 stellen, insb. weil dieRspr. „Vorteile“, wie z.B. Feststellungsbescheide, im Vorfeld der Steuerverkürzung als Hinterziehungserfolg genügen lässt (s. dazu Rn 169 ff.).
(2) Kritik an der früheren Rspr. zum großen Ausmaß
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