Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
zwischen einem unbeendeten Versuch (der Täter hat noch nicht alle Handlungen vorgenommen, die nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat erforderlich sind, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1) und einem beendeten Versuch (der Täter hat bereits alles getan, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Taterfolges erforderlich ist, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2). Im Fall des unbeendeten Versuchs muss der Täter zur Erlangung der Straffreiheit die weitere Ausführung der Tat aufgeben, beim beendeten Versuch die Tatvollendung verhindern oder, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet wird, sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemühen, dass die Tat nicht vollendet wird. Im Fall des § 370 spielt die Unterscheidung praktisch keine Rolle, da der Beginn des Versuchsstadiums und die Versuchsbeendigung bei der Abgabe falscher Erklärungen zusammenfallen (s. dazu Rn. 182 f.). Bei Unterlassungstaten kommt ein unbeendeter Versuch (z.B. im Veranlagungsverfahren bis zur unterbleibenden Festsetzung) zwar in Betracht, insoweit genügt die Aufgabe der weiteren Tatausführung aber ebenfalls nicht, da der Täter zur Erfolgsverhinderung aktiv werden muss. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Täter bereits unrichtige Angaben gemacht hat, aus seiner Sicht aber weitere Angaben oder Nachweise erforderlich sind, um den Hinterziehungserfolg herbeizuführen.[732] Nach § 24 Abs. 2 gelten erhöhte Anforderungen für den Rücktritt von einer Tat, an der mehrere beteiligt sind. Insoweit genügt bei mittäterschaftlicher Begehung das bloße Unterlassen weiterer Mitwirkung nicht.[733]
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Bei einem fehlgeschlagenen Versuch ist ein strafbefreiend wirkender Rücktritt vom Versuch nicht mehr möglich. Der Versuch ist dann fehlgeschlagen, „wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt“.[734] Der Versuch der Steuerhinterziehung ist nicht schon mit dem Erlass eines dem Täter ungünstigen Steuerbescheides durch das Finanzamt, sondern erst mit Bestandskraft des Steuerbescheides fehlgeschlagen: „Solange dieselbe Steuererklärung im Streit ist, der Täter noch nicht alle Rechtsbehelfe ausgenutzt hat und der Steuerbescheid noch nicht formell rechtskräftig geworden ist, bleibt der Schwebezustand aufrechterhalten mit der Folge, dass der Versuch erst mit Bestandskraft des ablehnenden Steuerbescheides fehlgeschlagen ist“.[735]
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Nach der in Rspr. und Literatur inzwischen allgemein vertretenen Ansicht ist ein Rücktritt vom Versuch neben der Selbstanzeige möglich.[736] So prüft bspw. das LG Halle in einem Urt. v. 22.4.2013[737] im Anschluss an die Feststellung, dass eine Berichtigung der Steuererklärung wegen Tatentdeckung und dem Rechnen-Müssen des Täters mit der Tatentdeckung nicht mehr als wirksame Selbstanzeige zu werten sei, ob ein Rücktritt vom Versuch in Betracht komme. Das Gericht lehnt dies wegen der Umstände des konkreten Falles ab, da es aufgrund der dem Steuerpflichtigen bekannten Tatentdeckung an der Freiwilligkeit des Handelns fehlte.
VIII. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Die Rechtfertigungsgründe des allgemeinen Strafrechts (Notwehr gem. § 32 StGB, rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB, Einwilligung und Einverständnis) kommen bei der Steuerhinterziehung nicht in Betracht, so dass grundsätzlich jede vorsätzlich begangene Steuerhinterziehung auch rechtswidrig ist (siehe auch § 369 Rn. 83 f.). Die Gefahr, sich mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten selbst zu belasten, rechtfertigt ebenfalls nicht die Nichtabgabe von steuerlichen Erklärungen, soweit ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz auf andere Weise vermieden werden kann (s. dazu Rn. 121 ff.).
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Als Entschuldigungsgründe kommen bei der Steuerhinterziehung ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gem. § 17 StGB (s. dazu Rn. 277) und Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB in Betracht, wobei für letztere die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts gelten.[738]
IX. Verfahrenshindernisse
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Eine begangene Steuerhinterziehung kann nicht verfolgt werden, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Insoweit gelten die sich aus dem allgemeinen Strafrecht ergebenden Hindernisse, wie bspw. das Versterben des Täters und die Verjährung (s. zu Details zur Verjährung die Kommentierung zu § 376).
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Zudem ordnet das Gesetz vereinzelt die Nichtverfolgung von Steuerstraftaten an. Nach § 50e Abs. 2 EStG gilt das für geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten, sofern die nicht erklärten Einkünfte durch den Pauschalsteuersatz nach § 40a Abs. 2 EStG hätten abgegolten werden können, der Beschäftigte also nicht (etwa bei Wahrnehmung mehrerer geringfügiger Tätigkeiten) mehr als 450 EUR verdient.[739] Solche Taten bleiben als Ordnungswidrigkeiten verfolgbar. § 32 Abs. 1 ZollVG regelt die Nichtverfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten, die im grenzüberschreitenden Reiseverkehr begangen werden, wenn sich die Tat auf Waren bezieht, die weder zum Handel noch zur gewerblichen Verwendung bestimmt sind und der verkürzte Einfuhrabgabenbetrag oder der Einfuhrabgabenbetrag, dessen Verkürzung versucht wurde, 250 EUR nicht übersteigt. Solche Taten bleiben ausnahmsweise verfolgbar, wenn der Täter die Waren durch besonders angebrachte Vorrichtungen verheimlicht oder an schwer zugänglichen Stellen versteckt hält oder den Tatbestand einer Steuerstraftat innerhalb von sechs Monaten zum wiederholten Male verwirklicht.
X. Strafe und sonstige Folgen
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Die Steuerhinterziehung wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedroht. Daneben kommen weitere rechtliche Auswirkungen für den Täter in Betracht, wie bspw. die Haftung nach § 71 oder berufsrechtliche Folgen.
1. Strafzumessung allgemein
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Die Strafe wird in drei Schritten festgesetzt: Im ersten Schritt wird der gesetzliche Strafrahmen bestimmt, der die Strafe nach oben und unten begrenzt. Im zweiten Schritt bestimmen Strafzumessungsgesichtspunkte des § 46 StGB das Maß der Schuld und damit den engeren Spielraum innerhalb des Strafrahmens und im dritten Schritt wird die konkrete Strafe festgesetzt, wobei general- und spezialpräventive Aspekte berücksichtigt werden.[740]
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Als Strafe für die (einfache) Steuerhinterziehung sieht § 370 Abs. 1 die Verhängung einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe in einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren vor. Bei der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall ist der Strafrahmen gem. § 370 Abs. 3 erhöht auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (s. dazu Rn. 300 ff.), eine Geldstrafe ist nicht vorgesehen. Liegen gesetzliche Strafmilderungsgründe vor, können diese nach § 49 StGB zu einer Strafrahmenverschiebung zugunsten des Täters führen.
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Eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten darf nach § 47 Abs. 1 StGB nur ausnahmsweise verhängt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Täterpersönlichkeit dies zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung