Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
durch den 1. Senat aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs des steuerlichen Vorteils (der nach der Rspr. des BGH z.B. vorteilhafte Feststellungsbescheide umfasst), nicht zugestimmt werden. Darüber hinaus ist der Unrechtsgehalt der Steuerhinterziehung gegenüber dem Betrug auch deshalb als geringer einzustufen, weil die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 keine Täuschung voraussetzt und die nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 stets durch Unterlassen begangen wird. Für die Annahme einer willkürlichen Änderung der Rspr. wird das voraussichtlich jedoch nicht genügen. Zweifelhaft erscheint vielmehr, ob die Rechtsprechungsänderung für den Steuerpflichtigen vorhersehbar war. Insoweit war ein möglicher Hinweis auf eine Rechtsprechungsänderung die Hervorhebung, wonach die Betragsgrenze von 50 000 EUR „namentlich“ dann Anwendung finde, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat und die in der Literatur um die Aufweichung der Abgrenzungskriterien durch den BGH entbrannte Diskussion. Mit der vollstängigen Aufhebung der Differenzierung und dem Abstellen für alle Fälle auf den niedrigeren der beiden bisherigen Beträge war aber auch unter Berücksichtigung dieser Umstände nicht zu rechnen.
(5) Großes Ausmaß bei Festsetzungen in einem Grundlagenbescheid
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Besteht der steuerliche Vorteil in unzutreffenden Festsetzungen im Rahmen eines Grundlagenbescheids i.S.d. §§ 179 ff., so sollte ausgehend von der bisherigen Rspr. des BGH eine gesonderte Wertgrenze zu bestimmen sein, was bislang nicht geschehen war[797] (s. dazu Rn. 171, 175). Unter Berücksichtigung der Entscheidung vom 27.10.2015[798] ist davon auszugehen, dass der BGH auch insoweit auf den Betrag von 50 000 EUR abstellen wird. Fraglich bleibt, welche Anforderungen an die Berechnung gestellt werden.
(6) Großes Ausmaß bei Begehung mehrerer Taten
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Das große Ausmaß ist für jede einzelne Tat zu bestimmen,[799] also in der Regel anhand der jeweils in einem Besteuerungszeitraum verkürzten Steuerbeträge der einzelnen Steuerarten. Bei tateinheitlicher Begehung von Steuerhinterziehungen (durch gleichzeitige Abgabe von mehreren Erklärungen mit übereinstimmend unrichtigen Angaben[800]) werden die Hinterziehungsbeträge addiert.[801]
(7) Verhältnis Hinterziehungsbetrag zu erklärten Beträgen
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Die betragsmäßigen Grenzen gelten nach der Rspr. des BGH unabhängig davon, in welchem Verhältnis der Hinterziehungsbetrag zu dem Gesamtumfang der erzielten Einkünfte und Umsätze bzw. den gezahlten Steuern steht. Diese Relation ist erst im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu berücksichtigen.[802]
(8) Indizwirkung des großen Ausmaßes
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Die Bejahung des großen Ausmaßes ist aber – wie bei allen Regelbeispielen des § 370 Abs. 3 S. 2 – nur ein Indiz für das Vorliegen eines besonders schweren Falles. Ein besonders schwerer Fall kann verneint werden, wenn zwar eine Steuerhinterziehung großen Ausmaßes vorliegt, eine Abwägung aller Zumessungstatsachen aber wegen überwiegender Strafmilderungsgründe ergibt, dass sich das Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle nicht so weit abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist.[803] In diesem Zusammenhang sind insb. auch „handlungsbezogene Aspekte“ von Bedeutung, da in Fällen, in denen der Täter lediglich steuererhöhende Beträge nicht erklärt hat, trotz Überschreitens der Grenze von 50 000 EUR möglicherweise kein besonders schwerer Fall anzunehmen ist.[804] Dabei stellen sich die aus der dazu ergangenen Rechtsprechung[805] ergebenden Abgrenzungsprobleme (s. Rn. 313 f.). Das LG München II ist zu dem Ergebnis gekommen, dass besonders schwere Fälle selbst bei Hinterziehungsbeträgen in Höhe von bis zu über einer Million EUR zu verneinen seien, weil der Täter mit seiner gescheiterten Selbstanzeige bzw. mit im Verfahren vorgelegten Unterlagen selbst die Verurteilung ermöglicht habe.[806] Andererseits darf ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 aber nicht angenommen werden, wenn die vom BGH entwickelten betragsmäßigen Grenzen nicht erreicht sind.[807]
bb) Bis Ende 2007: Handeln aus grobem Eigennutz
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Nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 musste der Täter für die Verwirklichung des besonders schweren Falles der Hinterziehung in großem Ausmaß zusätzlich aus grobem Eigennutz handeln. Insbesondere aufgrund der in § 376 Abs. 1 vorgesehenen Verlängerung der Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle auf 10 Jahre, findet diese Fassung der Vorschrift als milderes Gesetz i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB bis heute Anwendung auf die bis zum 31.12.2007 beendeten Taten.[808]
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Aus grobem Eigennutz handelte, wer sich bei seinem Verhalten von dem Streben nach eigenem Vorteil in besonders anstößigem Maße leiten ließ.[809] Dabei musste eine Gesamtbetrachtung der Tatumstände ergeben, dass das Gewinnstreben des Angeklagten das bei jedem Steuerstraftäter vorhandene Gewinnstreben deutlich übersteigt. In die Gesamtbetrachtung einzubeziehen waren dabei die von dem Täter hinterzogenen Vorteile, Art, Häufigkeit und Intensität der Aktivitäten und zu welchem Zweck er die erlangten Vorteile verwendet hat. Diese Umstände mussten im Zusammenhang gesehen und daraufhin überprüft werden, ob sie den Schluss auf groben Eigennutz des Täters rechtfertigen.[810] Als eigener Vorteil galt nicht nur der unmittelbare persönliche Profit des Täters, sondern auch mittelbare Bereicherungen, z.B. indem die hinterzogenen Beträge einem Unternehmen zugute kamen, das ihm gehörte oder an dem er jedenfalls nicht völlig unerheblich beteiligt war.[811]
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Hat der Täter in solchen „Altfällen“ ohne groben Eigennutz gehandelt, kam bei sehr hohen Hinterziehungsbeträgen ein unbenannter besonders schwerer Fall in Betracht.[812] Abgesehen davon konnte er nur wegen einer einfachen Steuerhinterziehung in dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 belangt werden, wobei das große Ausmaß der Hinterziehung in diesem Rahmen strafschärfend berücksichtigt werden kann.
b) Missbrauch der Befugnisse oder Stellung als Amtsträger
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Nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 liegt in der Regel ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vor, wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht.
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Amtsträger ist nach § 7 AO,[813] wer
1. | nach deutschem Recht Beamter oder Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist, |
2. |
in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen |