Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
Abs. 3
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§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 sieht als besonders schweren Fall die fortgesetzte Steuerhinterziehung durch verdeckte Geschäftsbeziehungen zu einer beherrschten Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 vor.
Das Regelbeispiel ist mit dem StUmBG vom 23. Juni 2017[858] als Reaktion auf die Veröffentlichung der sog. Panama Papers eingefügt worden. Die Vorschrift dient der Bekämpfung der Steuerhinterziehung mittels ausländischer Briefkastenfirmen (sog. „Domizilgesellschaften“). Ziel des Gesetzes ist es, beherrschende Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Personengesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, transparent zu machen.[859] Dazu sind mit dem StUmgBG zahlreiche weitere Änderungen eingeführt worden, die einer Erhöhung der Transparenz dienen.[860]
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Das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 ist anwendbar auf Taten, die ab dem 1.1.2018 begangen worden sind (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB). Für früher begangene Taten kann die Nutzung ausländischer Briefkastenfirmen und intransparenter Treuhandverhältnisse im Rahmen eines komplexeren Unternehmensgeflechts im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 2 StGB als Ausdruck hoher krimineller Energie strafschärfend gewertet werden.[861]
Voraussetzung des Regelbeispiels ist die fortgesetzte Steuerhinterziehung, für die der Steuerpflichtige zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen eine Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 nutzt, auf die er allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Als „Drittstaat-Gesellschaft“ gilt nach der Definition des § 138 Abs. 3 eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union (EU) oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ist.
Ausgehend von § 1 Abs. 2 AStG[862] ist eine Person dem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn
– | die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt (wesentlich beteiligt) ist oder auf den Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG) oder |
– | eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG) oder |
– | die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). |
Zudem muss der Täter die Gesellschaft zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzen. Dabei ist zu beachten, dass es grundsätzlich nicht verboten ist, Gesellschaften im Ausland zu gründen und zu nutzen.[863]
Für eine fortgesetzte Begehung kann – entsprechend dem insoweit gleichlautenden Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 – bereits die Begehung von zwei Taten der Steuerhinterziehung genügen.[864]
g) Versuch eines besonders schweren Falles
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Der erhöhte Strafrahmen des § 370 Abs. 3 greift grundsätzlich beim Versuch des Grundtatbestands und Vollendung des Regelbeispiels (z.B. Versuch der Steuerhinterziehung durch einen Finanzbeamten unter Missbrauch von Befugnissen als Amtsträger).[865] Allerdings kann die Milderung für den nicht eingetretenen Erfolg nach § 23 Abs. 2 StGB wieder zur Anwendbarkeit des geringeren Strafrahmens des § 370 Abs. 1 führen.
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Umstritten ist, ob ein Versuch des besonders schweren Falles auch dann anzunehmen ist, wenn der Grundtatbestand erfüllt, das Regelbeispiel aber nur versucht ist (z.B. die Steuerhinterziehung führt zu einem Verkürzungserfolg, allerdings nicht in dem gewollten großen Ausmaß). Das ist zu verneinen,[866] da der Täter dann nur den Tatbestand des Grunddelikts des § 370 Abs. 1 verwirklicht hat. Die Regelbeispiele des 370 Abs. 3 sind (anders als Qualifikationstatbestände) keine eigenständigen Delikte, sondern reine Strafzumessungsregeln zum Delikt des § 370 Abs. 1.[867] Hinsichtlich des benannten Regelbeispiels bleibt dann nur festzustellen, dass dieses nicht erfüllt – da eben nur versucht – ist und zu prüfen, ob aufgrund des Versuchs ein unbenannter Strafschärfungsgrund in Betracht kommt.[868] Dazu müssten jedoch weitere strafschärfende Umstände hinzutreten, da die benannten Regelbeispiele den Versuch gerade nicht genügen lassen, um einen besonders schweren Fall zu indizieren, sondern die Realisierung voraussetzen.[869]
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Ist sowohl das Grunddelikt der Steuerhinterziehung, als auch das Regelbeispiel nach § 370 Abs. 3 nicht vollendet worden, so kommt es nach der Rspr. des BGH für die Strafbarkeit als Versuch eines besonders schweren Falles drauf an, ob der Täter nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Regelbeispiels bereits unmittelbar angesetzt hat (siehe dazu auch § 376 Rn. 29).[870] Die Rspr. behandelt damit das Regelbeispiel in dieser Konstellation wie ein Tatbestandmerkmal und begründet dies damit, dass es einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisiert.[871] Dagegen wird von Stimmen in der Literatur vorgebracht, dass die Gleichstellung von Regelbeispielen mit (Qualifikations-)Tatbeständen gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoße.[872] Zudem ist es widersprüchlich, die Indizwirkung des Versuchs des Regelbeispiels im Falle des vollendeten Grunddelikts aus systematischen Gründen zu verneinen, beim versuchten Grunddelikt aber zu bejahen.[873] Ist der Schuldgehalt des versuchten besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung dadurch, dass es beim Versuch geblieben ist, geringer, wird der Strafrahmen nach der Rspr. des BGH gem. § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verschoben.[874] Folgt man der Rspr. des BGH, stellt sich die Frage, ob die Bejahung des Versuchs eines besonders schweren Falles die verlängerte Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 auslöst.[875]
3. Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB
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Der in § 370 Abs. 1 bzw. Abs. 3 vorgesehene Strafrahmen kann aufgrund des Vorliegens gesetzlich geregelter Milderungsgründe nach § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten zu verschieben sein. Verweisen die Milderungsvorschriften auf