Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
ist.[917] Dagegen hat der BGH allerdings zuletzt immerhin Bedenken geäußert.[918] Die strafschärfende Berücksichtigung eingestellter Taten ist mit der Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht vereinbar. Das gilt immer, wenn das Verfahren, gleich aus welchem Grund, beschränkt oder eingestellt worden ist. Soll der eingestellte Vorwurf strafschärfend berücksichtigt werden, ist das Verfahren wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Ist die Wiederaufnahme nicht mehr möglich, verbietet die Unschuldsvermutung eine Berücksichtigung über den Umweg der Strafzumessung.[919]
359
Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die hinterzogene Steuer nach § 71 kann strafmildernd berücksichtigt werden, sofern der Angeklagte nach den Umständen des Einzelfalles tatsächlich mit seiner Heranziehung rechnen muss und dies eine besondere Härte darstellt.[920] Die tatsächlich erfolgte Zahlung kann als Schadenswiedergutmachung strafmildernd berücksichtigt werden.
360
Kann eine im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 mit Tatherrschaft handelnde Person mangels eigener steuerlicher Erklärungspflichten nur als Gehilfe bestraft werden, soll die Tatherrschaft des Gehilfen – im Rahmen des nach § 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmens – erheblich strafschärfend berücksichtigt werden können.[921]
361
Da es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, greift die Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht ein.[922]
Generalpräventive Erwägungen können nach der Rechtsprechung des BGH nur in engen Grenzen straferschwerend berücksichtigt werden. Die Begründung, „bei der Steuerhinterziehung mit Steuerschäden in einem außerordentlich hohen Bereich müsse deutlich gemacht werden, dass Steuerdelikte keine ‚Kavaliersdelikte‚ seien und es deshalb, um Nachahmungseffekte zu verhindern, unerlässlich sei, der Allgemeinheit zu verdeutlichen, dass die Pflicht, Steuern zu zahlen, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und damit zum Wohle aller unerlässlich sei“, trägt eine Strafschärfung nicht. Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist.[923]
c) Steuerverkürzung auf Zeit
362
Besondere Bedeutung für die Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung hat der eingetretene Steuerschaden. Insoweit ist im Rahmen der Strafzumessung bei einer Steuerverkürzung auf Zeit der Schaden allein im Zinsschaden zu sehen (s. dazu auch Rn. 162).[924] Besteht eine Berichtigungsmöglichkeit, ist der Schaden insoweit nur ein solcher auf Zeit. Auch soweit eine Berichtigung noch nicht erfolgt ist, hat schon die bloße Möglichkeit hierzu als strafmildernder Gesichtspunkt Einfluss auf die Strafzumessung.[925]
d) Kompensationsverbot
363
Im Rahmen der Strafzumessung greift das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 S. 3) nicht, weil insoweit nur die verschuldeten Auswirkungen der Tat entscheidend sind.[926] Folglich sind die vom Kompensationsverbot erfassten steuermindernden Umstände bei der Strafzumessung zugunsten des Täters zu berücksichtigen. Der Umfang ist erforderlichenfalls durch Schätzung zu bestimmen.[927] Wiegen die steuermindernden Tatsachen – einschließlich derjenigen, die dem Kompensationsverbot unterfallen – und die verschwiegenen steuererhöhenden Faktoren sich gegenseitig auf, kann dies gegen das Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes sprechen, der Steuerpflichtige unterliegt dann möglicherweise einem Tatbestandsirrtum.[928]
e) Dolos unvollständige Selbstanzeige
364
Diskutiert wird, ob die vorsätzlich unvollständige Abgabe einer Selbstanzeige als Nachtatverhalten gem. § 46 Abs. 2 StGB strafschärfend berücksichtigt werden kann. Das BayOLG[929] hat dies – in Übereinstimmung mit Stimmen in der Literatur[930] – in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 mit der Begründung befürwortet, der Täter wolle sich durch eine dolose Teilselbstanzeige „die aus der Steuerhinterziehung gezogenen Vorteile jedenfalls teilweise sichern, weil er hoffe, dass die Finanzbehörden von der Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Selbstanzeige ausgehen. Soweit die in den Steuererklärungen enthalten gewesenen Unrichtigkeiten und Unvollständigkeiten mit der Selbstanzeige nicht aufgedeckt werden, wird der dem Fiskus entstandene Schaden somit aufrechterhalten und vertieft.“ Ein solches Verhalten könne, wie bspw. auch das Verheimlichen der Beute, um diese später verwerten zu können, strafschärfend berücksichtigt werden. Mit einem Teilgeständnis, bei dem anerkannt ist, dass es nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf,[931] habe dies nichts zu tun, da letzteres „in aller Regel hinsichtlich des nicht gestandenen Teils der bereits bekannten und angeklagten Straftaten nicht die Voraussetzungen einer Schadensvertiefung erfülle.“[932]
365
Diese Argumentation steht im Widerspruch zu anerkannten strafrechtlichen Grundsätzen. Sie übersieht bereits, dass das bloße Verheimlichen der Beute bei einem bestreitenden Täter keineswegs strafschärfend berücksichtigt werden darf.[933] Auch der eine Teilselbstanzeige abgebende Täter verschweigt nicht etwa (nur) den Verbleib der aus seiner Tat gezogenen Vorteile (die „Beute“), sondern die Tat als solches, was ihm nach der Rspr. des BGH gerade nicht strafschärfend angelastet werden darf. Die Argumentation kann andererseits auch nur in solchen Fällen greifen, in denen der Täter tatsächlich eine Schadensvertiefung herbeiführt, indem er bspw. einen neuen (unzutreffenden) Sachverhalt bzgl. des nicht offenbarten Teils der Steuerhinterziehung vorträgt und den Ermittlungsbehörden die Aufklärung dadurch erschwert. In dem bloßen Unterlassen, einen Teil der begangenen Hinterziehung zu offenbaren ist eine solche Schadensvertiefung nicht zu sehen. Eine strafschärfende Berücksichtigung ist dann nach dem nemo-tenetur-Grundsatz unzulässig.[934]
366
Folge vorsätzlich unvollständiger Angaben im Rahmen der Selbstanzeige ist nach aktueller Rechtslage die Unwirksamkeit der Selbstanzeige (die zur Zeit der zitierten Entscheidung des BayOLG noch nicht drohte) sowie unter Umständen, je nach Einzelfall, auch die unterbleibende strafmildernde Berücksichtigung der (unwirksamen) Selbstanzeige (s. dazu § 371, Rn. 308).[935] Im Rahmen der Strafzumessung kann sich die Unvollständigkeit der Selbstanzeige allenfalls dann zu Lasten des Täters auswirken, wenn er im Zusammenhang mit der Selbstanzeige bewusst neue unrichtige Tatsachen vorträgt, um die bereits begangene Tat zu verdecken und damit eine Schadensvertiefung herbeiführt.[936]
5. Sonstige Folgen der Verfolgung wegen Steuerhinterziehung
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Neben der Strafe können den Täter oder Teilnehmer – sowie unter Umständen auch an der Tat nicht beteiligte Dritte – weitere strafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder berufsrechtliche Folgen treffen. Praktisch bedeutsam sind vor allem berufsrechtliche Folgen aus einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sowie Folgen aus der möglichen Verneinung der Zuverlässigkeit im Sinne verschiedener Gesetze, wie der GewO oder dem WaffenG infolge der Verurteilung. Zudem drohen fast immer steuerliche Konsequenzen sowie häufig strafprozessuale Maßnahmen.
a)