Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
rel="nofollow" href="#ulink_dc6413b1-dd28-52f7-8c47-55258e6a9217">§ 375 AO regelt spezielle Nebenfolgen für steuerstrafrechtliche Taten: die Aberkennung der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit nach § 375 Abs. 1 sowie die Einziehung nach § 375 Abs. 2 (s. dazu Kommentierung zu § 375). § 396 Abs. 2 erlaubt daneben die Verhängung anderer Nebenfolgen des allgemeinen Strafrechts, für die die AO keine eigenen Strafvorschriften enthält. Verschiedene strafrechtlich vorgesehene Nebenfolgen, wie die Verhängung eines Fahrverbotes und Maßnahmen der Besserung und Sicherung (§§ 61–72 StGB), kommen bei der Steuerhinterziehung nicht oder allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, so dass darauf hier nicht eingegangen wird.
aa) Einziehung gem. §§ 73 ff. StGB
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[937]Die Einziehungsvorschriften sind durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017[938] mit Wirkung zum 1.7.2017 grundlegend geändert worden. Nach Rechtsprechung des BGH steht der Anwendung des neuen Einziehungsrechts auf frühere Taten gem. § 316h EGStGB weder das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG,[939] noch das des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK[940] entgegen, da die Einziehungsentscheidung keinen Strafcharakter habe.[941] Anders ist dies zu beurteilen, soweit hinsichtlich der Taten, wegen der die Einziehung erfolgen soll, bereits bei Inkrafttreten des neuen Einziehungsrechts Verfolgungsverjährung eingetreten war.[942] Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für eine solche Tat etwas erlangt, so ordnet das Gericht die Einziehung an (§ 73 Abs. 1 S. 1 StGB). Die Anordnung hat nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 S. 1 StGB zu erfolgen und steht somit nicht im Ermessen des Gerichts. Voraussetzung der Einziehung ist, dass durch die Tat beim Täter tatsächlich ein Vermögensvorteil eingetreten ist.[943] Bei der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB[944] sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart.[945] Als nicht gegenständliche Vorteile verbrauchen sich ersparte Aufwendungen bereits mit ihrer Inanspruchnahme und unterliegen von vornherein nur der Wertersatzeinziehung gem. § 73c S. 1 StGB in entsprechender Höhe. Voraussetzung für die Ersparnis von Aufwendungen ist das Vorliegen einer vollendeten Steuerhinterziehung. Die teilweise vertretene Ansicht, wonach bei Veranlagungssteuern die Tatvollendung nicht Voraussetzung für die Erlangung eines Vorteils sei, da der Täter bereits mit Versuchsbeginn einen der Einziehung unterliegenden Vermögensvorteil in Form einer Steuerersparnis erlange,[946] ist unzutreffend. Die Vertreter dieser Ansicht stellen darauf ab, dass die Steuer bereits zu diesem Zeitpunkt – und nicht erst mit Festsetzung – entstanden sei. Entscheidend ist aber nicht die Entstehung der Steuer, sondern die Erlangung eines Vermögensvorteils. Einen solchen erlangt der Steuerpflichtige erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuer bei ordnungsgemäßer Veranlagung fällig geworden wäre.[947] Vor diesem Zeitpunkt muss er keine Zahlung leisten und erspart folglich auch keine Aufwendungen i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB. Die Fälligkeit tritt bei der ESt und der KSt gem. § 36 Abs. 4 S. 1 Alt. 2 EStG (i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 KStG) grds. einen Monat nach Festsetzung der Steuer ein, im Fall des Unterlassens folglich einen Monat nach dem Zeitpunkt, zu dem bei fristgemäßer Abgabe der Steuererklärung mit einer Veranlagung zu rechnen gewesen wäre.[948] Bei der Hinterziehung von Tabaksteuer als Verbrauch- bzw. Warensteuer ergibt sich ein unmittelbar messbarer Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt, z.B. weil er diese günstiger vermarkten kann.[949] Die Einziehung ersparter Aufwendungen für nicht abgeführte Verbrauchsteuern kommt nicht in Betracht, wenn die entsprechende Ware – insbes. nach den steuerlichen Sicherungsvorschriften gem. §§ 215 ff. AO – sichergestellt worden ist.[950]
Bei Hinterziehung von Umsatzsteuer durch die Ausstellung von Scheinrechnungen mit gesondertem Steuerausweis erlangt der Aussteller der Rechnung nicht die nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldete und nicht angemeldete Steuer, da sich diese nicht als Vermögensvorteil in seinem Vermögen niederschlägt.[951] Ein ggf. abzuschöpfender Vermögensvorteil tritt (abgesehen von Vergütungen, für die Rechnungsausstellung) nur im Vermögen des Rechnungsempfängers ein, der auf der Grundlage der Scheinrechnung unberechtigt Vorsteuer geltend macht.
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Nach § 73d StGB ist zur Bestimmung des Wertes des Erlangten in zwei Schritten vorzugehen. In einem ersten Schritt ist das Erlangte gem. §§ 73 bis 73c StGB festzustellen, wobei § 73e StGB zum Ausschluss der Einziehung zu berücksichtigen ist.[952] Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen können im zweiten Schritt grds. nur insoweit abgezogen werden, als sie zwar im Zusammenhang mit der Tat entstanden sind[953] aber nicht für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden sind.[954] Die Ausnahme, von diesem Abzugsverbot bilden Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat. Die Einziehung erfolgt damit, wie schon nach der früheren Gesetzeslage nach dem Bruttoprinzip. Erwirbt beispielsw. der Täter Scheinrechnungen, um damit Vorsteuer geltend zu machen und Betriebsausgaben zu fingieren, so kann er demnach die für den Erwerb zu zahlende „Provision“ nicht vom Einziehungsbetrag (d.h. von der durch Verwendung der Rechnungen erlangten Vorsteuer bzw. den ersparten Steuern und ggf. Sozialabgaben) abziehen. Für sog. Verschiebungsfälle, in denen der Steuerpflichtige im Umfang der durch Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen Anschaffungen tätigt und diese später im Wert steigen, hat der BGH[955] entschieden, dass diese Vermögenswerte keine Surrogate des Erlangten darstellen.
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Nach- und Rückforderungsansprüche des Fiskus stehen der Anordnung der Einziehung nach aktuellem Einziehungsrecht[956] nicht mehr entgegen. Die Einziehung ist vielmehr gem. § 73e Abs. 1 StGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Steueranspruch erloschen ist. Der Steueranspruch erlischt gem. § 47 u.a. durch Zahlung (§ 47 Alt. 1)[957] und Erlass (§ 47 Alt. 3). Gem. § 47 Alt. 4 erlöschen Steueransprüche – anders als zivilrechtliche Ansprüche – auch durch (Festsetzungs- und Zahlungs-)Verjährung, mit der Folge, dass verjährte Steueransprüche nicht mehr eingezogen werden können.[958] In der Lit. umstritten ist, ob nach Abschluss einer tatsächlichen Verständigung eine Einziehung im Strafverfahren über den sich aus der Verständigung ergebenden Betrag hinaus möglich ist.[959] Wird eine wirksame tatsächliche Verständigung abgeschlossen, so bindet sie den Steuerpflichtigen und die Finanzbehörde ab der Unterzeichnung.[960] Eventuell bestehende weitergehende Ansprüche können nicht mehr geltend gemacht werden.[961] Sinn und Zweck des § 73e Abs. 1 StGB sprechen dafür, dass eine Einziehung auf der Grundlage einer abweichenden Berechnung des Hinterziehungsbetrages im Strafverfahren nicht in Betracht kommt. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Durch den Wortlaut (‚erloschen ist‚) stellt die Vorschrift klar, dass der Betroffene nicht nur dadurch befreit wird, dass er die geschuldete Leistung bewirkt (§ 362 Absatz 1 BGB). Vielmehr befreit ihn auch ein (Teil-)Erlass nach § 397 Absatz 1 BGB. Die Regelung ist mithin mit Blick auf den Grundsatz der Privatautonomie ‚vergleichsfreundlich‚ ausgestaltet.“[962] Auch wenn die Steuerfestsetzung nicht dem Grundsatz der Privatautonomie, sondern der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unterliegt, ist kein Grund ersichtlich, warum in dem Umfang, in dem der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung zulässig und für die Parteien bindend ist,[963] das einvernehmlich erzielte und steuerlich bindende Ergebnis nicht auch für die Einziehung anzuerkennen sein sollte.[964] Für die Gegenauffassung spricht, dass ein über den Betrag der Verständigung hinaus gehender Steuerbetrag nach der Rspr. des BFH nicht erlischt, sondern ledig nicht mehr geltend gemacht werden kann.[965] Mit Zahlung des Betrages aus der tatsächlichen Verständigung erlischt der Steueranspruch aber vollständig,[966] so dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt keine Einziehung eines überschießenden Betrages mehr in Betracht kommt.
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