Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
sehen die § 27 Abs. 2 StGB für den Gehilfen[876] und § 28 Abs. 1 StGB beim Fehlen besonderer persönlicher Merkmale vor. Nach geänderter Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei der in den Unterlassensvarianten des § 370 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 für die Haupttat vorausgesetzten steuerlichen Erklärungspflicht um ein solches besonderes persönliches Merkmal.[877] Als Folge kommt für den Gehilfen, dem in einem Fall des für den Haupttäter strafbaren Unterlassens der Abgabe einer Steuererklärung selbst keine steuerliche Erklärungspflicht obliegt, eine doppelte Strafrahmenverschiebung in Betracht, einerseits nach § 49 Abs. 1 i.V.m. § 27 StGB, andererseits nach § 28 Abs. 1 StGB[878] (siehe dazu auch Rn. 24).
§ 30 Abs. 1 StGB kommt beim Versuch der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung nicht in Betracht, da insoweit kein Verbrechenstatbestand existiert. § 35 Abs. 2 StGB für den Irrtum über das Vorliegen eines entschuldigenden Notstands spielt praktisch keine Rolle, da eine Notstandssituation, die die Begehung einer Steuerhinterziehung entschuldigen würde, kaum vorstellbar ist. Für fakultative Strafrahmenverschiebungen verweisen folgende Vorschriften des allgemeinen Teils des StGB auf den § 49 Abs. 1 StGB: § 13 Abs. 2 StGB (Begehen durch Unterlassen), § 17 StGB (Verbotsirrtum), § 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit), § 23 Abs. 2 StGB (Versuch), § 35 Abs. 1 S. 2 StGB (hinzunehmender Notstand), § 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich/ Schadenswiedergutmachung).
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Die Anwendbarkeit der für den Täter-Opfer-Ausgleich in § 46a Nr. 1 StGB vorgesehenen Strafrahmenverschiebung wird für die Steuerhinterziehung verneint, weil der Täter-Opfer-Ausgleich in erster Linie der Wiedergutmachung immaterieller Schäden dient und einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraussetzt. Der Anwendungsbereich wird deshalb auf Straftaten mit individuellen Opfern beschränkt. Da Schutzzweck des § 370 die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, die Steuerhinterziehung somit ein Delikt gegenüber der Allgemeinheit ist, sei der in der Vorschrift vorgesehene umfassende Ausgleich mit einem individuellen Opfer nicht möglich.[879] Hingegen wird die Anwendbarkeit der Regelung des § 46a Nr. 2 StGB (Schadensausgleich) in aktueller Rspr. grundsätzlich, wenn auch nur in „besonders gelagerten Ausnahmefällen“ bejaht.[880] Diese Regelung diene dem materiellen Ausgleich des durch die Tat angerichteten Schadens und sei damit auch auf Delikte zum Nachteil der Allgemeinheit anwendbar.[881] Insoweit genüge – entspr. der ständigen Rspr. des BGH zu § 46 Nr. 2 StGB in anderen Fällen – der Schadensausgleich durch die Nachzahlung der hinterzogenen Steuer nicht, sondern müsse der Täter einen darüber hinaus gehenden Beitrag leisten.[882] Das Verhalten des Täters müsse Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein. Insoweit sei erforderlich, dass der Täter das Opfer ganz oder überwiegend entschädigt und durch seine persönlichen Leistungen oder den Verzicht die materielle Entschädigung erst ermöglicht hat.[883] Zur strafmildernden Wirkung i.S.v. § 46 StGB einer missglückten Selbstanzeige siehe § 371 Rn. 307 und § 369 Rn. 104.
4. Strafmaßbestimmung
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Innerhalb des anwendbaren Rahmens richtet sich die Strafzumessung nach den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. Diese sind in § 46 StGB geregelt. Eine „Mathematisierung der Strafzumessung“, wie sie bei Anwendung sog. Strafmaßtabellen zu befürchten ist, lehnt der BGH ab (siehe dazu § 369 Rn. 109).[884] Zur Bestimmung des Strafmaßes sind straferhöhende und strafmildernde Umstände im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (§ 46 Abs. 2 S. 1 StGB). § 46 Abs. 2 S. 2 StGB zählt als solche Abwägungskriterien beispielhaft auf:
– | Die Beweggründe und Ziele des Täters; |
– | die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille; |
– | das Maß der Pflichtwidrigkeit; |
– | die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat; |
– | das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse; |
– | sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wieder gut zu machen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. |
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In einer Grundsatzentscheidung zur Strafzumessung hat der BGH folgende Zumessungskriterien hervorgehoben:[885]
– | Das Verhältnis zwischen verkürzten und gem. Erklärung gezahlten Steuern; |
– | ob der Täter das Finanzamt quasi als Bank betrachtet hat; |
– | ob er andere Personen verstrickt hat; |
– | ob er systematisch Scheingeschäfte getätigt hat; |
– | ob er die Buchführung manipuliert hat; |
– | ob er gezielt Domizilgesellschaften eingeschaltet hat. |
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Auch die Lebensleistung des Täters wird von der Rspr. teilweise als Strafzumessungsgesichtspunkt angeführt.[886] Dies ist jedoch gefährlich und abzulehnen. Abgesehen davon, dass es nicht darum gehen kann, Leben und Persönlichkeit des Täters im Allgemeinen abzuurteilen, dürfte es auch unmöglich sein, die wirkliche Lebensleistung eines Menschen im Rahmen einer gerichtlichen Verhandlung festzustellen und zu beurteilen. Sie lässt sich bspw. nicht in Berühmtheit oder beruflichem Erfolg messen. Zu fordern ist ein, wenn auch weit gefasster Bezug der Strafzumessungsaspekte zu dem dem Täter strafrechtlich vorgeworfenen Verhalten. Inzwischen weist der BGH darauf hin, dass die Berücksichtigung der „Lebensleistung“ des Angeklagten als strafmildernde Erwägung rechtlichen Bedenken begegnet. Es handele sich um eine ausfüllungsbedürftige „Leerformel“, die sich schwer definieren lasse. Grundlage für die Strafe sei vorrangig die Schuld des Täters und nicht dessen Lebensführung oder Lebensleistung. Die beruflichen Erfolge des Angeklagten und der damit verbundene Vermögenszuwachs ließen etwa vom Angeklagten begangene Steuerhinterziehungen von mehreren Millionen Euro jedenfalls nicht ohne weiteres in einem günstigeren Licht erscheinen.[887] Generalpräventive Erwägungen können nach der Rechtsprechung des BGH nur in engen Grenzen straferschwerend berücksichtigt werden, ein (außerordentlich) hoher Steuerschaden allein genügt insoweit nicht (siehe dazu auch Rn. 361).[888]
a) Strafmildernde Umstände
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Strafmildernd können bspw. folgende Umstände bzgl. Tat und Täter wirken:
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