Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
–
380
§ 70 StGB bezieht sich auf alle Berufe und Gewerbe, auch auf solche mit einer Ehrengerichtsbarkeit, wie Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte.[990] Für Beamte und Notare wird die Vorschrift allerdings durch § 45 StGB bzw. § 49 BNotO verdrängt.[991] Ein Missbrauch des Berufs oder Gewerbes wird angenommen, wenn der Täter die ihm dadurch gegebenen Möglichkeiten oder Befugnisse bewusst planmäßig, d.h. vorsätzlich zu Straftaten ausnutzt, die den Aufgaben des Berufs oder Gewerbes zuwider laufen.[992] Dazu genügt ein bloßer äußerer Zusammenhang nicht. Die strafbare Handlung muss vielmehr Ausfluss der jeweiligen Berufs- oder Gewerbetätigkeit sein,[993] bzw. in einem berufstypischen Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen.[994]
381
Die grobe Verletzung der mit dem Gewerbe oder Beruf verbundenen Pflichten erfasst neben berufstypischen auch allgemeine Pflichten, die aus der beruflichen Tätigkeit erwachsen.[995] Die Pflicht Steuern abzuführen ist keine berufstypische Pflicht i.S.d. § 70 StGB, da sie jedermann trifft.[996] Das gilt grundsätzlich auch für die USt und Gewerbesteuer, von denen alle Unternehmer bzw. Gewerbetreibenden betroffen sind.[997] Der BGH hat dies allerdings für Tätigkeiten eingeschränkt, die auf die systematische Hinterziehung von betrieblichen Steuern angelegt sind. Danach kann
„die erforderliche berufstypische Verbindung bei der Hinterziehung betrieblicher Steuern insb. dann gegeben sein, wenn diese einhergeht mit schwerwiegenden Verletzungen der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Zudem stellt erst die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit den Anknüpfungspunkt für die steuerlichen Pflichten als Unternehmer nach§ 2 UStG oder als Arbeitgeber nach §§ 38 ff. EStG dar. Jedenfalls in solchen Fällen, in denen (. . .) die unternehmerische Tätigkeit auf die systematische Hinterziehung von Lohn- und Umsatzsteuern angelegt ist und die Steuerhinterziehung in einem großen Umfang über einen längeren Zeitraum zum betrieblichen Kalkulationsfaktor wird, liegt eine bewußte mißbräuchliche Ausnutzung der Möglichkeiten vor, die gerade durch den Beruf oder das Gewerbe eröffnet werden.“[998]
382
Bei einem Steuerberater gilt die Verletzung steuerlicher Pflichten als innerberuflich. Dem ist zuzustimmen, soweit der Steuerberater Mandanten bei der Begehung von Steuerhinterziehungen berät oder unterstützt und damit Beihilfe leistet oder sich als Mittäter strafbar macht.[999] Hingegen kann, wenn der Steuerberater lediglich eigene steuerliche Pflichten verletzt, nichts Anderes gelten als für andere Berufstätige bzw. Gewerbetreibende.[1000] Nach der berufsgerichtlichen Rspr. kann ein solcher Verstoß allerdings zum Berufsausschluss nach § 90 Abs. 1 Nr. 5 StBerG führen (s. auch Rn. 416 f.). Gleiches gilt für die weiteren in §§ 3 und 4 StBerG genannten Personen, die Hilfe in Steuersachen leisten.
383
Ein Berufsverbot kann nur verhängt werden, wenn der Täter wegen der Straftat verurteilt wird oder wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt wird. Zudem muss eine Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lassen, dass der Täter bei weiterer Ausübung seines Berufs (Berufszweigs) oder Gewerbes (Gewerbezweigs) erhebliche weitere rechtswidrige Taten (Steuerhinterziehungen) begehen wird. Wegen der gravierenden Folgen des Berufsverbots und dem damit verbundenen Eingriff in Art. 12 GG ist davon nur unter hohen Voraussetzungen auszugehen, was sowohl die Gefahr weiterer Straftaten betrifft, als auch deren Erheblichkeit.[1001] Zumindest bei erstmaliger Verurteilung dürfte regelmäßig davon auszugehen sein, dass diese für sich in ausreichendem Maße abschreckend wirkt, so dass daneben kein Berufsverbot zu verhängen ist. Ein zulässiges Verteidigungsverhalten, wie insb. das Bestreiten der Tat, darf für die Gefahrprognose nicht zulasten des Angeklagten gewertet werden.[1002]
b) Steuerrechtliche Nebenfolgen
384
Als steuerliche Folgen einer Steuerhinterziehung sieht das Gesetz die Haftung für die hinterzogene Steuer nach § 71 vor, eine für die verkürzte Steuer auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 sowie die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach §§ 235, 238. Zudem greifen Abzugsverbote, einerseits nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG für Geldstrafen und Geldbußen, sowie andererseits nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG für im Zusammenhang mit rechtswidrigen Zuwendungen (insb. Schmiergeldzahlungen) stehende Aufwendungen. Solche Ausgaben dürfen nicht als Betriebsausgaben, bzw. über § 9 Abs. 5 EStG nicht als Werbungskosten, geltend gemacht werden.
aa) Haftung gem. § 71
385
Nach § 71 haftet der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile, sofern er nicht schon als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann.[1003] Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71, also insb. einer Steuerhinterziehung, hat die Finanzbehörde aufgrund der Eigenständigkeit des Besteuerungs- und Steuerstrafverfahrens gem. § 393 Abs. 1 S. 1 eigenständig nach den Regeln der AO, jedoch unter Berücksichtigung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes festzustellen.[1004] Die Haftungsinanspruchnahme setzt daher keine strafgerichtliche Verurteilung voraus.[1005] Andererseits hat ein strafgerichtliches Urteil keine Bindungswirkung für die Frage der Haftungsinanspruchnahme nach § 71.[1006] Die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils dürfen jedoch – und werden regelmäßig – im steuerlichen Verfahren verwertet werden.[1007] Wurde das Strafverfahren gem. § 153a StPO eingestellt, ist das FG wegen der Unschuldsvermutung daran gehindert, allein aufgrund der Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung und der erfolgten Verfahrenseinstellung davon auszugehen, dem Beschuldigten sei die vorgeworfene Straftat nachgewiesen worden.[1008]
386
Bei der Inanspruchnahme von Gehilfen richten sich Grund und Umfang der Haftung allein nach der Haupttat. Insoweit trägt das Finanzamt die Feststellungslast dafür, dass Steuern in einem bestimmten Umfang vorsätzlich hinterzogen worden sind.[1009] Wirken bspw. Bankmitarbeiter an anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland mit, kommt eine Haftungsinanspruchnahme nach § 71 nur in Betracht, wenn und soweit festgestellt ist, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er diese Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat.[1010] Den Gehilfen betreffende besondere Umstände wie sein Grad des Verschuldens, seine finanzielle Situation o.ä. werden im Rahmen des dem Finanzamt grundsätzlich nach § 191 Abs. 1 S. 1 eingeräumten Entschließungsermessens nicht berücksichtigt.[1011]
bb) Verlust umsatzsteuerlicher Rechte
387
Nach der Rspr. des EuGH[1012] und dem folgend des BFH[1013] kann sich der Steuerpflichtige auf die ihm nach umsatzsteuerlichen Vorschriften zustehenden Rechte nicht in missbräuchlicher Weise berufen. Der EuGH verlangt, dass die nationalen Behörden und Gerichte die europarechtlich – d.h. seit dem 1.1.2007 in der MwStSystRL – vorgesehenen Rechte versagen, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob es sich um Rechte auf Vorsteuerabzug, auf Befreiung von oder auf Erstattung der auf eine innergemeinschaftliche Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer handelt.[1014] So entfällt die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen trotz Vorliegens der objektiven Merkmale des § 6a UStG, wenn der Unternehmer weiß oder wissen muss, dass er sich an einem Umsatzsteuerbetrug des ausländischen Erwerbersbeteiligt.[1015]