Welt der Schwerter. E. S. Schmidt
wie die Fährte eines Karindenbocks.
Er nahm die Blätter an sich. »Ich werde die Briefe heute Abend lesen und Euch morgen wieder zukommen lassen.«
»Das ist nicht nötig, Graf Thul. Das sind Kopien für Euch.«
»Sehr aufmerksam, danke.« Vermutlich waren die Schreiben um Passagen gekürzt, von denen das Königshaus in den Augen der Priorin keine Kenntnis zu haben brauchte. Er erhob sich und die Priorin entließ ihn mit einem Nicken.
Die scheue Dienerin hatte vor der Tür gewartet und brachte ihn nun zu den Gästequartieren, die sich im östlichen Flügel des Gebäudes befanden. Auch hier waren die Zimmer von einem offenen Gang aus erreichbar, der zu einer freundlicheren Jahreszeit wohl die Wärme der Sonne einfing. Auf diesem umlaufenden Söller stand Helim, der Kutscher, und ließ Rauchwolken aus seiner Pfeife steigen. Sie füllten die Luft mit würzigem Duft.
Cor blieb neben ihm stehen und betrachtete die Landschaft, die der Abend in ein verwaschenes Blau tauchte.
»Schlechte Nachrichten?«, frage Helim.
»Unruhe an der Ostgrenze. Nichts, was uns Sorgen machen müsste.« Noch konnte der Winter jederzeit zurückkehren. Krolan würde nicht so unvernünftig sein, seine Truppen jetzt auszusenden.
Helim nahm die Pfeife aus dem Mund und hob die Nase in den Wind. »Es riecht nicht mehr nach Schnee«, sagte er.
Er mochte recht haben. Es war wärmer geworden. Die Mittagssonne hatte bereits Kraft, und selbst hier, in den Bergen, taute es schon an den sonnigen Plätzen.
»Sie haben uns Abendbrot gebracht«, fuhr Helim fort. »Gut und reichlich, aber Dendar war dennoch enttäuscht.«
Coridan lächelte. »Sie werden uns nicht mit den Stiftsdamen speisen lassen.«
»Nicht einmal Euch?«
»Die meisten von ihnen sind bereits lange versprochen, Helim, und ich bin keine gute Partie.« Das war nicht völlig richtig. Es hatte durchaus die eine oder andere Anfrage gegeben, niederer Adel, der gehofft hatte, durch eine Ehe mit dem königlichen Bastard die Gunst oder zumindest die Aufmerksamkeit des Königs zu erringen. Doch unter den Angeboten war keines gewesen, das Ruothgar ernsthaft in Betracht gezogen hätte, und Coridan hatte es nicht eilig mit dem Heiraten.
»Ihr seid immerhin ein Graf.«
Coridan lachte auf. »Herr einer kalten Burg zwischen kahlen Felsen. Mein Vater hat mir die Thulmark geschenkt, weil niemand sie haben wollte.«
Helim schob sich das Mundstück der Pfeife wieder zwischen die Lippen. »Es kann dort sehr schön sein«, sagte er. »Wenn die Hochweiden in der Sonne liegen und der Schnee auf den Gipfeln leuchtet.«
Coridan drehte sich zu ihm und betrachtete den alten Mann. »Du stammst aus der Thulmark?«
»Ich bin dort geboren und aufgewachsen.«
Das hatte er nicht gewusst. »Ein karges Land, heißt es, das harte Menschen hervorbringt.«
»So sagt man.« Der Kutscher nickte bedächtig. »Seid Ihr schon dort gewesen?«
»Einmal.« Cor wandte sich wieder der Landschaft zu. Nach und nach verbarg die Dunkelheit die Felder und das Dorf, das am Fuße der Berge lag. »Die Menschen sind tatsächlich hart. Wie du.«
»Habt Ihr mich deshalb für diese Reise ausgewählt?« Helim schmunzelte. »Ich dachte, der Grund sei, dass ein Graubart wie ich der Akh’Eldash nicht mehr verfallen kann.«
»Ich habe dich ausgesucht, weil du kein Duckmäuser bist. Die meisten Bediensteten im Schloss fürchten meinen Vater – und sie fürchten mich, weil ich ihm ähnlich bin. Das kann ich nicht gebrauchen.«
Helim kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife herum. »Ihr täuscht Euch. Die Menschen sehen keineswegs Euren Vater in Euch. Ruothgar ist maßlos und unberechenbar, Ihr hingegen seid in allem diszipliniert und kaltblütig. Ich habe nie einen beherrschteren Menschen kennengelernt als Euch.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete den Kopf, in dem das Feuer erloschen war. »Das ist es, was sie an Euch fürchten.«
Cor sah den Kutscher zweifelnd an. »Warum sollten sie meine Beherrschtheit fürchten?«
»Sie macht Euch unbarmherzig.«
»Unsinn.«
Helim klopfte den Tabak an der Balustrade aus. Dann hob er den Kopf und sah Cor gerade ins Gesicht. »Wie kann ein Mann barmherzig sein, der nicht einmal barmherzig ist gegen sich selbst?«
***
Am nächsten Tag bereitete Cor sich gewissenhaft auf das Treffen mit der Akh’Eldash vor. Er wusch und rasierte sich und tauschte die robuste Reisekleidung gegen etwas Angemesseneres. Lieber allerdings hätte er weiterhin Leder und Eisen getragen.
Er war sonst keineswegs unsicher in der Gegenwart von Frauen, hatte durchaus schon von den Wonnen gekostet, die sie einem Mann zu schenken vermochten. Aber dies war die Akh’Eldash, und ihre geheimnisvolle Macht über die Männer beunruhigte ihn. Nicht mehr Herr über seine Entscheidungen zu sein, dieser Gedanke behagte ihm nicht. Und was anderes bedeutete es, sich zu verlieben?
Er klopfte und wartete, bis die Zofe öffnete. Dann trat er in einen Raum, dessen Einrichtung Bequemlichkeit und Schönheit miteinander verband. Gepolsterte Sitzmöbel in sanften Farben, Tische mit geschwungenen Beinen, ein Schrank mit Intarsien, wie sie typisch für die Riefenau waren. Er würde der Akh’Eldash verdeutlichen müssen, dass die Reisetage weniger angenehm verlaufen würden.
Die Akh’Eldash, wieder verschleiert, erhob sich hinter einem Schreibtisch. »Ich danke für Euren Besuch, Erlaucht.« Noch immer klang sie kühl, sogar noch kühler als am Vortag. »Bitte. Tretet näher.« Sie wies auf einen Stuhl vor dem Tisch.
Er gehorchte, setzte sich jedoch nicht. »Der Kronprinz sendet Euch seine Verehrung. Er hat mir aufgetragen, Euch dies hier zu übergeben.« Er stellte das Holzkästchen auf den Tisch, das Siluren ihm mitgegeben hatte. Ihr Zögern verriet ihre Verwunderung. Sie hob es hoch und betrachtete die Intarsien.
»Es gehörte seiner Mutter«, erklärte er, »der siebenundvierzigsten Akh’Eldash, Mirana von Etharold. Er sendet es Euch zum Zeichen seiner aufrichtigen Zuneigung. Ihr werdet auf Hohenvarkas mit Freude erwartet.«
Es war noch immer befremdlich, mit einem weißen Schleier zu reden. Andererseits schürte das zarte Gewebe seine Neugier. Welches Gesicht mochte sich darunter verbergen? Ob es so zierlich war, wie ihre Hände vermuten ließen? Die Akh’Eldash hatte grazile Finger mit perfekt geformten Nägeln. Damit öffnete sie das Kästchen und betrachtete das Medaillon.
Coridan erinnerte sich an die Worte seines Bruders und räusperte sich. »Prinz Siluren trug mir auf, Euch zu versichern, dass er Euer Lager nicht teilen wird, bevor Ihr ihm dieses Medaillon zukommen lasst. Damit könnt Ihr ihm Eure Bereitschaft zeigen, ihn zu empfangen.«
Die Bewegung des Schleiers verriet, dass sie den Kopf hob. »Das ist sehr rücksichtsvoll«, sagte sie und schloss die Schatulle energisch, »aber ich bin bereit, meine Pflicht zu erfüllen.«
Anders als ihrer beider Vater würde es Siluren sicher nicht genügen, dass seine Frau »ihre Pflicht erfüllte«. Aber Gefühlsangelegenheiten waren nicht Coridans Stärke. Siluren würde sicher bessere Worte finden, und so sagte er zur Erklärung nur: »Wir hatten mit einer jüngeren Akh’Eldash gerechnet.«
»Ich bin nicht verantwortlich für die Wahl der Erdmutter.« Sie setzte das Kästchen mit einem dumpfen Ton auf den Tisch zurück. »Wie mein Gemahl muss auch ich auf ihre Weisheit vertrauen.«
Hatte er sie etwa beleidigt?
Wie sollte ein Mann jemals eine Frau verstehen? Coridans Umgang mit ihnen hatte sich bisher auf willige Mägde und kurze Liebschaften mit Bürgerlichen beschränkt. Von den kichernden jungen Damen des Adels hatte er sich ferngehalten, und auch sie hatten zumeist keinen Wert auf Umgang mit dem Bastard des Königs gelegt. Die Akh’Eldash sah sicher nichts anderes in ihm, und vermutlich fühlte sie sich schon allein dadurch beleidigt, dass er sie statt des