Welt der Schwerter. E. S. Schmidt
Blinthe zupfte noch einmal an dem Schleier herum und maß ihre Herrin mit einem letzten, kritischen Blick, ehe sie die Tür öffnete. Mit gemessenen Schritten betrat Lynn den Audienzsaal, gefolgt von der Priorin.
Lynn wusste nicht genau, was sie erwartet hatte. Vielleicht einen unreifen Gecken, einen blasierten Stutzer. Doch der Mann, der sich ihr zuwandte, war keines von beidem. Das Wort, das ihr bei seinem Anblick in den Sinn kam, war »Krieger«.
Der Staub der Straße lag auf seiner Kleidung aus Leder und Eisen. Sein Haar war regenfeucht und schwarz wie Rabenfedern, eine einzelne Strähne fiel ihm verwegen in die Stirn. Sein Kinn war seit Tagen nicht rasiert worden. Seine Rechte hielt den Helm, die Linke ruhte locker auf dem Griff seines Schwertes – keine Drohung, mehr ein Zeichen langjähriger Gewöhnung. Mit klirrenden Schritten trat er auf sie zu. Jetzt, da er ihr näher kam, nahm sie seinen herben Geruch nach Ulphan und Holzrauch wahr.
Lynn wusste, dass sie in der aufbauschenden Wolke ihres Rockes versinken sollte, aber aus irgendeinem Grunde konnte sie sich nicht bewegen. Stattdessen sah sie mit Erstaunen, wie der Königssohn vor ihr das Knie beugte und den Kopf senkte. »Gesalbte«, sagte er. »Prinz Siluren schickt mich, Euch nach Hohenvarkas zu geleiten.«
»Bitte, Erlaucht.« Die Priorin klang entsetzt. »Ihr solltet nicht knien.«
Er erhob sich geschmeidig, doch ohne Hast. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz. Bei der Göttin, ob dieser Blick den Lorun-Uhn zu durchdringen vermochte?
»Es ist keine Schande, vor der Akh’Eldash zu knien.«
»So wie die Gesalbte ihr Haupt vor der Macht des Königs neigt.« Die Priorin stieß Lynn einen Finger hart in den Rücken, und endlich reagierte Lynn. Sie sank in einen Knicks und wünschte sich ganz weit weg.
Noch nie hatte sie einen Mann wie diesen dunklen Krieger gesehen. Er wirkte hart und unbarmherzig, geradezu gefährlich. Sein Anblick erfüllte sie mit Furcht. Aber gleichzeitig weckte er in ihr den Wunsch, ihn zu berühren. Sie wollte an dieser gemeißelten Kinnlinie entlangstreichen, wollte die Kraft dieser Arme fühlen.
Ein weiterer, verstohlener Stoß der Priorin bedeutete ihr, dass die Verneigung lange genug gedauert hatte. Lynn richtete sich auf und war dankbar für den Schleier, der ihre glühenden Wangen verbarg.
»Ich würde meine Männer gerne einen Tag ausruhen lassen, ehe wir wieder aufbrechen. Ist Euch das genehm?« Er schaute sie an, wurde ihr klar, nicht die Priorin. Es war ihre Zustimmung, die er suchte.
Entsprechend schwieg die Priorin.
»N… natürlich.« Auch das noch, sie stotterte! Lynn reckte die Schultern. Sie war die Akh’Eldash, die Gesalbte der Göttin. Sie sammelte sich kurz, dann sagte sie betont würdevoll: »Lasst Eure Männer ausruhen. Wir brechen übermorgen beim ersten Hahnenschrei auf.«
»Danke. Falls Ihr Fragen habt, stehe ich Euch zur Verfügung.«
»Ich …« Sie hatte viele Fragen, aber im Augenblick kam ihr keine davon in den Sinn. »… werde Euch rufen lassen.«
»Wann immer Ihr wünscht. Gibt es noch etwas, das ich wissen muss?«
Diesmal mischte sich die Priorin ein. »Nur das Eine: Kein Mann außer Prinz Siluren darf den Schleier heben und das Mal der Göttin sehen.«
»Gewiss.« Sein Blick richtete sich kurz auf die Hohe Schwester und kehrte sofort zu Lynn zurück. »Wie groß wird Euer Gefolge sein?«
»Nur meine Zofe.« Sie konnte nicht anders, als seinen knappen, präzisen Fragen ebenso zu antworten.
»Schoßtiere? Ein Trell vielleicht?«
Ein Fellknäuel mit riesigen Augen, winzigen Händchen und buschigem Schwanz – bei der Vorstellung, der Graf müsse ihr einen solchen Ausbund an Niedlichkeit hinterhertragen, lächelte Lynn unter ihrem Schleier. Zum ersten Mal kam ihr in den Sinn, dass dieser Krieger die Aufgabe, eine Frau zu eskortieren, vielleicht für unter seiner Würde hielt. »Nein, keine Tiere, und mein Gepäck wird sich in einem überschaubaren Rahmen halten.«
»Gut.« Eine knappe, geradezu militärische Verbeugung deutete an, dass er bereit war zu gehen. Es war an ihr, darüber zu entscheiden, wurde ihr klar.
»Kommt morgen zur dritten Stunde nach Sonnenaufgang in meine Gemächer. Dann werde ich Fragen haben. Bis dahin seid Ihr entlassen.«
Seine Reverenz war nur ein kurzes Versteifen, wie ein Salut, und drückte mehr Stolz als Unterwürfigkeit aus. Sie sah ihm nach, wie er mit ausgreifenden, klirrenden Schritten den Raum verließ. Erst, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, atmete sie freier.
»Nun?«, fragte sie. »Wie habe ich mich gehalten?«
»Du hast dich gefangen«, sagte die Priorin. »Er ist nur ein Mann – lass dich von ihm nicht verunsichern.«
Nein, das würde sie nicht mehr zulassen. Hatte sie nicht für ihre Freundinnen am Verhandlungstisch gestritten? Hatte sie nicht die Stallknechte und Diener im Tempel zurechtgewiesen, wenn keine der Heiligen Schwestern anwesend war, um es zu tun? Männer prügelten sich in Wirtshäusern und schlugen einander in Schlachten tot. Das waren wahrlich keine Gründe für Überheblichkeit. Sie würde dem königlichen Bastard deutlich machen, wer hier die Überlegene war.
Aber durfte sie das als Gesalbte? Sie war nun die Hohepriesterin der Großen Mutter, die jedes ihrer Kinder gleichermaßen liebte. Sie konnte nicht mehr nur nach ihren eigenen Vorstellungen handeln. Ergebenheit und Sanftmut!
»Ist es angemessen, ihn in meinen Gemächern zu empfangen? Sollte ich Thaja hinzubitten?«
»Es reicht, wenn deine Zofe anwesend ist. Während der Reise wirst du auch nur sie als Ehrendame bei dir haben. Aber falls du dich mit einer deiner Freundinnen sicherer fühlst …«
Lynn hatte sich früher nicht gescheut, einem Mann nur in Begleitung ihrer Zofe gegenüberzutreten, aber damals hatte sie auch noch ganz sie selbst sein dürfen. »Ergebenheit und Sanftmut«, murmelte sie.
Jetzt legte ihr die Priorin beide Hände auf die Schultern. »Verwechsle Sanftmut nicht mit Schwäche«, sagte sie ernst. »Das ist ein Fehler, der den Männern allzu oft unterläuft. Die Göttin selbst ist sanft, und dennoch gibt es in dieser Welt keine größere Macht als die ihre. Lass dir von dem Grafen und seinen Männern keine Angst machen. Du bist die Akh’Eldash, und in wenigen Tagen wirst du seine Königin sein.«
Lynn reckte die Schultern. Sie mochte kein Schwert tragen und keine Schlachten schlagen, aber ihre Würde hatte sie von der Erdmutter selbst erhalten.
»Ich werde Thaja nicht brauchen.«
Was immer sie eben so demütigend schwach hatte erscheinen lassen, es würde kein zweites Mal geschehen. Morgen würde er kein verängstigtes, kleines Mädchen mehr antreffen, sondern eine Königin.
***
Cor hatte darauf bestanden, dass die Männer ihre Ulphane selbst versorgten. Sie waren zwei Tage lang durch Schneeregen geritten, und er wollte sichergehen, dass die Tiere nicht krank wurden. Als er den Stall betrat, fragte Dendar: »Und? Wie ist sie?«
»Verschleiert.« Cor schaute nach Jorand, den die Männer bereits trockengerieben hatten. Er nahm eine Handvoll Getreide aus einem der Beutel und hielt es ihm hin, prüfte mit der anderen das dichte Winterfell. Die Unterwolle war erfreulich trocken geblieben.
»Ist sie anspruchsvoll?«, fragte Dendar. »Zimperlich?«
»Schwer zu sagen. Wir haben kaum ein paar Worte gewechselt.« Es war schwer, einen Menschen einzuschätzen, wenn man seine Augen nicht sah. Dennoch hatte ihre Haltung viel über sie ausgesagt: die Schultern gestrafft, den Kopf erhoben, der ganze Körper in stolzer Spannung. Dabei war sie ihm nicht etwa angestrengt erschienen. Ihre Haltung war Ausdruck einer vitalen Anmut, einer Lebendigkeit und Wachheit, die er selten in einer Frau gesehen hatte.
»Wie alt ist sie?«
»Sie ist jedenfalls kein Kind mehr.« Ganz im Gegenteil – ihr Dekolletee hatte reizvolle, weibliche