Welt der Schwerter. E. S. Schmidt

Welt der Schwerter - E. S. Schmidt


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sondern der Reif, aber beides gehört zum Ornat der Akh’Eldash.«

      Der Lorun-Uhn war angenehm zu tragen. Er drückte nicht auf den No’Ridahl und der Stoff behinderte den Blick weit weniger, als Lynn erwartet hatte. Es sah bloß aus, als sei die Welt von weißem Raureif überzogen.

      Die Miene der Priorin wurde streng. »Es ist meine Pflicht zu betonen, dass kein Mann dieses Mal zu sehen bekommen darf, außer Prinz Siluren. Ich verstehe, dass es eine große Versuchung ist, zu erproben, ob der Anblick des No’Ridahl tatsächlich jeden Mann in Liebe entbrennen lässt, aber dieser Versuchung nachzugeben, hat schon viel Unglück über das Reich gebracht.«

      »Natürlich, Hohe Schwester.« Lynn kannte die Legenden: Neran und Haldia, der Krieg der Brüder und natürlich das Los der unglücklichen Vhellin von Lathem. Sie hatte keinen Bedarf danach, mehrere Männer um ihre Gunst streiten zu lassen. Bis vor wenigen Stunden hatte sie noch geglaubt, sich niemals von einem von ihnen auch nur berühren lassen zu müssen.

      »Muss ich diesen Schleier nun mein Leben lang ununterbrochen tragen?« Eine schreckliche Vorstellung. Ob man sich jemals daran gewöhnte?

      »Nein, natürlich nicht. Nur bis der Prinz den Uhlan vollzogen hat.«

      Lynn spürte ein unangenehmes Kitzeln im Genick. »Was ist der Uhlan?«

      »Ein Ritual, mit dem der Prinz den No’Ridahl zerstört.« Die Priorin zögerte, ehe sie fortfuhr: »Es muss noch in der Nacht geschehen, in der du zum ersten Mal sein Lager teilst. Bevor die Sonne aufgeht, wird der Prinz den No’Ridahl mit einer glühenden Nadel durchstoßen und der No’Ridahl wird sich zurückbilden. An diesem Tage verliert er seine Wirkung, aber die Liebe, die er bis dahin erweckt hat, bleibt bestehen. Von diesem Tag an trägst du den Schleier nur noch bei offiziellen Anlässen, als Zeichen deiner Würde als Akh’Eldash.«

      »Was bewirkt das Mal noch?«, fragte Lynn. »Werde ... ich den Prinzen auch lieben?«

      »Nein.« Die Antwort war knapp und eindeutig. »Das ist auch nicht nötig, denn die Akh’Eldash ist gehorsam und fügt sich dem Willen der Erdmutter und den Befehlen des Ordens.« Die Priorin schaute streng und Lynn senkte den Blick.

      »Andererseits«, die Stimme der Priorin wurde weicher, »ist es nicht ungewöhnlich, dass sich das Herz der Akh’Eldash dem Mann zuwendet, der sie mit seiner Liebe und Fürsorge umgibt. Es heißt, Prinz Siluren sei ein sanfter, liebenswürdiger Mann.«

      Das bedeutete also, wenn sie Glück hatte, würde er sie nicht gleich in der ersten Nacht in sein Bett zwingen und sie unter seinem schwitzenden Körper begraben. Lynn wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, aber sie nahm sich zusammen. »Wann werde ich das Stift verlassen müssen?«

      »Wenn deine Eskorte am gleichen Tag aufgebrochen ist wie der Schwirrer, dann wird sie in fünf oder sechs Tagen hier sein.«

      Einige Tage Galgenfrist also. »Wird der Prinz selbst kommen, um mich zu holen?«

      »Das wäre ungewöhnlich. Meist schickt er den Kanzler oder einen anderen Vertrauten.«

      Einen Vertrauten, natürlich. Am besten einen Greis. Nicht jemanden, der das Geschenk enthüllen und in Begehren entbrennen würde. Nicht jemanden, der zusammen mit der Akh’Eldash auch den Thron des Reiches erobern wollte. Also verlängerte sich ihre Galgenfrist um die Tage, die sie für die Reise nach Hohenvarkas benötigte.

      »Was wird meine Aufgabe an der Seite des Königs sein?« Außer natürlich für Nachkommenschaft zu sorgen. Die letzte Akh’Eldash hatte diese Aufgabe nur unzureichend erfüllt und war schon nach der ersten Geburt im Kindbett gestorben. Da der König nicht noch einmal hatte heiraten wollen, hatte es seit zwanzig Jahren keine Hohepriesterin mehr gegeben. Ihre offiziellen Pflichten waren Lynn daher nur schemenhaft bekannt.

      »Nun, zum Ersten machst du deinen Gatten zum König.«

      Das war Lynn neu. »Ich dachte, das ist sein Geburtsrecht.«

      »Nein. Erst durch die Ehe mit der Akh’Eldash wird der Prinzregent zum König. Ohne deinen Segen ist seine Position anfechtbar.«

      »Und wenn ich einen anderen erwähle?«

      »Das wäre sehr dumm.« Die Priorin hatte wieder ihren strengen Blick. »Kein Mann in seiner Position wird leichtfertig auf den Thron verzichten nur um der Grille eines Mädchens willen. Du kennst die Geschichte unseres Landes und seiner Spaltung.«

      Schwester Galabins Lektionen waren nur schwer zu vergessen, denn ihre Strafe für Schwätzen oder Kichern bestand darin, dass die Delinquentin die verbliebene Zeit der Unterweisung stehend zu verbringen hatte, mit ausgestreckten Armen und einem Buch auf dem Kopf. Außerdem hatte Lynn aufgrund ihrer langen Zeit im Stift diese Lektion bestimmt dreimal gehört: Vor gut dreihundert Jahren hatte ein Bruderkrieg das Land Eldama in die Reiche Galathräa und Oneräa geteilt. Aber Lynn hatte immer angenommen, dieser Krieg sei dem üblichen Machthunger der Männer und der Streitlust zweier Brüder geschuldet gewesen.

      »Eine Akh’Eldash hat dies verursacht? Davon hat Schwester Galabin nie gesprochen.«

      »Weil sie euch die Landesgeschichte lehrt, nicht Liebesgeschichten. Aber ja, die fünfunddreißigste Akh’Eldash, Erina von Brelach, erwählte statt des Thronfolgers Oneron dessen jüngeren Bruder Galather. Nach ihm heißt unser Land Galathräa, und das Land jenseits des Rimbeth nach seinem Bruder Oneräa.«

      Lynn ließ sich das durch den Kopf gehen. »Aber wenn Oneron der Ältere war, bedeutet das dann nicht, die Könige von Oneräa sind die wahre königliche Linie von Galathräa?«

      »Nein.« Der Tonfall der Priorin ließ keinen Widerspruch zu. »Die Akh’Eldash macht den Mann zum König. So ist das Gesetz und der Wille der Erdmutter selbst. Diese Tradition reicht weiter zurück als sogar das Volk der Eldamiten.«

      »Weiter zurück als das Reich Eldama?«

      Jetzt lächelte die Priorin. »Akh’Eldash heißt nichts weiter als ›Königin der Eldash‹.«

      Die Eldash. Das ominöse Volk, von dem nur noch Legenden sprachen. Bereits sie hatten ihre Königinnen durch die Göttin selbst erwählen lassen. Vielleicht sollte sie doch noch einmal Schwester Galabin danach fragen.

      »Zurück zu deinen Pflichten«, sagte die Priorin. »Du wirst die Frau des Königs sein, und dir gebührt der rechte, der hölzerne Teil des Doppelthrones. Deine Treue aber gilt der Göttin. Du wirst dem Orden regelmäßig Bericht erstatten und unsere Weisungen treu ausführen.« Sie entnahm der Kassette ein Buch. »Ich weiß, du hast viele Fragen, und du darfst sie mir alle stellen, doch viele von ihnen wird dir das Buch der Eldash beantworten. Deine erste Aufgabe ist, das Buch abzuschreiben.«

      Lynn nahm den gut drei Finger dicken Band und ließ die Seiten durch ihre Finger gleiten, bis sie irgendwo anhielt. Das Buch war nicht gedruckt, sondern mit einer zierlichen, fließenden Schrift gefüllt.

      »Es sind die Gedanken all der Frauen, die vor dir von der Erdmutter erwählt wurden. Du schreibst es ab und erhältst damit dein eigenes Exemplar des Eldash-Mithral, und du wirst ihm etwas anfügen.«

      Lynn blickte auf. »Was denn?«

      »Es kann ein Wort sein, ein Satz oder viele Seiten. Es kann gleich heute geschehen, am Ende deines Lebens oder mehrfach zu verschiedenen Zeiten. Die Göttin wird es dir aufs Herz legen.«

      »Dieses Buch hat die letzte Akh’Eldash abgeschrieben?« Lynn betrachtete den Band ehrfürchtig.

      »Es wurde uns nach ihrem Tode aus dem Palast übersandt.«

      Lynn blätterte die hinterste Seite auf, zu dem letzten Eintrag der letzten Akh’Eldash, der Mutter ihres zukünftigen Gatten. Das Blatt war von der gleichen zierlichen Schrift bedeckt wie der Rest der Seiten, aber hier war sie weniger fließend. Vermutlich hatte die Akh’Eldash unter Schmerzen gelitten, als sie die wenigen Zeilen zu Papier brachte. Die Worte sprachen nicht gerade von einem glücklichen Leben im Dienste der Göttin.

      »Wenn die Liebe einer Mutter Kraft über das Grab hinaus besitzt, wird mein Sohn ein Mann des Friedens werden. Die Göttin schenke


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