Welt der Schwerter. E. S. Schmidt

Welt der Schwerter - E. S. Schmidt


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      Unrecht hatte sie nicht. Als Lynn mit sieben Jahren in das Stift gekommen war, war sie bereits versprochen gewesen – doch ihr vierzehn Jahre älterer Bräutigam war in irgendeiner Schlacht gefallen. Ihre fehlende Trauer entsprang nicht der Herzlosigkeit – sie hatte den Mann niemals kennengelernt.

      Inzwischen war sie mit ihren neunzehn Jahren zu alt, für ihren Vater bestand kaum noch Aussicht, jemals einen Kandidaten für sie zu finden. Obwohl sie im Stift auf ihre Aufgaben als zukünftige Edeldame und Mutter bestens vorbereitet worden war. Sie hatte alles erlernt, was ein Mann des Adels von seiner Ehefrau billigerweise erwarten konnte: ein wenig Lesen und Schreiben – nicht zu viel, denn das machte die Augen hässlich –, ein wenig Reiten und die Falknerei – aber nicht so viel, dass sie ihren Gatten dabei würde beschämen können. Sie kannte die Geschichte ihres Landes, konnte ihren Kindern die Religion nahebringen und das Personal herumkommandieren. Doch was half alles Sticken, Musizieren und Gedichte Vortragen, wenn sie ihren zukünftigen Gatten in Grund und Boden zu reden vermochte? Und, so hatte es ein Anwärter einmal formuliert, was half ihr Verstand, wenn sie nicht den Anstand besaß, nicht zu zeigen, wie viel sie davon besaß?

      Ihre beiden jüngeren Schwestern, die ebenfalls im Stift gelebt hatten, waren jedenfalls schon verheiratet, denn trotz aller Bemühungen ihres Vaters hatte keiner der Kandidaten eingewilligt, statt des versprochenen fügsamen Mädchens die kratzbürstige Lynn zu ehelichen.

      Lynn war das ganz recht. Sie hatte keine romantischen Vorstellungen vom Eheleben und nicht das Bedürfnis, einem herrschsüchtigen Gatten das Haus zu führen und ihm nach seinem Gutdünken zu Willen zu sein. Viel lieber wäre sie als Anwärterin und später als Heilige Schwester im Tempel geblieben. Sie hatte mehr Zeit ihres Lebens im Hochstift des Haupttempels verbracht als im zugigen Wasserschloss ihrer Eltern. Hier fühlte sie sich geborgen, dies hier war ihr Zuhause. Aber die Priorin hatte das abgelehnt. »Gehorsam«, hatte sie gesagt, »Demut und Unterwerfung unter die Gesetze der Schwesternschaft. Das wird dir schwerfallen, Lynneth. Du wirst daran zerbrechen. Vorerst sehe ich deinen Platz nicht hier.«

      Offenbar gab es für eine Frau nur die Wahl, wem sie gehorchen wollte, nicht ob. Und so würde sie in wenigen Monaten zu ihrer jüngeren Schwester Ella ziehen, und helfen, deren rotznäsigen Sohn zu hüten, und was so in den nächsten Jahren an Blagen noch dazukommen mochte. Eigentlich war Lynn mit ihren neunzehn Jahren jetzt schon zu alt für das Tempelstift, aber es hatte Ella einige Zeit gekostet, ihren Gatten zu überreden, Lynn überhaupt aufzunehmen. Lynn würde die ewige Tante sein, mehr geduldet als erwünscht, aber damit würde sie schon fertig werden.

      Schwerfallen würde ihr nur, all das hier zu verlassen. Schwester Tharinas Lektionen würde sie zwar nicht vermissen – Kinn hoch und Schultern zurück, junge Damen! Eine Frau von Stand wahrt stets Haltung! –, aber sie genoss das unbeschwerte Leben im Kreise ihrer Freundinnen. Der einzige wirkliche Schmerz in Lynns Leben war, dass diese Freundinnen nach und nach fortgingen. Jeder Abschied machte ihr erneut das Herz schwer. Nicht nur, weil sie die Mädchen niemals wiedersehen würde, sondern auch, weil sie, so sehr sie ihnen ein Leben angefüllt mit Liebe und Freude wünschte, doch immer das Schlimmste befürchtete. Wie oft hatte sie in späteren Briefen Kummer und Enttäuschung zwischen den Zeilen lesen müssen.

      Nun war also Beringa an der Reihe. Diese romantische Seele, die nur darauf wartete, ihren zukünftigen Gatten mit all ihrer Liebe zu überschütten. »Ich hoffe«, sagte Lynn, »Tharundin erkennt, was er an ihr hat.«

      Schweigen antwortete ihr, und als Lynn sich umblickte, hatte Thaja den Kopf in den Nacken gelegt und starrte bewegungslos in den Himmel.

      »Fühlst du dich gut?« Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Thaja zu Boden stürzte und in Zuckungen verfiel.

      Thaja streckte den Arm aus und zeigte gen Himmel. »Ist das ein Schwirrer?«

      Also kein Anfall. Erleichtert hob Lynn den Blick und kniff gegen das gleißende Sonnenlicht die Augen zusammen. Ein dunkler Punkt näherte sich dem Turm, in dem die Schwirrer gehalten wurden. Er beschrieb eine Kurve und ein Sonnenstrahl ließ das Blau der Deckflügel schillern.

      Ob sie Schwester Albirga Bescheid geben sollten? Aber vermutlich war die ohnehin dort oben und hatte die Ankunft des Boten längst bemerkt.

      Die Besucher waren im Haus verschwunden und es blieb nicht viel mehr zu sehen als die Stallburschen, die sich um die Ulphane kümmerten. »Komm«, sagte Lynn, »lass uns nach Beringa sehen. Die Arme ist bestimmt schon ganz aufgeregt.«

      Die beiden verließen ihren Aussichtsposten und begaben sich in den Salon, wo eine Schar aufgeregter Mädchen um Beringa herumflatterten. Sogar die kleine Sibyllin steuerte ihre Ratschläge bei.

      »So wird das nichts. Die Zöpfe sind viel zu fest.«

      »Lass mich mal die Schleife binden.«

      »Du machst die Wangen zu rot. So sieht sie ja aus wie eine Küchenmagd.«

      Lynn lächelte über das Durcheinander und fühlte sich seltsam erhaben über den Aufruhr. Beringa drehte sich auf dem Polster zu ihr um. »Endlich bist du da. Du begleitest mich doch, oder?«

      »Natürlich. Das habe ich dir doch versprochen.«

      Jedes Mädchen ging mit einer Ehrendame zu den Gesprächen mit dem Anwärter, denn wenn auch die wesentlichen Punkte des Ehevertrages schon längst zwischen den Vätern ausgehandelt worden waren, so ließ man den jungen Leuten doch die eine oder andere kleine Entscheidungsfreiheit. Diese Bereiche wollten geklärt und schriftlich festgehalten sein, bevor die Priorin ihre Schützlinge ziehen ließ. Da die Priorin zur Neutralität verpflichtet war, hatte Lynn bei diesen Verhandlungen schon oft als scharfzüngige und entschlossene Advokatin ihrer Freundinnen fungiert.

      »Aber«, sagte Beringa, »sei nicht zu streng mit Tharundin, ja? Er ist so ein Herzensguter.«

      Lynn lächelte. »Keine Sorge. Tharundin wird sich heute Abend glücklich preisen, deine und nicht meine Hand erhalten zu haben.« Sie betrachtete mitleidig Beringas völlig überschminkte Augen. »Soll ich Blinthe rufen lassen?«

      »Oh ja, bitte! Lass Blinthe kommen!«

      Lynns Zofe konnte mit ihren Farben selbst ein pausbäckiges Engelchen wie Beringa zur Schönheit formen. Doch als sich Lynn jetzt an die Aufwärterin wandte, die gerade frisches Gebäck brachte, läuteten die Glocken.

      Abrupte Stille senkte sich über die Mädchen, und sie tauschten fragende Blicke. Welchen Grund gab es, sie zu so ungewöhnlicher Zeit zusammenzurufen? Lynn dachte an den Schwirrer und Sorge kroch in ihren Magen. Überraschende Nachrichten waren selten gute.

      Tuschelnd und eng zusammengedrängt liefen die Mädchen die lange Treppe in den Anbetungssaal hinunter, begleitet vom beunruhigenden Ruf der Glocken. Unterwegs stießen die Tempelschwestern zu ihnen, offenbar genauso überrascht wie sie. Gemeinsam drängten sie in den Saal und stellten sich jede vor eines der Kissen, die in Reihen auf dem Boden lagen. Keine von ihnen kniete darauf nieder. Es war unwahrscheinlich, dass man sie zur Anbetung zusammengerufen hatte.

      Die Priorin erwartete sie schon. Sie stand an der Stirnseite des Saales, direkt vor der Tür, die ins Heiligtum der Erdmutter führte. Neben ihr stand Schwester Albirga, auf deren Gewand überall blau schillernde Schuppen hafteten. Die Schwirrer waren gerade in der Häutung.

      Die Priorin hob die Hände und wartete, bis die Gruppe ihrer Schutzbefohlenen ruhig war. Dann legte sie die Fingerspitzen vor dem Bauch zusammen. »Meine lieben Töchter und Schwestern«, begann sie. »Vor wenigen Augenblicken ist ein Schwirrer des Königs in unserem Turm gelandet. Der König hat entschieden, dass Prinz Siluren sich noch in diesem Jahr vermählen soll. Es ist an der Zeit, dass die Göttin aus eurem Kreis seine Braut erwählt. Bis dies geschehen ist, müssen alle anderen Pläne ruhen.«

      Für einen eisigen Augenblick herrschte absolute Stille. Dann schluchzte Beringa auf und brach in Tränen aus.

      ***

      Aus den Nüstern der Ulphane dampfte der Atem in den klaren Morgen, das Klappern ihrer Hufe hallte über den Schlosshof von Hohenvarkas. Es war kalt, aber nicht mehr ganz so frostig wie in den letzten Tagen. Coridan zog seinen Sattelgurt


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