Welt der Schwerter. E. S. Schmidt
er war der Bastard eines Fürsten, doch Dendars Vater hatte ihn nie als Sohn anerkannt. Dabei zeigten schon die rötlichen Haare, dass er aus dem Hause DeHellin stammte. Er hatte auch die kurze Nase und sogar die schiefen Schneidezähne seines Vaters geerbt.
»Guten Morgen, mein Prinz!«
Mit dieser Anrede verspottete er Coridan bereits seit Kindertagen. Natürlich stand Coridan aufgrund des minderwertigen Blutes seiner Mutter dieser Titel nicht zu. Dennoch hatte er das Recht, einen gehörnten Ulphan zu reiten, denn sein Vater hatte ihm eine verwaiste Grafschaft in den Bergen als Lehen zugesprochen. So war Coridan immerhin ein Graf, was Dendar nicht von sich behaupten konnte. Doch das tat seiner immer guten Laune keinen Abbruch. »Wie ich sehe, haben die Stallknechte deinen Jorand fein gemacht.«
Es dauerte einen Moment, bis Coridan begriff, worauf Dendar anspielte. Die Knechte hatten Jorands rötliches Fell gestriegelt, bis es trotz der Winterwolle glänzte wie Kupfer, und ihm die vier kurzen, gebogenen Hörner poliert. Dagegen sprach nichts, doch zu allem Überfluss hatten sie silberne Aufsätze auf die Spitzen gesetzt.
Coridan knurrte unwillig. Er zupfte den Tand ab und drückte ihn einem der Diener in die Hand.
»Wenigstens zu diesem Anlass hättest du die Hörner einfärben können«, spottete Dendar. »Du siehst aus wie ein Bauer.«
»Dann bist du wohl die Bäuerin.«
Dendars Tier besaß keine Hörner, denn ohne Titel auf einem gehörnten Ulphan zu reiten, hätte ihn den Kopf gekostet. Sein Ulphan war weiblich, ebenso wie die vier Zugtiere vor der Kutsche. Neben den massigen Kühen wirkte Jorand, der schlanke Renner, geradezu zierlich, und klein im Vergleich zu den riesigen, schwarzen Bullen, deren Widerrist auch schon mal einen ausgewachsenen Mann überragen konnte. Aber er besaß Hörner, und das allein war das Standesmerkmal, auf das es ankam.
Coridan ordnete Sattelblatt und Steigbügel. »Die Küche lässt auf sich warten. Vielleicht siehst du mal nach.«
Dendar drehte sich im Sattel um. »Ich glaube, sie kommen gerade.«
Ein helles Lachen klang zu ihnen herüber, zwei Mägde erschienen in der Seitentür des Westflügels. Als sie die wartenden Männer sahen, strafften sich ihre Körper, und ihre Mienen wurden ernst. Ihnen folgte die ältliche Köchin in Begleitung Silurens, dem sie gerade kokett in die Seite stieß. »Ihr flunkert doch!« Dann fiel ihr Blick auf Coridan und das Lächeln schwand.
Ähnliches geschah oft, nicht nur bei der Köchin, die als Silurens Amme ein besonderes Verhältnis zu dem Prinzen hatte. Immer wieder sah Coridan Furcht in den Augen der Dienerschaft, wenn ihre Blicke ihn trafen. Zu ähnlich war Coridan seinem Vater, zu sehr erinnerte er die Menschen an den König, der aufbrausend und unberechenbar war, unmäßig in allem, was er tat, sowohl in seiner Großzügigkeit als auch in seiner Grausamkeit. Niemand fühlte sich sicher in Ruothgars Nähe.
Wie anders reagierten die Leute auf Siluren! Seine Freundlichkeit war ebenso verlässlich wie sein Mitgefühl. Er sah die Menschen, sah jeden Einzelnen, ob es sich um einen Fürsten oder um einen Diener handelte – oder um den Bastard, der sein Halbbruder war.
Siluren trat jetzt auf diesen zu. »Ich wollte dir eine sichere Reise wünschen.«
Coridan zuckte leichthin die Achseln. »Es ist keine gefährliche Strecke. In einem Halbmond wirst du deine Braut in den Armen halten.«
»Meine Braut.« Siluren seufzte.
»Wenn die Erdmutter dir eine hässliche Trine erwählt, gebe ich sie zurück.«
Siluren musste lächeln. »Ich werde sie lieben – der No’Ridahl zwingt mich ja dazu. Aber sie …« Er ließ den Satz unbeendet, und Coridan wusste, warum.
Über die letzte Akh’Eldash, Silurens Mutter, wurde im Schloss nur selten gesprochen. Ihr Tod lag über zwanzig Jahre zurück, eine halbe Ewigkeit. Als sie Siluren geboren hatte und gestorben war, war Coridan ein Jahr alt gewesen, und was er über die Akh’Eldash wusste, stammte aus dem Mund anderer.
Offenbar war sie zierlich gewesen, sanft und freundlich, aber auch erstaunlich willensstark für eine Fünfzehnjährige. Man sprach von ihrer Güte, ihrer Disziplin und ihrem Pflichtbewusstsein. Niemals aber hatte er irgendjemanden sagen hören, dass sie Ruothgar geliebt habe.
»Die Akh’Eldash wird jung und formbar sein«, sagte Coridan. »Manche Fürsten senden ihre Töchter schon mit sechs Jahren ins Damenstift. Du bist der Kronprinz. Sie wird dich anhimmeln.«
Siluren nickte mit saurer Miene. »Ich werde also ein unmündiges Kind heiraten.«
»Das hab ich nicht …«
»Schon gut, Cor. Du musst mich nicht aufmuntern.« Siluren griff in die Manteltasche und holte ein hölzernes Kästchen heraus. »Das gehörte meiner Mutter.« Er strich mit dem Daumen über die feinen Intarsien – ein geflügelter Löwe, das Wappentier des Hauses Etharold. »Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke, die ich von ihr habe.«
»Soll ich es deiner Braut geben?«
»Es ist ein Pfand meiner besten Absichten, ein Zeichen dafür, dass ich bereit bin, mich ihr ohne Vorbehalte zuzuwenden. Schon jetzt, ehe ich ihrem Bann verfalle.«
»Was immer du erwartest, der Zauber der Erdmutter wird dich nicht zum willenlosen Sklaven machen.«
Siluren warf einen Blick zum Fenster des Königs hinauf. »Glaub mir, das weiß ich.«
Coridan sah den Schmerz im Blick seines Halbbruders. Wahrscheinlich wünschte sich Siluren, ein wenig vom Zauber seiner Mutter hätte auch auf ihn abgestrahlt, dass Ruothgars Liebe zu der Akh’Eldash auch ihren Sohn umfasst hätte. Doch die Liebe des Vaters hatte von Anfang an Coridan gegolten.
Silurens Geburt hatte das Leben der Akh’Eldash gekostet. Allein das schon mochte Ruothgars Herz gegen ihn gewendet haben. Zudem war Siluren ein schwächliches Kind gewesen, blass und kränkelnd. Immer seltener hatte Vater die Amme rufen lassen, um ihm das Kind zu präsentieren. Und später, als Siluren endlich alt genug gewesen war, um ein Schwert zu halten, hatte er Papier und Feder vorgezogen. Vater war es gewohnt, seinen Willen zu bekommen, doch der Befehl des Königs vermochte aus Siluren keinen Krieger zu machen. Als Knabe und als Jüngling bemühte er sich redlich, doch die fordernden Schwertübungen und die schonungslosen Exerzitien bewirkten nur, dass er wieder und wieder das Bett hüten musste.
Irgendwann gab Vater es auf – und Siluren suchte sich seine eigenen Lehrer. Von diesem Tage an blühte er auf. Er las mehrere Bücher im Monat, lernte, die Saiten der Kithalla zu schlagen und begann einen stetigen Schriftwechsel mit den Denkern des Landes. Wegen seiner zurückgenommenen, freundlichen Art fiel es kaum jemandem auf, doch Siluren war ganz sicher der klügste Mann im Schloss, ach was, in ganz Varkaspol und weit darüber hinaus. Hätte Vater nur einmal die Augen geöffnet, um seinen Sohn wirklich anzusehen, so wäre ihm aufgefallen, dass Siluren mehr Wissen und Einsicht besaß als alle Berater und Kanzler, die jemals durch diese Hallen geschlichen waren. Sein Kopf und sein Herz würden ihn dereinst zu einem besseren König machen, als Vater es je hatte sein können, davon war Coridan tief überzeugt.
Silurens Blick kehrte vom Fenster zu ihm zurück. »Auch die Akh’Eldash will, dass man sie um ihrer selbst willen liebt, nicht aufgrund eines magischen Zeichens. Sie hat mein Mitgefühl.«
»Das kann sie sich nicht aussuchen – genauso wenig wie du. Aber ich werde ihr dein Unterpfand übergeben.« Coridan nahm das Kästchen und etwas darin klapperte. Fragend blickte er auf.
»Es ist ein Amulett, ein Abbild der Erdmutter. Sag der Akh’Eldash, ich werde das Lager erst mit ihr teilen, wenn sie es mir zukommen lässt.«
»Das wird Vater nicht gefallen. Die Hochzeit ist für den Blütenmond angesetzt, und er wird erwarten, dass sie vollgültig ist.«
»Niemand kann von mir erwarten, dass ich die Ehe mit einem Kind vollziehe.«
Coridan kannte diesen Blick. Vater hielt Siluren für schwach, weil der sich nicht an den üblichen Formen des Kräftemessens unter Männern beteiligte. Trinken und Raufen, Spielen und Huren lagen