Welt der Schwerter. E. S. Schmidt
wird der Kanzler aufbrechen?« Cor lenkte mit dieser Frage die Aufmerksamkeit des Königs wieder auf sich. Noch immer war Siluren dankbar für diese kleinen Gesten des Schutzes.
Ruothgar erwiderte: »Ich habe nicht vor, Panald zum Tempel zu senden. Diese Ehre wird dir zuteilwerden.«
Cor war sichtlich überrascht. »Du sendest mich, um die Akh’Eldash zu holen?«
»Wer wäre besser geeignet, die Braut des zukünftigen Königs zu beschützen, als dessen Bruder?« Ruothgar winkte dem Türdiener. »Ruf den Schreiber her – und du, Cor, stellst dir deine Truppe zusammen.«
»Jawohl, Vater.«
»Wähle keine allzu prachtvollen Burschen, sonst verfängt sich die Akh’Eldash in Wunschträumen, die Siluren nur enttäuschen kann.« Er lachte. »Seine Mutter hat es jedenfalls genossen, ein wenig rauer angepackt zu werden.«
Man hatte Siluren seine Mutter als zart, fast feenhaft beschrieben, eine Fünfzehnjährige, die nur das Leben im Tempelstift gekannt hatte. Was mochte sie empfunden haben, als der grobschlächtige, fast dreimal so alte Ruothgar in der Hochzeitsnacht über sie hergefallen war?
Diesmal nützte ihm sein Schweigen nichts – Ruothgar las den Unwillen in seinen Augen. »Glaub es ruhig. Deine Mutter hat sich nie beklagt.«
»Immerhin hat sie an einem Leben mit dir nicht sonderlich festgehalten.«
Ruothgar erstarrte. Sein weingerötetes Gesicht verdunkelte sich noch mehr. »Hinaus!«
Siluren gehorchte wortlos. Mit schnellen, hämmernden Schritten durchquerte er Salon und Vorzimmer. Erst im Kabinett wurde ihm bewusst, dass er floh. Er blieb stehen und ballte die Fäuste, um das Zittern zu bezwingen.
Coridan war ihm gefolgt, trat nun neben ihn. »Das hättest du nicht sagen sollen.«
»Er auch nicht.«
Natürlich hatte Ruothgar seine Frau geliebt. Der No’Ridahl, der Kuss der Göttin, sorgte dafür, dass jeder Mann in Liebe zur Akh’Eldash entbrannte, sobald er das Mal auf ihrer Stirn erblickte. Damit garantierte die Göttin seit über tausend Jahren, dass der König seine Macht mit dem Tempel teilte.
Doch solange Siluren lebte, war der Doppelthron auf der rechten Seite leer gewesen.
»Ich frage mich«, sagte Coridan, »warum er mich schickt. Es war immer die Aufgabe des Kanzlers, die Akh’Eldash nach Hohenvarkas zu geleiten.«
Ruothgars Plan war leicht zu durchschauen und entsprach dessen Sicht auf das Leben. Der König hatte nie begriffen, dass Coridan trotz aller Ähnlichkeiten ganz anders war. Er durchschaute einen solchen Plan nicht einmal, wenn er so offen vor ihm lag.
»Er hofft, dass du die Akh’Eldash entschleierst, in Liebe entbrennst und mir den Thron streitig machst.«
Vermutlich wäre das die beste Lösung. Coridan den Thron einfach zu überlassen, war unmöglich. Widerspruch würde sich regen, Begehrlichkeiten, alte Feindschaften und Bündnisse neue Kraft bekommen, und schließlich würde ein Kampf um die Herrschaft das Reich verwüsten, wie zur Zeit des Bruderkrieges. Wenn Cor allerdings den Thron im Handstreich nähme und die Ehe mit der Hohepriesterin seinen Anspruch bestätigte, konnte er seine Position womöglich halten.
»Das«, sagte Coridan, »wird niemals geschehen.«
Innerlich seufzte Siluren, aber er sagte nur: »Ich weiß.«
***
Lynn trat auf die Balustrade hinaus, und wie stets war der Ausblick beeindruckend. Die weißen Gebäude des Tempelstifts hingen an dem steilen Südhang des Thul-Massives wie die Nester der Bergschwalben, und dieser Balkon war einer von Lynns Lieblingsorten. Von hier aus sah man über den Hof hinweg und an den Felsnadeln der drei Ammen vorbei weit hinaus in die Ebene der Riefenau. Dieser weite und doch geführte Ausblick bot mit dem Wechsel der Jahreszeiten immer neue Eindrücke. Es war wunderbar zu verfolgen, wie sich langsam aber stetig der Frühling näherte, wie in der Ferne die Wiesen bereits grünten, während zu Lynns Füßen noch festgetretener Schnee den Hof bedeckte.
Lynn hatte erwartet, auf der Balustrade mehr Kanonissen vorzufinden, aber da war nur Thaja. »Wo sind denn die anderen?«
»Bei Beringa. Um sie hübsch zu machen.«
Lynn schnaubte. »Ob Tharundin sich auch so viele Gedanken über sein Aussehen gemacht hat, bevor er hier eingeritten ist?«
»Natürlich!« Thajas Augen leuchteten. »Sieh ihn dir doch nur an!« Sie beugte sich vor und sah so aufgeregt nach unten, als wäre es ihr Verlobter, der im Hof gerade seinen Ulphan neben dem seines Vaters zügelte. Doch es war Beringas sehnlichst erwarteter Cousin und Bräutigam, Tharundin von Tremagant. Dabei war der Frühling, die klassische Jahreszeit für die Brautschau, gerade erst angebrochen. Dass Tharundin so früh kam, sprach auch für seine Ungeduld.
Lynn stützte die Arme auf die steinerne Brüstung und musterte den Anwärter kritisch. Die rotgefärbten Hörner seines Ulphans, die auffälligen Pluderhosen und das samtene Wams waren ziemlich übertrieben, und was bei einem so jungen Mann vielleicht noch angehen mochte, wirkte bei seinem Vater geradezu lächerlich. »Welch prächtiges Beispiel für den Nachwuchs unseres Hochadels.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast.« Thaja schüttelte den Kopf. »Der junge Markgraf ist doch wirklich ansehnlich.«
»Noch ist er kein Markgraf, sondern bloß Sohn. Trotzdem läuft er schon, als trüge er sein Schwert nicht an der Seite, sondern zwischen den Beinen.«
Zu komisch, wie verlegen Thaja wurde. Man konnte zusehen, wie sich ihre Wangen verdunkelten, als drehe jemand am Docht einer Lampe. »Warum sagst du immer solche Dinge?«
»Stimmt es etwa nicht?« Lynn löste sich von der Brüstung und stolzierte umher, die Arme angewinkelt, die Hüfte nach vorne gedrückt. »Seht her«, sagte sie mit tiefer Stimme, »ich bin der Sohn des Markgrafen. Ich mache alle Frauen glücklich.«
Thaja hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, aber es lag auch ein wenig Furcht in ihren Augen. Auch sie würde in wenigen Wochen den Mann kennenlernen, dem ihr Vater sie versprochen hatte. Sie wusste nur, zu welcher der adeligen Familien er gehörte und dass er zwanzig Jahre älter war als sie selbst. Da hatte Beringa es doch besser getroffen. Immerhin war ihr Bräutigam ein entfernter Cousin, mit dem sie als Kind bereits gespielt hatte, und etwa in ihrem Alter. Trotzdem beneidete Lynn sie nicht. Beringa würde bald schon feststellen, wie sehr sich die Männer im wahren Leben von den Helden der romantischen Balladen unterschieden, die sie sich immerzu rezitieren ließ. Der Tempel mochte ein Käfig sein, aber er war Lynn lieber als derjenige, den Beringa im Begriff war, zu betreten.
Jetzt begrüßte die Priorin den Markgrafen und seinen Sohn. Aus der Entfernung ließen sich keine Worte verstehen, und so belegte Lynn die Szene mit einem eigenen Dialog. Sie lispelte: »Ich freue mich immer, Kundschaft begrüßen zu können.« Dann senkte sie die Stimme. »Wir kommen, um die neue Ware zu besehen.«
Thaja verpasste ihr einen Rippenstoß. »Du bist unmöglich.«
Lynn tat entrüstet. »Ein Mann wird sich doch noch umsehen dürfen, oder?«
Natürlich bestand das Eheversprechen zwischen Tharundin und Beringa schon seit Jahren, aber Lynn wusste auch, wie wenig das für den Bräutigam bedeutete. Wahrscheinlich hatte sich der junge Fürst die Hörner schon an den Mägden im Schloss seines Vaters abgestoßen. Mädchen hingegen sperrte man in ein Damenstift, bis der Bräutigam geruhte, sie abzuholen.
Thaja schüttelte den Kopf. »Manchmal denke ich, du magst Männer generell nicht.«
»Von mir aus hätte die Göttin sie nicht zu erschaffen brauchen.«
»Aber ohne Männer – wer würde uns Frauen beschützen?«
»Ohne Männer«, gab Lynn zurück, »wovor müssten wir Frauen beschützt werden?«
»Und du wunderst dich, dass dein Vater keinen Gatten für dich findet.«
»Wundern? Ich habe sie