Welt der Schwerter. E. S. Schmidt
sein Vater schwor. Die kaum zwei Fäuste großen Tiere konnten nur winzigste Nachrichten überbringen. Die Schreiben von Silurens Korrespondenzpartnern hingegen waren lang und ausführlich, und so ahnte Siluren Entwicklungen oft voraus, noch ehe die entsprechenden Botschaften das Nest auf Hohenvarkas erreichten.
Längst hatte er es aufgegeben, seinen Vater über seine Annahmen und Schlussfolgerungen in Kenntnis zu setzen. Viel zu oft hatte er dafür nur Spott und Hohn geerntet. Doch die Nachrichten, die ihn heute erreicht hatten, waren so besorgniserregend, dass er seinen Stolz – und seine Furcht – überwinden musste. Silurens Zuträger berichteten von ganzen Bergen schnell geschmiedeter Schwerter. Offenbar hatten jenseits der Grenze die Essen den gesamten Winter über geglüht. Außerdem war von Aushebungen in ganz Oneräa die Rede. Das konnte nur bedeuten, dass Krolan der Fahle, König von Oneräa, einen Feldzug plante.
Wieder einmal. Seit mehr als drei Jahrhunderten, seit der Spaltung des Reiches, hatte nahezu jeder König auf beiden Seiten des Rimbeth versucht, die Herrschaft über das gesamte Reich wiederzuerlangen. Die Könige von Oneräa beriefen sich auf die Blutlinie, die von Galathräa auf die Wahl der Akh’Eldash, aber eigentlich ging es doch bloß um Machthunger und althergebrachte Rituale von Ehre und Männlichkeit – und beide Völker litten darunter.
Aus dem Kabinett seines Vaters drangen aufgebrachte Stimmen. Als Siluren eintrat, zog Kanzler Panald dem Schreiber gerade ein Blatt vom Tisch und überflog es. Ruothgar hingegen nahm Siluren in den Blick. »Was willst du hier?« Seine heisere Stimme und die gerötete Nase zeugten noch von der abklingenden Krankheit, sein Blick aber war fest und geradezu feindselig. Siluren musste sich zwingen zu sprechen. »Marschiert Krolan auf unsere Ostgrenze zu?«
»Hast dir wohl wieder mal etwas zusammengereimt.«
In Siluren stieg die altbekannte Wut auf, aber dies war nicht der Zeitpunkt für kleinliches Gezänk. »Ich denke, wir sollten Unterhändler senden. Herausfinden, was er will.«
»Er will Galathräa, was sonst?«
»Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Und miteinander zu reden kann …«
»Reden will nur der Unterlegene. Krolan wird reden, wenn mein Schwert an seiner Kehle liegt.«
Es sei denn, es kam umgekehrt. Auch wenn das schwer vorstellbar war. Ruothgar war selbst mit ergrauendem Haar noch immer ein Kämpfer und König. Aber Krolan war um einiges jünger, und nach allem, was man hörte, war er absolut skrupellos.
Siluren blickte zu der Karte auf dem Tisch. Sie zeigte die nördliche Grenzregion um Elsthorn. »Also gibt es wieder Krieg?«
»Wir können ihn nicht verhindern, also werden wir ihn gewinnen. Ich habe unseren Fürsten die Aushebungen bereits im Winter angekündigt, als du noch selig deine Gänsekiele gespitzt hast.« Ruothgar wandte sich an Kanzler Panald. »Nun?« Der Kanzler war mit dem soeben verfassten Befehl einverstanden und Ruothgar winkte, dass er weitergegeben werden sollte. Ein junger Soldat übernahm das Blatt und ging.
Siluren holte tief Luft und bemühte sich um einen ruhigen Ton. »Krolan hat eine enorme Anzahl von Männern in den Dienst gezwungen. Ich hörte von achtzigtausend Mann.«
Ruothgar grunzte. »Piss dir bloß nicht in die Hosen. So viele wehrfähige Männer gibt es in ganz Oneräa nicht.«
Doch, die gab es, wenn man keine Rücksicht darauf nahm, dass Bauern und Handwerker ihre anderen Aufgaben nicht mehr erfüllen konnten. »Wenn wir all unsere Bauern von den Feldern in die Schlacht schicken, gibt es bald nichts mehr zu essen.«
»Und wenn wir das nicht tun, gehört Galathräa bald einem Schurken und Geisterdiener.«
»Warum hören wir uns nicht zuerst Krolans Ford-«
»Es reicht!« Ruothgars Faust landete auf dem Tisch. »Krolan schickt keine Unterhändler, sondern Soldaten! Ein König darf den Kampf nicht fürchten, wenn seine Untertanen in Sicherheit leben sollen.«
»Wie sicher leben sie wohl, wenn sie mit Schwert und Spieß auf dem Schlachtfeld stehen?«
»Opfer müssen eben gebracht werden, und noch wird dieses Land nicht von einem Schlappschwanz geführt!«
Siluren war so angespannt, dass sein Nacken schmerzte. Mehr zu sich selbst sagte er: »Es ist nicht dein Schwanz, der mir Sorgen macht.« Doch so leise die Worte auch waren, sie entgingen Ruothgar nicht.
»Raus!«
Das war wohl inzwischen der übliche Abschluss eines Gespräches zwischen ihnen. Siluren ging wortlos, doch seine zornigen Schritte knallten auf dem Marmorboden wie die Schüsse einer Hakenbüchse.
Kampf und Krieg – gab es keine anderen Lösungen? Und selbst wenn, schätzte Ruothgar die Gefahr auch richtig ein? Zugegeben, achtzigtausend Mann waren ein Kontingent, wie die Welt es nur selten gesehen hatte und vermutlich völlig unnötig. Würde eine solche Armee eine Stadt wie etwa Elsthorn belagern, würden sich die Männer bloß gegenseitig auf den Füßen stehen. Mit passendem Kriegsgerät wären schon vierzigtausend mehr als ausreichend, um eine Stadt mittlerer Größe ohne lange Belagerung zu stürmen.
Das nahm er zumindest an. Cor hatte Carondim damals mit nur zehntausend Mann eingenommen. Siluren hatte derweil hier, auf Hohenvarkas, lediglich die Berichte gelesen. Was wusste er schon von der Wirklichkeit des Krieges und wie man ihn führte? Vermutlich war es wirklich unsinnig, ein so großes Heer aufzustellen, wenn eine kleinere Armee ausreichte. Wozu sollte man mehr Männer als nötig in die Disziplin zwingen, befehligen, und vor allen Dingen verpflegen?
Aber konnte man von einem Mann wie Krolan dem Fahlen vernünftige Entscheidungen erwarten? Es hieß, er habe seinen älteren Bruder getötet, um König zu werden. Außerdem sagte man ihm nach, er verehre die Geister und strebe nach leiblicher Unsterblichkeit, aber das war womöglich bloß abergläubisches Geschwätz des Volkes, das einem Feind jede nur erdenkliche Missetat andichtete. Nein, ein Wahnsinniger konnte die Macht nicht erringen und halten.
Aber was, wenn es Krolan nicht nur um kleine Landgewinne ging? Nicht darum, Carondim oder Elsthorn zurückzuerobern, oder Teile der Ostmark? Wenn er es tatsächlich auf den Doppelthron abgesehen hatte? Auf ganz Galathräa? Wenn er die beiden Reiche tatsächlich wiedervereinen wollte – wäre das nicht eine große Armee wert?
Siluren blieb stehen. Er war im Thronsaal angekommen und sah hinüber zum Doppelthron, der in der Abenddämmerung groß und dunkel vor den Fenstern der Stirnwand aufragte. Selbst in der Dämmerung der aufsteigenden Nacht war er beeindruckend. Massiv und wuchtig umgab er das Herrscherpaar, betonte ihre Bedeutung. Die linke Seite, die des Königs, war aus Eisen geschmiedet und teilweise vergoldet. Ihr Zierrat zeigte Insignien der Macht – Krone und Zepter –, aber auch des Kampfes – Schwert und Schild, Armbrust, Bogen und Köcher. Diese Seite war riesig und überladen, weil seit Generationen jeder König etwas anfügen ließ. Erst vor fünf Jahren hatte Ruothgar seitlich das Abbild einer Hakenbüchse anbringen lassen, einer der modernsten Waffen überhaupt. Inzwischen war diese Seite des Thrones so schwer, dass rückwärtige Stützen notwendig geworden waren, damit die massige Lehne ihn nicht nach hinten umriss.
Trotz dieser beständigen Anfügungen reichte das Werk aber noch immer nicht an die Größe der anderen Seite heran. Der Sitz der Akh’Eldash war seit den ersten Tagen der Eldamiten nicht verändert worden. Er bestand ganz aus dem edlen, dunklen Holz des Lebensbaumes, aber außer pflegender Öle und beständigem Polieren hatten menschliche Hände nichts zu seiner Form beigetragen. Vielmehr sah es so aus, als wäre der Baum ganz natürlich zu einem riesigen Stuhl gewachsen, als hätten sich Zweige von selbst zu einer Lehne verwoben, als hätten sie sich von alleine zu einem mächtigen Baldachin geformt. Keine Spuren von Schnitten oder Sägen waren an dem Holz zu finden – außer dort, wo man die Wurzeln abgesägt hatte. Selbst die kleinsten Zweige waren fest und biegsam, als wäre noch Leben in ihnen, als habe der Baum nur seine Blätter für einen Winter abgeworfen und wäre bereit, im Frühjahr erneut auszutreiben. Die Legende besagte, der Thron habe bis zur dritten Akh’Eldash tatsächlich noch Blätter getragen. Nun, womöglich hatte man ihn erst damals von seinen Wurzeln getrennt und aus der Riefenau nach Varkaspol gebracht.
Zwischen den beiden Seiten des