Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Группа авторов
Prototyp quantitativer Forschung gilt das ExperimentExperiment. Für dessen quantitative Natur ist die Tatsache charakteristisch, dass es im Labor, also nicht im natürlichen Kontext, und damit unter streng kontrollierten Bedingungen durchgeführt wird. Bei den in Experimenten erhobenen Daten handelt es sich typischerweise um Messwerte (z.B. um Reaktionszeitmessungen oder Test-Werte), die mithilfe statistischer Verfahren ausgewertet werden. Experimentelle Forschung basiert auf der wissenschaftstheoretischen Position des RationalismusRationalismus, nach der in einem hypothesentestenden Verfahren eine objektive bzw. universalgültige Wahrheit aus der Außenperspektive von Forscher*innen, einer sogenannten etischen PerspektiveetischePerspektiveetische Perspektive, beschrieben werden soll (s. Kap. 2).
Als Prototyp qualitativer Forschung gilt hingegen die EthnographieEthnographie, bei der die Daten mittels teilnehmender Beobachtung im natürlichen Kontext und damit unter hochgradig unkontrollierten Bedingungen gesammelt werden. Diese Daten werden zu Zwecken der Hypothesengenerierung mithilfe interpretativer Verfahren ausgewertet, wobei eine emische PerspektiveemischePerspektiveemische Perspektive verfolgt wird, d.h. dass Forschende die Innenansicht der Forschungspartner*innen analytisch herausarbeiten. Wissenschaftstheoretisch basiert diese Vorgehensweise auf dem RelativismusRelativismus, der der rationalistischen Vorstellung einer universalgültigen Wahrheit das Konzept (sozio-)kulturell geprägter bzw. kontextgebundener Wahrheiten entgegensetzt (s. Kap. 2).
Grotjahn (1987) hat in einem auf die deutschsprachige Fremdsprachendidaktik sehr einflussreichen Beitrag bereits in den 80er Jahren verdeutlicht, dass diese simple Gegenüberstellung von zwei Prototypen den vielen denkbaren Varianten empirischer Forschungsdesigns nicht gerecht wird. Er unterscheidet neben diesen beiden „Reinformen“ (Grotjahn 1987: 59) des explorativ-interpretativenexplorativ-interpretativ und des analytisch-nomologischenanalytisch-nomologisch Paradigmas sechs weitere „Mischformen“ (ebd.), die sich aus den möglichen Kombinationen der drei Aspekte (a) (quasi-) experimentelles vs. nicht-experimentelles Design, (b) quantitative vs. qualitative Daten und (c) statistische vs. interpretative Auswertung ergeben: Beispielsweise ist es möglich, im Feld metrische Werte zu erheben und statistisch auszuwerten oder im Labor verbale Daten zu erheben, die interpretativ ausgewertet werden. Somit wird deutlich, dass empirische Designs nicht immer eindeutig einem paradigmatischen Prototypen zugeordnet werden können, sondern dass sich eine Vielzahl von durch das Erkenntnisinteresse geleiteten grundlegenden Design-Möglichkeiten ergibt.
3.3.3 Quantitative Daten und statistische Auswertungen
Zur fremdsprachdidaktischen Illustration des analytisch-nomologischen s können die Referenzarbeit von Marx (2005) als Forschungsleistung einer Einzelperson und die DESI-Studie als Forschungsleistung eines umfassenden Verbundes dienen.
In der Untersuchung von Marx (2005) zu Hörverstehensleistungen im Deutschen als Tertiärsprache handelt es sich um ein Experiment, bei dem Lernende im Bereich Deutsch als Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) auf der Grundlage von Eingangstests und Fragebögen mit dem Ziel einer Balancierung von Kontroll- und Experimentalgruppe auf zwei parallele Nullanfängerkurse verteilt wurden. Oft steht die Verteilung von Proband*innen auf unterschiedliche Kurse nicht im Einflussbereich der Forschenden, sodass bei Experimenten, die im Feld durchgeführt werden, i.d.R. mit bestehenden Parallelgruppen in einem sogenannten Quasi-ExperimentQuasi-Experiment gearbeitet wird. In solchen Fällen stellt sich dann die Frage der Vergleichbarkeit der Gruppen, die häufig in Paarvergleichen abgesichert werden soll. In der Studie von Marx (2005) handelt es sich jedoch nicht um ein Quasi-Experiment, sondern tatsächlich um ein Experiment, bei dem die Gruppen gezielt nach bestimmten Überlegungen in vergleichbarer Weise zusammengesetzt wurden. Anders als in der oben beschriebenen Reinform des analytisch-nomologischen Paradigmas wurden dabei jedoch nicht für das Experiment charakteristische Messwerte erhoben, sondern Daten aus Hörverstehensaufgaben und retrospektive Erklärungen zu den von Lernenden wahrgenommenen Gründen für erfolgreiches Verstehen, die beide für die Zwecke einer statistischen Auswertung mittels Mann-Whitney-U-Test und MANOVA (s. Kap. 5.3.11–12) erst in Zahlenwerte überführt werden mussten (s. dazu die Darstellung der Referenzarbeit in Kap. 7).1
Ein zweites Beispiel aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik ist die DESI-Studie (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International). Sie zielte darauf ab, den Leistungsstand in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Fächern Deutsch und Englisch zu erfassen und zur Verbesserung von Curricula, Lehrmaterialien, Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und Unterrichtsgestaltung in diesen beiden Fächern beizutragen: In einem interdisziplinären Team aus Bildungsforscher*innen und Fachdidaktiker*innen wurden dazu ca. 11000 Schüler*innen der neunten Klasse aller Schularten befragt und zu zwei Zeitpunkten getestet sowie neben Videoaufnahmen des Unterrichts auch Befragungen mit Lehrpersonen, Eltern und Schulleitungen durchgeführt (Klieme 2008). Zur Kurz-Illustration des Umfangs dieser Art von empirischer Großuntersuchung sei als eine der vielen DESI-Teilstudien die Videostudie des Englischunterrichts (Helmke et al. 2008) herausgegriffen, die Aufnahmen, Transkripte, Basiskodierungen und Beurteilungen der Unterrichtsqualität von 105 Englischstunden beinhaltet. Auf dieser Grundlage konnten u.a. quantitative Aussagen zu einer Reihe von Aspekten des untersuchten Englischunterrichts (z.B. verwendete Unterrichtssprache, Sprechanteile von Lehrpersonen und Schüler*innen, Art und Länge der Schüleräußerungen, Fehlerkorrektur und Wartezeit) sowie auch Zusammenhänge dieser Unterrichtsmerkmale mit anderen Variablen wie Schülerleistungen (z.B. in einem C-Test oder Hörverstehenstest) herausgearbeitet werden.
3.3.4 Qualitative Daten und interpretative Auswertungen
Als fremdsprachendidaktische Beispiele für den Gegenpol, das explorativ-interpretativeexplorativ-interpretativ Paradigma, sollen hier die Dissertation von Haider (2010) zu Sprachbedürfnissen von Pfleger*innen mit Deutsch als Zweitsprache und die umfangreiche Studie zur mündlichen Fehlerkorrektur im Italienisch- und Spanischunterricht von Kleppin & Königs (1991) dienen.
Haiders (2010) Untersuchung ist im Themenfeld Deutsch für den Beruf angesiedelt und wird von der Autorin selbst im Titel als kritische Sprachbedarfserhebung charakterisiert. Mithilfe von Erhebungsmethoden wie job-shadowing, also der Begleitung der Forschungspartner*innen im Arbeitsalltag, und insbesondere auf der Grundlage von 13 halbstandardisierten, interpretativ ausgewerteten Interviews arbeitet die Forscherin heraus, welchen sprachlichen Herausforderungen Gesundheits- und Krankenpfleger*innen in Österreich, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, sich bei ihrer Berufstätigkeit ausgesetzt sehen. Charakteristisch für das explorativ-interpretativeexplorativ-interpretativ Paradigma ist u.a. ihre Zielsetzung, die Innenperspektive des Pflegepersonals zu erfassen: Im Gegensatz zu klassischen Bedarfsanalysen, die stärker die Außenperspektive einnehmen und beispielsweise Anforderungen des Arbeitsmarktes ins Zentrum der Untersuchung stellen, ist diese Studie der emischen Perspektive zuzuordnen. Anhand der Schilderungen des Berufseinstiegs will die Autorin sprachliche Probleme der Berufspraxis aufzeigen, die die Betroffenen selbst als relevant erleben; diese sollen als Grundlage für berufsorientierte Deutschkurse dienen – und letztlich will die Autorin damit auch in einem politisch-kritischen Sinn Mängel im System von Pflegeeinrichtungen mit Bezug auf Spracherwerbsmöglichkeiten offenlegen und auf deren Behebung drängen.
Die umfassende Studie von Kleppin/Königs (1991), in der sie „[d]er Korrektur auf der Spur“ sind – so der Titel –, kann als vergleichsweise früher Meilenstein fremdsprachendidaktischer Empirie bezeichnet werden. Das untersuchte Datenkorpus besteht aus 97 videografierten Stunden Spanisch-Unterricht und 91 videografierten Stunden Italienisch-Unterricht; weiterhin wurden auch zwölf flankierende Lehrpersoneninterviews ausgewertet. Ergänzend wurden „zu einem Teil der Unterrichtsaufzeichnungen“ (Kleppin/Königs 1991: 107) Daten nachträglichen Lauten Denkens als „unterrichtskommentierende Daten“ (ebd.) erhoben. Auch fokussierte Interviews und ein in elf Klassen verteilter und von 198 Lernenden ausgefüllter Fragebogen waren Grundlage der Analysen. Die Autor*innen erläutern, dass sie die an einem Datensatz gewonnenen Interpretationen an einem anderen Datensatz zu bestätigen gesucht haben, um die Reichweite der jeweiligen Interpretation zu erhöhen bzw. um bei Nicht-Bestätigung entsprechend vorsichtig mit der Interpretation umzugehen (Kleppin/Königs 1991: 117).
Zentrale Aspekte der Auswertung betreffen die linguistisch basierte Fehlerkodierung und -auszählung nach Unterrichtsphasen,