Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation. Dunja Batarilo

Mitten ins Leben – Frieden finden mit Vipassana-Meditation - Dunja Batarilo


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Gläubigen. Mönche widmen sich der Meditation, für ihren Lebensunterhalt sind sie auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. Im Gegenzug übernehmen sie ihrerseits eine spirituell ordnende Funktion in der Gesellschaft. Sie führen Rituale aus und übernehmen seelsorgerische Tätigkeiten für die Allgemeinheit. Das einfache Volk hingegen befolgt Riten und Gebräuche. Ähnlich wie in der christlichen Tradition war es lange ausschließlich der Klerus, der Zugang zu Texten der Lehre hatte und darauf seine Autorität begründete. Die Mönche hielten ihr Wissen lange Zeit vor Laien, Frauen und in späteren Jahrhunderten auch vor Menschen aus dem Westen verborgen. Vipassana sollte nur an diejenigen weitergegeben werden, die jahrelang durch Meditation ihren Geist geschult hatten. So blieb die Praxis lange Zeit einer kleinen Elite von Männern vorbehalten, die in Klöstern, Höhlen und Wäldern lebte.

      Indien, die Heimat des Buddha, ist heute kein buddhistisches Land. Die größte Ausdehnung hatte der Buddhismus unter König Ashoka, der im 3. Jahrhundert v. Chr. diese Philosophie bis weit über die Grenzen Indiens hinaus verbreitete. Erst im 12. Jahrhundert wurde die Lehre des Buddha durch den Hinduismus und später auch den Islam verdrängt. Während letztere heute die prägenden Religionen des Subkontinents sind, geriet Vipassana im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit. In einigen südostasiatischen Ländern, insbesondere in Myanmar, wurde die Technik jedoch unauffällig gehütet. In dem Bestreben, sie möglichst rein und unverändert zu erhalten, wurde die Praxis nur von Mönch zu Mönch, von Lehrer zu Schüler, weitergegeben. Unterweisung in Vipassana zu bekommen, war eine Auszeichnung. Bis heute ist der dankbare Rückbezug auf die Lehrer, auf deren Schultern alle heutigen Meditierenden gewissermaßen stehen, ein Charakteristikum der Vipassana-Bewegung. Auch deshalb soll die Geschichte der modernen Vipassana-Tradition an dieser Stelle den Raum bekommen, den sie verdient. Ohne all die vielen mutigen und inspirierenden Schritte derer, die vorangegangen sind, wäre es heute im Westen nicht möglich, diese Technik zu erlernen.

      Es ist eine alte Prophezeiung überliefert: 2500 Jahre nach der Erleuchtung des Buddha sollte Vipassana von Myanmar aus zurück nach Indien finden und von dort aus in die ganze Welt. Prinzessin Vipassana fiel also in einen jahrhundertelangen Dornröschenschlaf. Als sie wieder erwachte, fand sie eine Welt vor, die sich grundlegend verändert hatte.

      Damit die Vipassana-Tradition, wie wir sie heute im Westen kennen, entstehen konnte, mussten zwei historische Strömungen zusammenfinden. Zum einen der sogenannte buddhistische Modernismus, eine im Kern politische Bewegung. In den vorwiegend britisch besetzten Gebieten des heutigen Indien und Myanmar formierte sich eine gebildete Mittelschicht, die die Kolonialherren abzuschütteln versuchte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte sie den Buddhismus als eine Art Reformreligion. Es ging dabei weniger um spirituellen Gehalt als um ein ethnien- und schichtenübergreifendes kulturelles Erbe. Das damalige Burma oder Birma, heute Myanmar genannt, seit 1886 als indische Provinz von den Briten besetzt, war ein gespaltenes Land: Die Besatzungsmacht hatte das buddhistische Königshaus zerschlagen, etliche ethnische Gruppen bekämpften einander; Mönche und Laien verfolgten unterschiedliche Ziele.7 Der Mönch und Gelehrte Ven Ledi Sayadaw (»Ven« steht für »ehrwürdiger Lehrer«), geboren 1846, gehörte einer Reformbewegung an, die die zerrissene Zivilgesellschaft vereinen wollte, um gegen die Kolonialmacht anzugehen. Buddhistische Meditation war etwas, worauf sich Laien und Mönche sowie die wirtschaftliche und die politische Elite des Landes gut einigen konnten. Hier kommt eine zweite Strömung ins Spiel, in der die Praxis die primäre Rolle spielt: Der Mönch und Gelehrte Ledi Sayadaw erinnerte sich an die alte Prophezeiung, entsprechend der die buddhistischen Lehren 2500 Jahre nach Buddhas Tod erneut in der Welt Fuß fassen würden. Er war der Erste, der völlig neue Wege beschritt, indem er zum ersten Mal die Vipassana-Technik an Laien weitergab – und ihnen wiederum auftrug, ihr Wissen weiterzugeben. »Meditiert, als ob eure Köpfe Feuer fingen«, wies er seine Adepten an.8 Er vertrat eine Linie von spirituellen Lehrern, denen es darum ging, den wahren Gehalt der buddhistischen Lehren zu demokratisieren. Dhamma, die Lehre Buddhas, sollte nicht länger einer kleinen Elite vorbehalten sein. Seine Schüler, unter ihnen zum Beispiel auch der burmesische Meister Pa Auk Sayadaw, verbreiteten Vipassana in Burma und darüber hinaus. An dieser Stelle verzweigte sich die Bewegung, was bis heute sichtbar ist: Es gibt verschiedene Vipassana-Schulen, die die Technik in leicht variierter Form weitergeben. So wird zum Beispiel die Konzentration auf den Atem unterschiedlich gelehrt, es wird unterschiedlich viel Zeit auf das Vertiefen der Konzentration verwandt und auf die vier »Säulen der Achtsamkeit«. Dies sind: Betrachtung des Körpers, der Empfindungen, des Geistes und der mentalen Inhalte. Auch werden nicht alle Kurse kostenlos angeboten. Wenn im Laufe dieses Buches Bezug auf die Technik und auf die Organisation der Kurse genommen wird, dann ist stets die Schule nach S. N. Goenka gemeint.

      Der erste Laienlehrer im großen Stil war Saya Thetgyi, ein Schüler Ledi Sayadaws. Ab 1914 unterrichtete er erstmals Feldarbeiter, später immer mehr Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die zu ihm pilgerten, um sich unterweisen zu lassen. 1937 begann Sayagyi U Ba Khin, der spätere oberste Buchhalter von Burma, zu meditieren. Der hohe Regierungsbeamte, berühmt-berüchtigt für seine Effizienz und den Kampf gegen Korruption in den burmesischen Behörden, begann schon bald seine Mitarbeiter selbst zu unterrichten. 1952 gründete er in der Hauptstadt Rangun das erste kleine Vipassana-Zentrum, wo er schon bald burmesische und auch westliche Schüler unterrichtete. Er gilt als Erfinder des Formats des bis heute gängigen Zehntageskurses.

      Bevor Vipassana heim nach Indien finden konnte, musste noch S. N. Goenka auf den Plan treten. Er war bereits kein mönchisch geprägter Buddhist mehr, sondern brachte einen ganz anderen Hintergrund mit: Satya Narayan Goenka, der Begründer der gleichnamigen Vipassana-Bewegung, wurde 1924 im burmesischen Mandalay geboren, als Kind indischer Eltern. Der gläubige Hindu wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann, den allerdings heftige Migräneattacken plagten. Jeder Mensch, der einmal chronische Schmerzen erlebt hat, kennt die verzweifelte Suche nach Heilung, das Pilgern von Arzt zu Arzt, das auch Goenka hinter sich bringen musste. Schließlich kam er auf Empfehlung eines Freundes zu Sayagyi U Ba Khin. Als Goenka den Lehrer um Hilfe bat, soll dieser ihn zunächst wieder weggeschickt haben – er weigerte sich, die Technik nur als Mittel zum Zweck weiterzugeben. Goenka konnte ihn offenbar überzeugen, im Jahr 1955 absolvierte er seinen ersten Kurs. 1969 zog er zusammen mit seiner Frau nach Indien und begann dort, Kurse in Vipassana zu erteilen. Das »Rad der Lehre« begann nun, sich deutlich schneller zu drehen. 1976 eröffnete er das erste offizielle Vipassana Meditationszentrum in Igatpuri, nördlich von Mumbai.

      Nicht nur in Indien und Burma braute sich in Sachen Meditation etwas zusammen. Auch in Europa und Asien bahnten sich geistige und soziale Strömungen an, die später auf das in Indien bereitete Feld treffen sollten. Bereits um 1900 gab es im Westen eine frühe Welle der Faszination für östliches Gedankengut. Die Theosophen und später die Anthroposophen ließen sich von Motiven wie Wiedergeburt und Erleuchtung inspirieren, interessierten sich für Magisches und Okkultes und bauten die entsprechenden Funde in ihre Weltanschauungen ein. Das Interesse galt vorwiegend den alten Schriften, nur eine Handvoll Theosophen widmete sich auch der praktischen Seite von Meditation.9 Zahlenmäßig waren diese Avantgardisten eine Randerscheinung, sie bereiteten jedoch den geistigen Boden für einen späteren Boom.

      In den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die Hippies nach Indien, und das in Scharen. Das Land war für Westler war zwar weit entfernt, aber doch gut zugänglich: Die Kolonialisierung hatte ein gut funktionierendes Eisenbahnnetz und Englisch als Amtssprache hinterlassen; die Mönche waren es inzwischen gewohnt, auch mit Laien zu sprechen. Die 68er-Bewegung suchte nach Alternativen zu den verkrusteten, autoritären Strukturen, die ihre Elternhäuser geprägt hatten; der indische Subkontinent wurde ihr Selbsterfahrungslabor. Sich mit Buddhismus und Meditation zu beschäftigen, wurde hip: Die Beatles lernten Transzendentale Meditation, Osho gründete seinen berühmten Ashram in Puna, ein wahrer Exodus gen Osten setzte ein. Dieser war so deutlich, dass indische Bauern sich zu wundern begannen. Ob in Europa und den USA eine Dürre herrschte? – Ja, es war eine wohl eine Dürre. Aber eine von anderer, von spiritueller Art.10 Immer mehr dieser jungen Reisenden


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