Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall). Michael Wagner J.

Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall) - Michael Wagner J.


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Was macht Sie da so sicher?“ Hansen klang ehrlich verärgert. Wendt erkannte darin die Notwendigkeit für einen dringend erforderlichen Themenwechsel. Jetzt war es an der Zeit, Farbe zu bekennen.

      „Wir haben zwei Dinge herausgefunden“, sagte er und nahm sein Tablet vom Schreibtisch. Hansen blickte gespannt auf den Bildschirm, auf dem nach kurzem Hochfahren das Video zu sehen war. „Hier sehen Sie Hell und Franziska Leck“, sagte er betroffen. Gemeinsam mit Hansen wurde er erneut Zeuge der Explosion. „Das ist es, was ich meine. Sehen Sie den Typen, der aus der Wolke herausmarschiert, als sei nichts passiert?“

      Erschrocken sah sie ihn an, als ihr klar wurde, was sie da eben gesehen hatte. „Woher haben Sie das Video?“

      „Herr Seltge hat es besorgt“, antwortete er augenzwinkernd.

      „Besorgt?“ Auf ihrer Stirn erschien eine mächtige Zornesfalte.

      „Nun ja, Sie kennen ja seine Art zu ermitteln. Ich frage nicht immer nach, woher er die Dinge holt. Aber das ist noch nicht alles. Klauk und ich waren heute Abend bei Luana Oliveira im Krankenhaus. Eine Freundin, der Name ist Beate Frings, war ebenfalls anwesend. Ich habe eben noch einmal im Krankenhaus angerufen, weil ich ein komisches Gefühl hatte und Sie erraten es nicht: Oliveira ist kurz vor der Abendvisite aus dem Krankenhaus verschwunden.“

      „Warum sollte sie sich in Gefahr begeben?“, fragte sie, hörbar interessiert.

      „Klauk hat recherchiert, dass ihr Bruder bei der Drogenfahndung in einem Ort namens Porto Velho arbeitet. Er vertrat die These, dass der Anschlag ihr galt. Quasi als Warnung für ihren Bruder, sich aus den Geschäften der Drogenkartelle herauszuhalten. Ich fand das abwegig. Wir sind trotzdem zu ihr ins Krankenhaus gefahren, um sie zu befragen. Dort hat sie uns beinahe davon überzeugt, dass wir damit total falsch liegen. Aber jetzt … sie ist abgehauen. Warum? Weil sie Schiss hat, der Killer versucht es erneut?“

      Hansen holte hörbar tief Luft. „Sie denken tatsächlich, der Anschlag hat nichts mit Terrorismus zu tun?“, fragte sie hastig, zuckte nur unmerklich mit den Schultern.

      „Wäre doch möglich. Was wollen wir tun? Sie zur Fahndung ausschreiben? Tun wir das, bekommen die vom Staatsschutz mit, dass wir ermittelt haben.“

      „Das ist mir egal. Sie sagten eben, Sie hätten im Krankenhaus angerufen?“

      „Ja, vor einer Viertelstunde.“

      „Prima“, sagte Hansen. Wendt wunderte sich über diese Wortwahl. Sie nutzte sonst nie solche Worte wie ‚prima‘. „Geben Sie die Fahndung nach Frau Oliveira raus. Ich informiere die Kollegen vom Staatsschutz über diese neuen Erkenntnisse.“

      Wendt begrüßte dies erfreut. Hansen nickte und begab sich auf den Weg zurück in ihr Büro. Vor der Tür verminderte sie ihren Schritt, wandte sich halb zu ihm um und begann zu lächeln. „Ach, Wendt, zu Ihrem Auftritt eben bei der PK: Das Gesicht von Grütters war einfach göttlich. Alleine das war es schon wert.“

      Um ihre Lippen spielte eine beinahe kindliche Freude, als sie das Büro verließ. Wendt blickte ihr ein paar Sekunden hinterher, stieß verblüfft die Luft aus und schüttelte den Kopf. Diese Frau konnte ihn nach all den Jahren noch immer überraschen. Sofort setzte er sich zurück an den Schreibtisch und schrieb Luana Oliveira zur Fahndung aus. Ein Streifenwagen sollte zur Wohnung von Beate Frings fahren. Vielleicht hielt sich die Gesuchte dort auf.

      *

       Bonn, Venusbergkliniken

      Oliver Hell zählte im Stillen bis zehn. Das tat er immer, wenn er seine Gedanken kontrollieren wollte, alles Negative aus seinem Kopf vertreiben wollte. Oder um die Schmerzen zu betäuben, die in seiner Brust tobten. Langsam setzte er sich auf dem spärlich beleuchteten Flur in Bewegung. Er hatte von seiner Ärztin die Zimmernummer erfragt. Sie hatte ihm allerdings strengstens verboten, die Infusionsnadel aus dem Arm zu ziehen oder gar das Zimmer zu verlassen. Doch was war das Verbot einer Ärztin schon gegen die Liebe? Mit einem matten Lächeln, das sich im Nu aus Furcht vor dem Zusammentreffen mit Franziska wieder verflüchtigte, blieb er am Ende des Ganges stehen. Er las auf den Schildern an der Wand gegenüber, wohin er sich bewegen musste. Daher wandte er sich nach rechts. Nach ein paar Metern ruhte sein Blick lange auf der Zimmernummer. Hell presste seinen Arm gegen die Türlaibung, bevor er es wagte, die Tür zu öffnen. Mit klopfendem Herzen drückte er langsam die Klinke herunter. Sollte Franziska schlafen, würde er sie still betrachten, froh darüber, sie am Leben zu wissen. Was passieren würde, sollte sie ihn bemerken, konnte er sich nicht ausmalen. Oder er wollte es nicht. Das Krankenzimmer war in einen diffusen Lichtschein gehüllt. Wie von einem Nachtlicht, wie man es benutzt, um ängstlichen Kindern eine Hilfe gegen die Monster der Nacht zu geben. Hell blieb stehen. Franziska lag auf dem Bett, das Gesicht zum Fenster gewandt. Schlief sie? Ihre linke Schulter schien sich nicht zu bewegen. Er schloss langsam die Tür zum Flur hinter sich; trat einen Schritt auf das Bett zu, zögerte erneut. Sein Lächeln machte einer steifen hochkonzentrierten Miene Platz. Plötzlich fühlte er sich hier unwohl. Unvermittelt nahm er eine Veränderung in ihrer Körperhaltung wahr.

      „Oliver, bist du hier?“, fragte eine matte Stimme. Ohne Zweifel, es war Franziska, doch sprach sie in einer völlig fremden Tonlage. Kränklich, schwach. Was hatte er erwartet? Das blühende Leben? Eine euphorisch vitale Begrüßung? Nein.

      Sein Hals fühlte sich trocken an. „Ja, ich bin‘s“, krächzte er. Räusperte sich. Unvermittelt traten wieder die Bilder aus seiner Erinnerung, drängten sich in seine Realität. Franziska, wie sie blutüberströmt dalag. Ihr flehender Blick.

      „Ich freue mich, dass es dir gut geht, Oliver. Aber bitte bleib dort stehen, ich möchte nicht, dass du mich so siehst“, presste Franziska hervor. Hell krampfte es den Magen zusammen. Was zur Hölle war mit ihr geschehen?

      „Was?“

      „Ich möchte nicht, dass du mich so siehst, Oliver. Bitte!“ Hells Blick glitt über ihren unbeweglich daliegenden Körper. Erst jetzt bemerkte er den großen Verband auf ihrem Kopf. Außerdem fehlte etwas. Konnte das sein? Um sich zu vergewissern, dass er richtig beobachtete, trat er einen Schritt auf das Bett zu. Seine Hauslatschen, die Christoph ihm vorbeigebracht hatte, gaben dabei ein schlurfendes Geräusch von sich. Franziska nahm es wahr. Sie zog ihre Schultern ein, als fröre sie, presste ihren Kopf tiefer in das Kissen.

      „Oliver, bitte!“

      „Was ist mit dir, Schatz?“

      „Bitte, dring nicht in mich. Ich möchte nicht, dass du mich so siehst. Ist das nicht deutlich genug?“

      „Franzi, es ist für mich das Wichtigste auf der Welt zu wissen, dass du am Leben bist. Alles andere ist egal.“ Wieder machte er einen Schritt nach vorne. Schon wurde ihm klar, dass er richtig gesehen hatte. Franziskas Schädel war kahl rasiert. War das so schlimm? Ihr Haar würde nachwachsen.

      „Das ist es auch für mich, Oliver. Glaub mir“, stieß sie hervor. Er glaubte es ihr. Dennoch brachte ihn seine Neugier dazu, einen Schritt weiterzugehen. Auch das gehörte zu den Konstanten in seinem Leben: Seine Neugier. Der Abstand zwischen ihm und dem Krankenbett maß kaum noch einen halben Meter.

      „Was ist mit dir geschehen?“, fragte er. Franziska nahm wahr, wie nah seine Stimme neben ihr erklang. Sie reagierte sofort. „Oliver, bitte. Ich möchte nicht, dass du mich so siehst!“, stieß sie mit einem weinerlichen Ton hervor, grub ihr Gesicht tiefer in das Kissen.

      Jetzt handelte er sofort, umrundete ihr Krankenbett und ging in die Hocke. Sah, wie Franziskas Körper zu beben begann. Ein leises Wimmern drang aus dem Kissen, wurde immer lauter. „Bitte, … Oliver, … bitte“, schluchzte sie heftig. Hell griff nach ihrer Hand, die auf dem Bettlaken ruhte. Drückte sie heftig. Das Wimmern verwandelte sich in ein heftiges Schluchzen. Ihr Körper begann zu zucken. Hell kämpfte gegen seinen eigenen Schmerz an, doch der, den er nun bei Franziska spürte, schien dagegen viel größer. „Schatz, schaue mich an, bitte. Ich möchte doch alles mit dir teilen, auch deinen Schmerz!“

      Franziska entzog ihm ihren Arm, barg ihr Gesicht in beiden Händen. Zog die Knie an bis zur Hüfte, krümmte sich zusammen wie ein Embryo. Ihr


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